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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Piloty, der auf die lebende Generation einen nicht geringeren Einfluß geübt
hat als der ältere auf die vorangegangene, haben auf Grund dieses Farben¬
rezeptes Schulen gebildet, welche gewisse charakteristische Eigenschaften besitzen,
die sich leicht erkennen und definiren lassen. Schadows und seiner nächsten
Schüler Geistesrichtung war trotz scharfer Betonung des formalen und kolori¬
stischen Elements, trotz der entschiedenen Bevorzugung der Oeltechnik zu Un-
gunsten der Freskomalerei immer noch eine ideale, romantische. Erst die zweite
Generation hat den Realismus auch in der Wahl der Stoffe zur Herrschaft
gebracht. In München, wo gerade der Protektor der idealen Richtung, König
Ludwig, durch sein Wort: "Der Maler muß malen können" den mittelbaren
Anstoß zu einer neuen Bewegung gab, hatte die neudeutsche Kunst durch das
zwanzigjährige Direktorat des Cornelius verhältnißmüßig noch die tiefsten
Wurzeln geschlagen. Erst im Anfang der fünfziger Jahre gelang es Carl
Piloty, der, ohne einen bestimmt nachweisbaren Einfluß von den belgischen
Realisten erfahren zu haben, doch dieselben Wege wandelte, zur Geltung zu
kommen und eine Schule zu gründen, die sich allmählich weiter und weiter
entwickelte und innerhalb der sich bald die Vertreter der verschiedenartigsten
Stoffgebiete von der Historie bis zur Landschaft zusammenfanden, um den
Realismus der Farbe, eine nie zuvor gekannte Pracht des Kolorits auf alle
Zweige der Malerei gleichmäßig auszudehnen. Während die Düsseldorfer
Schule heute bereits ihren durch Schadow bestimmten Charakter so ziemlich
verloren und sich in verschiedene Richtungen getheilt hat, bildet die Pilotyschule
immer noch eine geschlossene Phalanx, deren äußerste Glieder selbst, wie Makart
und Gabriel Max, ihre Herkunft nicht verleugnen können.

In Berlin hat es dagegen stets an einem Mittelpunkt des Kunstlebens
gefehlt, wie ihn Düsseldorf in Schadow, München in Cornelius und Kaulbach
besessen, in Piloty besitzt. Wenn ich daher an die Spitze dieses Aufsatzes, der
eine Charakteristik der neueren Malerei in Berlin beabsichtigt, das Schlagwort
"die Berliner Malerschule" gesetzt habe, so ist dieser Ausdruck so äußerlich wie
möglich zu fassen. Er ist nicht mehr als ein Nothbehelf, als ein Wort, das weit
davon entfernt ist, einen Begriff zu symbolisiren. Es hat niemals eine Berliner
Malerschule gegeben, wie es eine Düsseldorfer Schule gab. Die Berliner Maler¬
schule ist das vielköpfigste Ding, das sich denken läßt, eine Republik, in der Jedermann
nach seiner Fayon seine Seligkeit sucht, in der keine Autorität gilt, in der ein
beständiger Krieg der verschiedensten Richtungen herrscht. Vom strengsten Idea¬
lismus bis zum brutalsten Realismus finden wir alle Richtungen der modernen
Kunst in dieser vielköpfigen Künstlerrepublik vertreten. Die Berliner Maler¬
schule ist zeitweilig allen möglichen Einflüssen zugänglich gewesen. Aber keiner
dieser Einflüsse ist so tief gegangen, daß nur eine Schule im engeren Sinne


Piloty, der auf die lebende Generation einen nicht geringeren Einfluß geübt
hat als der ältere auf die vorangegangene, haben auf Grund dieses Farben¬
rezeptes Schulen gebildet, welche gewisse charakteristische Eigenschaften besitzen,
die sich leicht erkennen und definiren lassen. Schadows und seiner nächsten
Schüler Geistesrichtung war trotz scharfer Betonung des formalen und kolori¬
stischen Elements, trotz der entschiedenen Bevorzugung der Oeltechnik zu Un-
gunsten der Freskomalerei immer noch eine ideale, romantische. Erst die zweite
Generation hat den Realismus auch in der Wahl der Stoffe zur Herrschaft
gebracht. In München, wo gerade der Protektor der idealen Richtung, König
Ludwig, durch sein Wort: „Der Maler muß malen können" den mittelbaren
Anstoß zu einer neuen Bewegung gab, hatte die neudeutsche Kunst durch das
zwanzigjährige Direktorat des Cornelius verhältnißmüßig noch die tiefsten
Wurzeln geschlagen. Erst im Anfang der fünfziger Jahre gelang es Carl
Piloty, der, ohne einen bestimmt nachweisbaren Einfluß von den belgischen
Realisten erfahren zu haben, doch dieselben Wege wandelte, zur Geltung zu
kommen und eine Schule zu gründen, die sich allmählich weiter und weiter
entwickelte und innerhalb der sich bald die Vertreter der verschiedenartigsten
Stoffgebiete von der Historie bis zur Landschaft zusammenfanden, um den
Realismus der Farbe, eine nie zuvor gekannte Pracht des Kolorits auf alle
Zweige der Malerei gleichmäßig auszudehnen. Während die Düsseldorfer
Schule heute bereits ihren durch Schadow bestimmten Charakter so ziemlich
verloren und sich in verschiedene Richtungen getheilt hat, bildet die Pilotyschule
immer noch eine geschlossene Phalanx, deren äußerste Glieder selbst, wie Makart
und Gabriel Max, ihre Herkunft nicht verleugnen können.

In Berlin hat es dagegen stets an einem Mittelpunkt des Kunstlebens
gefehlt, wie ihn Düsseldorf in Schadow, München in Cornelius und Kaulbach
besessen, in Piloty besitzt. Wenn ich daher an die Spitze dieses Aufsatzes, der
eine Charakteristik der neueren Malerei in Berlin beabsichtigt, das Schlagwort
„die Berliner Malerschule" gesetzt habe, so ist dieser Ausdruck so äußerlich wie
möglich zu fassen. Er ist nicht mehr als ein Nothbehelf, als ein Wort, das weit
davon entfernt ist, einen Begriff zu symbolisiren. Es hat niemals eine Berliner
Malerschule gegeben, wie es eine Düsseldorfer Schule gab. Die Berliner Maler¬
schule ist das vielköpfigste Ding, das sich denken läßt, eine Republik, in der Jedermann
nach seiner Fayon seine Seligkeit sucht, in der keine Autorität gilt, in der ein
beständiger Krieg der verschiedensten Richtungen herrscht. Vom strengsten Idea¬
lismus bis zum brutalsten Realismus finden wir alle Richtungen der modernen
Kunst in dieser vielköpfigen Künstlerrepublik vertreten. Die Berliner Maler¬
schule ist zeitweilig allen möglichen Einflüssen zugänglich gewesen. Aber keiner
dieser Einflüsse ist so tief gegangen, daß nur eine Schule im engeren Sinne


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[0087] Piloty, der auf die lebende Generation einen nicht geringeren Einfluß geübt hat als der ältere auf die vorangegangene, haben auf Grund dieses Farben¬ rezeptes Schulen gebildet, welche gewisse charakteristische Eigenschaften besitzen, die sich leicht erkennen und definiren lassen. Schadows und seiner nächsten Schüler Geistesrichtung war trotz scharfer Betonung des formalen und kolori¬ stischen Elements, trotz der entschiedenen Bevorzugung der Oeltechnik zu Un- gunsten der Freskomalerei immer noch eine ideale, romantische. Erst die zweite Generation hat den Realismus auch in der Wahl der Stoffe zur Herrschaft gebracht. In München, wo gerade der Protektor der idealen Richtung, König Ludwig, durch sein Wort: „Der Maler muß malen können" den mittelbaren Anstoß zu einer neuen Bewegung gab, hatte die neudeutsche Kunst durch das zwanzigjährige Direktorat des Cornelius verhältnißmüßig noch die tiefsten Wurzeln geschlagen. Erst im Anfang der fünfziger Jahre gelang es Carl Piloty, der, ohne einen bestimmt nachweisbaren Einfluß von den belgischen Realisten erfahren zu haben, doch dieselben Wege wandelte, zur Geltung zu kommen und eine Schule zu gründen, die sich allmählich weiter und weiter entwickelte und innerhalb der sich bald die Vertreter der verschiedenartigsten Stoffgebiete von der Historie bis zur Landschaft zusammenfanden, um den Realismus der Farbe, eine nie zuvor gekannte Pracht des Kolorits auf alle Zweige der Malerei gleichmäßig auszudehnen. Während die Düsseldorfer Schule heute bereits ihren durch Schadow bestimmten Charakter so ziemlich verloren und sich in verschiedene Richtungen getheilt hat, bildet die Pilotyschule immer noch eine geschlossene Phalanx, deren äußerste Glieder selbst, wie Makart und Gabriel Max, ihre Herkunft nicht verleugnen können. In Berlin hat es dagegen stets an einem Mittelpunkt des Kunstlebens gefehlt, wie ihn Düsseldorf in Schadow, München in Cornelius und Kaulbach besessen, in Piloty besitzt. Wenn ich daher an die Spitze dieses Aufsatzes, der eine Charakteristik der neueren Malerei in Berlin beabsichtigt, das Schlagwort „die Berliner Malerschule" gesetzt habe, so ist dieser Ausdruck so äußerlich wie möglich zu fassen. Er ist nicht mehr als ein Nothbehelf, als ein Wort, das weit davon entfernt ist, einen Begriff zu symbolisiren. Es hat niemals eine Berliner Malerschule gegeben, wie es eine Düsseldorfer Schule gab. Die Berliner Maler¬ schule ist das vielköpfigste Ding, das sich denken läßt, eine Republik, in der Jedermann nach seiner Fayon seine Seligkeit sucht, in der keine Autorität gilt, in der ein beständiger Krieg der verschiedensten Richtungen herrscht. Vom strengsten Idea¬ lismus bis zum brutalsten Realismus finden wir alle Richtungen der modernen Kunst in dieser vielköpfigen Künstlerrepublik vertreten. Die Berliner Maler¬ schule ist zeitweilig allen möglichen Einflüssen zugänglich gewesen. Aber keiner dieser Einflüsse ist so tief gegangen, daß nur eine Schule im engeren Sinne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/87>, abgerufen am 01.09.2024.