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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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herrlichen Tizian ihren glänzenden Gipfelpunkt fand. Und so jung auch der
göttliche Raffael aus dem Leben schied, eine Schule hinterließ er, die noch
lange nach seinem Tode, wenn auch nicht in seinem Geiste, so doch in seiner
klassischen Formensprache schuf.

Daß sich der Geist nicht mittheilen läßt, daß nur die äußeren Kunstgriffe
lehrbar sind, der Reichthum der Palette, das Geheimniß des Kolorits, des
Tons, des Lichts, die Bearbeitung des Marmors und die Behandlung der
äußeren Form, ist eine Erfahrung, die, so trivial, so natürlich sie ist, immer
doch wieder hervorgehoben werden muß, wenn es gilt, auffällige Erscheinungen
in der Kunstgeschichte zu erklären.

Wie kam es, daß die neudeutsche Kunst sich nach einem glänzenden Auf¬
schwung, der dem Höchsten entgegenstrebte und das Höchste erreichte, sich in
einem halben Jahrhundert so völlig erschöpfte, daß unter der lebenden Künstler¬
generation kaum noch oberflächliche Beziehungen zu jener Kunstrichtung zu
entdecken sind? Cornelius starb 1867. Ohne den Manen des großen Meisters
nahe zu treten, darf man sagen, daß er seine Kunst überlebt hatte. Als man
vor zwei Jahren seine Entwürfe für den Camposanto in Berlin und für die
Münchener Glyptothek einer Jahre langen Verborgenheit entzog und in der
Berliner Nationalgallerie allem Volk zugänglich machte, stand die jüngere
Generation staunend vor einer fremdartigen Erscheinung, von der sie sich bald
abwendete, weil sie sich sagte: "Das ist nicht Geist von unserem Geiste."

Der Geist läßt sich nicht mittheilen und vererben. Bei dem vollständigen
Uebergewicht des Geistigen über das Technische hatten die Apostel der neueren
deutschen Kunst nichts, was sie ihren Schülern hinterlassen konnten. Starb
einer, so war seine Wirksamkeit so gut wie abgeschlossen. Das Vermächtniß
eines Cornelius, eines Overbeck, eines Schmorr von Carolsfeld, ja selbst das
eines Rethel, welcher dem modernen Geiste am nächsten steht, ist uns heute
mehr ein Palladium gegen den nivellirenden Ansturm des gedankenlosen Rea¬
lismus als ein Leitstern für die schaffende Künstlergeneration.

Nicht Begriffe und Ideen haben in der Malerei der neueren und neuesten
Zeit Schulen gebildet, sondern rein äußerliche, technische Dinge sind die trei¬
benden Kräfte gewesen, welche die Malerei als solche vorwärts gebracht haben.
Daß die Düsseldorfer Schule vorzugsweise der Historienmalerei oblag, wäh¬
rend die Münchener, die sich um Piloty schaarten, mit Vorliebe das Genre
und erst in zweiter Linie die Historienmalerei kultivirten, ist ein mehr zufälliges
Moment, welches für den Charakter der einzelnen Schule weniger maßgebend
ist. Die technische Fertigkeit, wenn man sich ganz schmucklos ausdrücken will,
das Farbenrezept war es, welches die Adepten von Meister Schadow wie aus
München nach Hause tragen konnten. Sowohl Schadow wie der jüngere


herrlichen Tizian ihren glänzenden Gipfelpunkt fand. Und so jung auch der
göttliche Raffael aus dem Leben schied, eine Schule hinterließ er, die noch
lange nach seinem Tode, wenn auch nicht in seinem Geiste, so doch in seiner
klassischen Formensprache schuf.

Daß sich der Geist nicht mittheilen läßt, daß nur die äußeren Kunstgriffe
lehrbar sind, der Reichthum der Palette, das Geheimniß des Kolorits, des
Tons, des Lichts, die Bearbeitung des Marmors und die Behandlung der
äußeren Form, ist eine Erfahrung, die, so trivial, so natürlich sie ist, immer
doch wieder hervorgehoben werden muß, wenn es gilt, auffällige Erscheinungen
in der Kunstgeschichte zu erklären.

Wie kam es, daß die neudeutsche Kunst sich nach einem glänzenden Auf¬
schwung, der dem Höchsten entgegenstrebte und das Höchste erreichte, sich in
einem halben Jahrhundert so völlig erschöpfte, daß unter der lebenden Künstler¬
generation kaum noch oberflächliche Beziehungen zu jener Kunstrichtung zu
entdecken sind? Cornelius starb 1867. Ohne den Manen des großen Meisters
nahe zu treten, darf man sagen, daß er seine Kunst überlebt hatte. Als man
vor zwei Jahren seine Entwürfe für den Camposanto in Berlin und für die
Münchener Glyptothek einer Jahre langen Verborgenheit entzog und in der
Berliner Nationalgallerie allem Volk zugänglich machte, stand die jüngere
Generation staunend vor einer fremdartigen Erscheinung, von der sie sich bald
abwendete, weil sie sich sagte: „Das ist nicht Geist von unserem Geiste."

Der Geist läßt sich nicht mittheilen und vererben. Bei dem vollständigen
Uebergewicht des Geistigen über das Technische hatten die Apostel der neueren
deutschen Kunst nichts, was sie ihren Schülern hinterlassen konnten. Starb
einer, so war seine Wirksamkeit so gut wie abgeschlossen. Das Vermächtniß
eines Cornelius, eines Overbeck, eines Schmorr von Carolsfeld, ja selbst das
eines Rethel, welcher dem modernen Geiste am nächsten steht, ist uns heute
mehr ein Palladium gegen den nivellirenden Ansturm des gedankenlosen Rea¬
lismus als ein Leitstern für die schaffende Künstlergeneration.

Nicht Begriffe und Ideen haben in der Malerei der neueren und neuesten
Zeit Schulen gebildet, sondern rein äußerliche, technische Dinge sind die trei¬
benden Kräfte gewesen, welche die Malerei als solche vorwärts gebracht haben.
Daß die Düsseldorfer Schule vorzugsweise der Historienmalerei oblag, wäh¬
rend die Münchener, die sich um Piloty schaarten, mit Vorliebe das Genre
und erst in zweiter Linie die Historienmalerei kultivirten, ist ein mehr zufälliges
Moment, welches für den Charakter der einzelnen Schule weniger maßgebend
ist. Die technische Fertigkeit, wenn man sich ganz schmucklos ausdrücken will,
das Farbenrezept war es, welches die Adepten von Meister Schadow wie aus
München nach Hause tragen konnten. Sowohl Schadow wie der jüngere


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[0086] herrlichen Tizian ihren glänzenden Gipfelpunkt fand. Und so jung auch der göttliche Raffael aus dem Leben schied, eine Schule hinterließ er, die noch lange nach seinem Tode, wenn auch nicht in seinem Geiste, so doch in seiner klassischen Formensprache schuf. Daß sich der Geist nicht mittheilen läßt, daß nur die äußeren Kunstgriffe lehrbar sind, der Reichthum der Palette, das Geheimniß des Kolorits, des Tons, des Lichts, die Bearbeitung des Marmors und die Behandlung der äußeren Form, ist eine Erfahrung, die, so trivial, so natürlich sie ist, immer doch wieder hervorgehoben werden muß, wenn es gilt, auffällige Erscheinungen in der Kunstgeschichte zu erklären. Wie kam es, daß die neudeutsche Kunst sich nach einem glänzenden Auf¬ schwung, der dem Höchsten entgegenstrebte und das Höchste erreichte, sich in einem halben Jahrhundert so völlig erschöpfte, daß unter der lebenden Künstler¬ generation kaum noch oberflächliche Beziehungen zu jener Kunstrichtung zu entdecken sind? Cornelius starb 1867. Ohne den Manen des großen Meisters nahe zu treten, darf man sagen, daß er seine Kunst überlebt hatte. Als man vor zwei Jahren seine Entwürfe für den Camposanto in Berlin und für die Münchener Glyptothek einer Jahre langen Verborgenheit entzog und in der Berliner Nationalgallerie allem Volk zugänglich machte, stand die jüngere Generation staunend vor einer fremdartigen Erscheinung, von der sie sich bald abwendete, weil sie sich sagte: „Das ist nicht Geist von unserem Geiste." Der Geist läßt sich nicht mittheilen und vererben. Bei dem vollständigen Uebergewicht des Geistigen über das Technische hatten die Apostel der neueren deutschen Kunst nichts, was sie ihren Schülern hinterlassen konnten. Starb einer, so war seine Wirksamkeit so gut wie abgeschlossen. Das Vermächtniß eines Cornelius, eines Overbeck, eines Schmorr von Carolsfeld, ja selbst das eines Rethel, welcher dem modernen Geiste am nächsten steht, ist uns heute mehr ein Palladium gegen den nivellirenden Ansturm des gedankenlosen Rea¬ lismus als ein Leitstern für die schaffende Künstlergeneration. Nicht Begriffe und Ideen haben in der Malerei der neueren und neuesten Zeit Schulen gebildet, sondern rein äußerliche, technische Dinge sind die trei¬ benden Kräfte gewesen, welche die Malerei als solche vorwärts gebracht haben. Daß die Düsseldorfer Schule vorzugsweise der Historienmalerei oblag, wäh¬ rend die Münchener, die sich um Piloty schaarten, mit Vorliebe das Genre und erst in zweiter Linie die Historienmalerei kultivirten, ist ein mehr zufälliges Moment, welches für den Charakter der einzelnen Schule weniger maßgebend ist. Die technische Fertigkeit, wenn man sich ganz schmucklos ausdrücken will, das Farbenrezept war es, welches die Adepten von Meister Schadow wie aus München nach Hause tragen konnten. Sowohl Schadow wie der jüngere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/86>, abgerufen am 01.09.2024.