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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Diener Osman, der auf dem ganzen Wege den Reisenden bestohlen, den
Pferden zu wenig Gerste gegeben, die Hühner, welche das ewige Mahl bil¬
deten, zu doppeltem Preise angerechnet, und der jetzt einem Onbaschi (Korporal),
welcher den Reisenden begleitet, das halbe Trinkgeld unterschlagen hatte. Auf
der That ertappt, hielt ihm Buruaby folgende Rede: "Osman, Du hast einen
Muselmann, einen Bekenner des Propheten und deiner eigenen Religion, be¬
trogen. Du bist ein größerer Schuft, als ich bisher geglaubt. Du bist nicht
länger mein Diener. Verdnnkle nicht mehr meine Schwelle!" Und damit
war das Verhältniß gelöst. Ein neuer Diener ward in Mohammed gefunden,
einem Redif, der sich binnen kurzem bei seinem Bataillon in Erzerum zu
stellen hatte, wohin Burnabys Weg ging. Mit ihm gelangte man auch glück¬
lich "ach Siwas, einer 7000 Einwohner zählenden Stadt am rechten Halys-
ufer. Nach Burnabys Ansicht ist es der wichtigste strategische Punkt in diesem
Theile der Türkei, der Schlüssel Kleinasiens an der östlichen Seite, aber un¬
befestigt. Die Türkenherrschaft, sagt der Reisende, ist hier eine sehr milde. Die
Pfähluug eines Räubers ist vor 18 Jahren vorgekommen; nur eine Hinrich¬
tung fand in den letzten drei Jahren statt; in den Gefängnissen fand ich 102
Eingekerkerte, darunter nnr 6 Christen; der Rest meist Kurden und Tscherkessen,
die wegen Mords, Straßenraubs und Viehdiebstahls hier saßen. Einen merkwür¬
digen Anblick bot ein nach Erzerum hier durchmarschireudes Regiment. An
seiner Spitze befand sich ein Trupp heulender Derwische, welche die Soldaten
fanatisirten und dabei das Kunststückchen ausführten, sich Schnitte ins Fleisch
beizubringen, ohne daß Blut floß. Die Truppen waren lustig und guter
Dinge, hatten aber seit 25 Monaten keinen Sold empfangen.

Es war mitten im Winter und das Gebirge mit Schnee bedeckt, als
Kapitän Buruaby bei Diwiriki die Wasserscheide überschritt und in das Gebiet
des Euphrat eintrat. Die Flüsse, in deren Region er sich bisher befunden,
eilten alle dem Schwarzen Meere zu, nun nahmen sie ihren Weg zum persischen
Golf. In Arabkir, das schon nahe dem Euphrat liegt, nahm der Reisende
sein Quartier bei einem armenischen Seidenhändler, dessen Diener ein ehemaliger
russischer Soldat war, der, im Krimkrieg gefangen, hier sitzen geblieben war.
Nun entspann sich zwischen dem russisch redenden Engländer und dem ehema¬
ligen Soldaten des Zaren ein Gespräch, das sicherlich für englische Leser be¬
rechnet war. "Warum bist Du nicht nach Rußland zurückgekehrt?" fragte der
Reisende. "Ach, Herr, lautete die Antwort, ich wurde Tag und Nacht ge¬
prügelt; der Oberst schlug mich, der Sergeant boxte mich in die Ohren und
der Korporal ohrfeigte mich. Wir wurden alle gehauen. Rußland ist für den
Armen ein schreckliches Land und ich hoffe nur, daß meine Brüder nicht einmal


Diener Osman, der auf dem ganzen Wege den Reisenden bestohlen, den
Pferden zu wenig Gerste gegeben, die Hühner, welche das ewige Mahl bil¬
deten, zu doppeltem Preise angerechnet, und der jetzt einem Onbaschi (Korporal),
welcher den Reisenden begleitet, das halbe Trinkgeld unterschlagen hatte. Auf
der That ertappt, hielt ihm Buruaby folgende Rede: „Osman, Du hast einen
Muselmann, einen Bekenner des Propheten und deiner eigenen Religion, be¬
trogen. Du bist ein größerer Schuft, als ich bisher geglaubt. Du bist nicht
länger mein Diener. Verdnnkle nicht mehr meine Schwelle!" Und damit
war das Verhältniß gelöst. Ein neuer Diener ward in Mohammed gefunden,
einem Redif, der sich binnen kurzem bei seinem Bataillon in Erzerum zu
stellen hatte, wohin Burnabys Weg ging. Mit ihm gelangte man auch glück¬
lich «ach Siwas, einer 7000 Einwohner zählenden Stadt am rechten Halys-
ufer. Nach Burnabys Ansicht ist es der wichtigste strategische Punkt in diesem
Theile der Türkei, der Schlüssel Kleinasiens an der östlichen Seite, aber un¬
befestigt. Die Türkenherrschaft, sagt der Reisende, ist hier eine sehr milde. Die
Pfähluug eines Räubers ist vor 18 Jahren vorgekommen; nur eine Hinrich¬
tung fand in den letzten drei Jahren statt; in den Gefängnissen fand ich 102
Eingekerkerte, darunter nnr 6 Christen; der Rest meist Kurden und Tscherkessen,
die wegen Mords, Straßenraubs und Viehdiebstahls hier saßen. Einen merkwür¬
digen Anblick bot ein nach Erzerum hier durchmarschireudes Regiment. An
seiner Spitze befand sich ein Trupp heulender Derwische, welche die Soldaten
fanatisirten und dabei das Kunststückchen ausführten, sich Schnitte ins Fleisch
beizubringen, ohne daß Blut floß. Die Truppen waren lustig und guter
Dinge, hatten aber seit 25 Monaten keinen Sold empfangen.

Es war mitten im Winter und das Gebirge mit Schnee bedeckt, als
Kapitän Buruaby bei Diwiriki die Wasserscheide überschritt und in das Gebiet
des Euphrat eintrat. Die Flüsse, in deren Region er sich bisher befunden,
eilten alle dem Schwarzen Meere zu, nun nahmen sie ihren Weg zum persischen
Golf. In Arabkir, das schon nahe dem Euphrat liegt, nahm der Reisende
sein Quartier bei einem armenischen Seidenhändler, dessen Diener ein ehemaliger
russischer Soldat war, der, im Krimkrieg gefangen, hier sitzen geblieben war.
Nun entspann sich zwischen dem russisch redenden Engländer und dem ehema¬
ligen Soldaten des Zaren ein Gespräch, das sicherlich für englische Leser be¬
rechnet war. „Warum bist Du nicht nach Rußland zurückgekehrt?" fragte der
Reisende. „Ach, Herr, lautete die Antwort, ich wurde Tag und Nacht ge¬
prügelt; der Oberst schlug mich, der Sergeant boxte mich in die Ohren und
der Korporal ohrfeigte mich. Wir wurden alle gehauen. Rußland ist für den
Armen ein schreckliches Land und ich hoffe nur, daß meine Brüder nicht einmal


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/73>, abgerufen am 29.12.2024.