Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

des Wortes entstehen konnte. In dieser Hinsicht ist die Berliner Republik
merkwürdig konservativ gewesen. Weder der kühne originelle Geist des Corne¬
lius vermochte einen sichtbaren Eindruck auszuüben, noch der der Berliner
Sinnesart mehr zusagende elegante und satirische Kaulbach. Die Akademie
hat seit dem Beginn dieses Jahrhunderts nicht den allergeringsten Einfluß auf
die Berliner Maler geübt. Was die meisten von ihnen geworden find, das
verdanken sie dem Gegensatz, in welchen sie sich gegenüber dem akademischen
Treiben stellten. Erst seit wenigen Jahren, seitdem man eine Reorganisation
angestrebt, seitdem man versucht hat den alten Zopf zu beseitigen, seitdem man
endlich auch in Berlin eingesehen hat, daß der Maler muß malen können, be¬
ginnt die Akademie eine andere Stellung einzunehmen. Jetzt braucht der junge
Maler nicht mehr nach Antwerpen und nach Paris zu gehen, um in den dor¬
tigen Ateliers hinter die Geheimnisse des Kolorits zu kommen.

Während des vorigen Jahrhunderts stand die Berliner Malerei so ent¬
schieden im Banne des französischen Rococo- und Zopfstils, daß von einer
spezifisch Berliner Malerei nicht geredet werden kann. Nur Chodowiecki, der
geistreiche Sittenmaler, dessen Bilder und Kupferstiche das schätzbarste Material
zur Kulturgeschichte Berlins im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts liefern;
wußte sich von diesem Bann zu emanzipiren und an der Stelle französischer
Unnatur ein Abbild des realen Lebens zu bieten. Aber er blieb ziemlich ein¬
sam. Seine nüchterne Ausdrucksweise kontrastirte gar gewaltig mit dem klas¬
sischen Stile des glänzenden Gestirns, das am Lebensabend Chodowiecki's auf¬
ging, mit Carstens. An Chodowiecki mag wohl Goethe gedacht haben, als er
in den Propyläen (1800) den Berlinern Künstlern den Vorwurf machte, sie
faßten ihre Kunst allzu prosaisch auf. Wie Chodowiecki fand auch Carstens,
dessen Aufenthalt in Berlin allerdings nur von kurzer Dauer gewesen und
dessen Kunstcharakter sich damals auch noch in den ersten Stadien der Ent-
wicklung befand, keine Nachfolge. So konnte denn der Graf Raczynski in
seiner Geschichte der neueren deutschen Kunst Berlin bis zum Jahre 1819 rin
Rücksicht auf die Malerei eine Wüste nennen.

Nicht als ob in diesem Jahre der Berliner Kunst ein Josua erstand, der
sie aus der Wüste in das gelobte Land führte. Wilhelm Schadow, der
Sohn des großen Bildhauers, der die Plastik vom Zopfstil zur Natur geführt,
und Carl Wach ließen sich 1819 in Berlin nieder. Beide hatten
einige Jahre in Rom im Kreise des Cornelius gelebt. Aber sowohl Schadow
wie Wach, der bereits vorher entscheidende Eindrücke in Pariser Ateliers, be¬
sonders von Gros, empfangen hatte, waren nur in ziemlich äußerliche Bezie¬
hungen zu den Nazarenern getreten. Schadow hatte von seinem Vater die
begeisterte Verehrung der Natur gelernt. Ein gutes Portrait galt ihm sehr


des Wortes entstehen konnte. In dieser Hinsicht ist die Berliner Republik
merkwürdig konservativ gewesen. Weder der kühne originelle Geist des Corne¬
lius vermochte einen sichtbaren Eindruck auszuüben, noch der der Berliner
Sinnesart mehr zusagende elegante und satirische Kaulbach. Die Akademie
hat seit dem Beginn dieses Jahrhunderts nicht den allergeringsten Einfluß auf
die Berliner Maler geübt. Was die meisten von ihnen geworden find, das
verdanken sie dem Gegensatz, in welchen sie sich gegenüber dem akademischen
Treiben stellten. Erst seit wenigen Jahren, seitdem man eine Reorganisation
angestrebt, seitdem man versucht hat den alten Zopf zu beseitigen, seitdem man
endlich auch in Berlin eingesehen hat, daß der Maler muß malen können, be¬
ginnt die Akademie eine andere Stellung einzunehmen. Jetzt braucht der junge
Maler nicht mehr nach Antwerpen und nach Paris zu gehen, um in den dor¬
tigen Ateliers hinter die Geheimnisse des Kolorits zu kommen.

Während des vorigen Jahrhunderts stand die Berliner Malerei so ent¬
schieden im Banne des französischen Rococo- und Zopfstils, daß von einer
spezifisch Berliner Malerei nicht geredet werden kann. Nur Chodowiecki, der
geistreiche Sittenmaler, dessen Bilder und Kupferstiche das schätzbarste Material
zur Kulturgeschichte Berlins im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts liefern;
wußte sich von diesem Bann zu emanzipiren und an der Stelle französischer
Unnatur ein Abbild des realen Lebens zu bieten. Aber er blieb ziemlich ein¬
sam. Seine nüchterne Ausdrucksweise kontrastirte gar gewaltig mit dem klas¬
sischen Stile des glänzenden Gestirns, das am Lebensabend Chodowiecki's auf¬
ging, mit Carstens. An Chodowiecki mag wohl Goethe gedacht haben, als er
in den Propyläen (1800) den Berlinern Künstlern den Vorwurf machte, sie
faßten ihre Kunst allzu prosaisch auf. Wie Chodowiecki fand auch Carstens,
dessen Aufenthalt in Berlin allerdings nur von kurzer Dauer gewesen und
dessen Kunstcharakter sich damals auch noch in den ersten Stadien der Ent-
wicklung befand, keine Nachfolge. So konnte denn der Graf Raczynski in
seiner Geschichte der neueren deutschen Kunst Berlin bis zum Jahre 1819 rin
Rücksicht auf die Malerei eine Wüste nennen.

Nicht als ob in diesem Jahre der Berliner Kunst ein Josua erstand, der
sie aus der Wüste in das gelobte Land führte. Wilhelm Schadow, der
Sohn des großen Bildhauers, der die Plastik vom Zopfstil zur Natur geführt,
und Carl Wach ließen sich 1819 in Berlin nieder. Beide hatten
einige Jahre in Rom im Kreise des Cornelius gelebt. Aber sowohl Schadow
wie Wach, der bereits vorher entscheidende Eindrücke in Pariser Ateliers, be¬
sonders von Gros, empfangen hatte, waren nur in ziemlich äußerliche Bezie¬
hungen zu den Nazarenern getreten. Schadow hatte von seinem Vater die
begeisterte Verehrung der Natur gelernt. Ein gutes Portrait galt ihm sehr


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0088" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139909"/>
          <p xml:id="ID_306" prev="#ID_305"> des Wortes entstehen konnte. In dieser Hinsicht ist die Berliner Republik<lb/>
merkwürdig konservativ gewesen. Weder der kühne originelle Geist des Corne¬<lb/>
lius vermochte einen sichtbaren Eindruck auszuüben, noch der der Berliner<lb/>
Sinnesart mehr zusagende elegante und satirische Kaulbach. Die Akademie<lb/>
hat seit dem Beginn dieses Jahrhunderts nicht den allergeringsten Einfluß auf<lb/>
die Berliner Maler geübt. Was die meisten von ihnen geworden find, das<lb/>
verdanken sie dem Gegensatz, in welchen sie sich gegenüber dem akademischen<lb/>
Treiben stellten. Erst seit wenigen Jahren, seitdem man eine Reorganisation<lb/>
angestrebt, seitdem man versucht hat den alten Zopf zu beseitigen, seitdem man<lb/>
endlich auch in Berlin eingesehen hat, daß der Maler muß malen können, be¬<lb/>
ginnt die Akademie eine andere Stellung einzunehmen. Jetzt braucht der junge<lb/>
Maler nicht mehr nach Antwerpen und nach Paris zu gehen, um in den dor¬<lb/>
tigen Ateliers hinter die Geheimnisse des Kolorits zu kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_307"> Während des vorigen Jahrhunderts stand die Berliner Malerei so ent¬<lb/>
schieden im Banne des französischen Rococo- und Zopfstils, daß von einer<lb/>
spezifisch Berliner Malerei nicht geredet werden kann. Nur Chodowiecki, der<lb/>
geistreiche Sittenmaler, dessen Bilder und Kupferstiche das schätzbarste Material<lb/>
zur Kulturgeschichte Berlins im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts liefern;<lb/>
wußte sich von diesem Bann zu emanzipiren und an der Stelle französischer<lb/>
Unnatur ein Abbild des realen Lebens zu bieten. Aber er blieb ziemlich ein¬<lb/>
sam. Seine nüchterne Ausdrucksweise kontrastirte gar gewaltig mit dem klas¬<lb/>
sischen Stile des glänzenden Gestirns, das am Lebensabend Chodowiecki's auf¬<lb/>
ging, mit Carstens. An Chodowiecki mag wohl Goethe gedacht haben, als er<lb/>
in den Propyläen (1800) den Berlinern Künstlern den Vorwurf machte, sie<lb/>
faßten ihre Kunst allzu prosaisch auf. Wie Chodowiecki fand auch Carstens,<lb/>
dessen Aufenthalt in Berlin allerdings nur von kurzer Dauer gewesen und<lb/>
dessen Kunstcharakter sich damals auch noch in den ersten Stadien der Ent-<lb/>
wicklung befand, keine Nachfolge. So konnte denn der Graf Raczynski in<lb/>
seiner Geschichte der neueren deutschen Kunst Berlin bis zum Jahre 1819 rin<lb/>
Rücksicht auf die Malerei eine Wüste nennen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_308" next="#ID_309"> Nicht als ob in diesem Jahre der Berliner Kunst ein Josua erstand, der<lb/>
sie aus der Wüste in das gelobte Land führte. Wilhelm Schadow, der<lb/>
Sohn des großen Bildhauers, der die Plastik vom Zopfstil zur Natur geführt,<lb/>
und Carl Wach ließen sich 1819 in Berlin nieder. Beide hatten<lb/>
einige Jahre in Rom im Kreise des Cornelius gelebt. Aber sowohl Schadow<lb/>
wie Wach, der bereits vorher entscheidende Eindrücke in Pariser Ateliers, be¬<lb/>
sonders von Gros, empfangen hatte, waren nur in ziemlich äußerliche Bezie¬<lb/>
hungen zu den Nazarenern getreten. Schadow hatte von seinem Vater die<lb/>
begeisterte Verehrung der Natur gelernt.  Ein gutes Portrait galt ihm sehr</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0088] des Wortes entstehen konnte. In dieser Hinsicht ist die Berliner Republik merkwürdig konservativ gewesen. Weder der kühne originelle Geist des Corne¬ lius vermochte einen sichtbaren Eindruck auszuüben, noch der der Berliner Sinnesart mehr zusagende elegante und satirische Kaulbach. Die Akademie hat seit dem Beginn dieses Jahrhunderts nicht den allergeringsten Einfluß auf die Berliner Maler geübt. Was die meisten von ihnen geworden find, das verdanken sie dem Gegensatz, in welchen sie sich gegenüber dem akademischen Treiben stellten. Erst seit wenigen Jahren, seitdem man eine Reorganisation angestrebt, seitdem man versucht hat den alten Zopf zu beseitigen, seitdem man endlich auch in Berlin eingesehen hat, daß der Maler muß malen können, be¬ ginnt die Akademie eine andere Stellung einzunehmen. Jetzt braucht der junge Maler nicht mehr nach Antwerpen und nach Paris zu gehen, um in den dor¬ tigen Ateliers hinter die Geheimnisse des Kolorits zu kommen. Während des vorigen Jahrhunderts stand die Berliner Malerei so ent¬ schieden im Banne des französischen Rococo- und Zopfstils, daß von einer spezifisch Berliner Malerei nicht geredet werden kann. Nur Chodowiecki, der geistreiche Sittenmaler, dessen Bilder und Kupferstiche das schätzbarste Material zur Kulturgeschichte Berlins im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts liefern; wußte sich von diesem Bann zu emanzipiren und an der Stelle französischer Unnatur ein Abbild des realen Lebens zu bieten. Aber er blieb ziemlich ein¬ sam. Seine nüchterne Ausdrucksweise kontrastirte gar gewaltig mit dem klas¬ sischen Stile des glänzenden Gestirns, das am Lebensabend Chodowiecki's auf¬ ging, mit Carstens. An Chodowiecki mag wohl Goethe gedacht haben, als er in den Propyläen (1800) den Berlinern Künstlern den Vorwurf machte, sie faßten ihre Kunst allzu prosaisch auf. Wie Chodowiecki fand auch Carstens, dessen Aufenthalt in Berlin allerdings nur von kurzer Dauer gewesen und dessen Kunstcharakter sich damals auch noch in den ersten Stadien der Ent- wicklung befand, keine Nachfolge. So konnte denn der Graf Raczynski in seiner Geschichte der neueren deutschen Kunst Berlin bis zum Jahre 1819 rin Rücksicht auf die Malerei eine Wüste nennen. Nicht als ob in diesem Jahre der Berliner Kunst ein Josua erstand, der sie aus der Wüste in das gelobte Land führte. Wilhelm Schadow, der Sohn des großen Bildhauers, der die Plastik vom Zopfstil zur Natur geführt, und Carl Wach ließen sich 1819 in Berlin nieder. Beide hatten einige Jahre in Rom im Kreise des Cornelius gelebt. Aber sowohl Schadow wie Wach, der bereits vorher entscheidende Eindrücke in Pariser Ateliers, be¬ sonders von Gros, empfangen hatte, waren nur in ziemlich äußerliche Bezie¬ hungen zu den Nazarenern getreten. Schadow hatte von seinem Vater die begeisterte Verehrung der Natur gelernt. Ein gutes Portrait galt ihm sehr

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/88
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/88>, abgerufen am 01.09.2024.