Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.mit ihrer Behandlung zufrieden seien, ob man sie quäle, auf die Tortur spanne So kam Burnaby nach Angora, das auf türkisch Engärieh heißt und Beim Abschiede von dieser Stadt beschenkte ein junger Bey, der Sohn des Durch eine herrliche, fruchtbare Landschaft, dicht besäet mit Dörfern, in mit ihrer Behandlung zufrieden seien, ob man sie quäle, auf die Tortur spanne So kam Burnaby nach Angora, das auf türkisch Engärieh heißt und Beim Abschiede von dieser Stadt beschenkte ein junger Bey, der Sohn des Durch eine herrliche, fruchtbare Landschaft, dicht besäet mit Dörfern, in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139893"/> <p xml:id="ID_258" prev="#ID_257"> mit ihrer Behandlung zufrieden seien, ob man sie quäle, auf die Tortur spanne<lb/> und dergleichen mehr. Ein solcher Gebrauch, antwortete man ihm, existire<lb/> nicht und man lebe hier in Eintracht mit den Muselmännern. Und als letztere<lb/> den Europäer freundlich begrüßten, erläuterte diesem der Mudir: „Sie lieben<lb/> Eure Nation; sie gedenken des Krimkrieges und der Hilfe, die ihr uns gegen<lb/> die Russen damals geleistet."</p><lb/> <p xml:id="ID_259"> So kam Burnaby nach Angora, das auf türkisch Engärieh heißt und<lb/> Hauptort des gleichnamigen Vilajets ist. In dieser durch ihre Ziegenwolle be¬<lb/> rühmten Stadt residirt ein britischer Vize-Konsul, den Burnaby zunächst auf¬<lb/> suchte. Er hatte eine kleine nette Frau, die jedoch in der Stadt weniger be¬<lb/> wundert wurde als ihr Fortepiano, das einzige in Angora. Es war mit<lb/> schweren Kosten, in zwei Theile zerlegt, ans Maulthieren hierher transportirt<lb/> worden. Vom Konsul begab sich der Reisende zum Pascha, der eben den guten<lb/> Angoresen die Wundermähr verkündet hatte, die Türkei habe eine Konstitution<lb/> und ein Parlament erhalten. Daran knüpfte sich die schwierige Frage, ob die<lb/> einzige alte Kanone, welche Angora besitzt, auch die 101 Schuß zur Feier des<lb/> großen Tages aushalten werde? Aber man wagte es und sie hielt aus. Wenn<lb/> nun auch Angora nur eine Kanone besitzt, so hatte es doch damals 25,000<lb/> Mann in Kriegsbereitschaft.</p><lb/> <p xml:id="ID_260"> Beim Abschiede von dieser Stadt beschenkte ein junger Bey, der Sohn des<lb/> Paschas, den Reisenden mit einer in türkischer Sprache geschriebenen „Geschichte<lb/> des Ottomanischen Reiches" in zehn furchtbar großen Foliobänden. Leider<lb/> mußte Burnaby das seltene Geschenk zurückweisen, da es zu schwer für die<lb/> Packpferde war. Ueber Jusgad gelaugte man an den Kiön-Jrmak, der auf<lb/> einem elenden, lecken Prasum übersetzt wurde, dem einzigen Transportmittel<lb/> weit und breit, auf dem der reißende Strom passirt werden kann. In Jusgad<lb/> war der Empfang ein großartiger; seit zwanzig Jahren war dort kein englischer<lb/> Reisender gewesen und die ganze Bevölkerung strömte, die Behörden an der<lb/> Spitze, dem Fremdling entgegen> der nun seinen Triumpheinzug hielt. Von<lb/> Angora war nämlich telegraphirt worden — der Telegraph geht dnrch ganz<lb/> Kleinasien — ein Engländer, ein Türkenfreund, komme und Herr Vankowitsch,<lb/> ein Pole, Telegraphenbeamter und Russenfeind, hatte sofort die Stadt alarmirt.</p><lb/> <p xml:id="ID_261" next="#ID_262"> Durch eine herrliche, fruchtbare Landschaft, dicht besäet mit Dörfern, in<lb/> denen tscherkessische und turkmanische Ansiedler, welche aus Rußland vertrieben<lb/> waren, lebten, zog Burnaby nach Tokat. Ueberall sah man Rekruten und<lb/> haufenweise zogen die Tscherkessen nach den Kantonnements-Orten, um sich zu<lb/> stellen. Freudig und blutgierig bereiteten sie sich ans den Krieg vor und mehr<lb/> als einmal hörte Burnaby sie sagen, daß sie den russischen Weibern und<lb/> Kindern eins auswischen wollten. In Tokat erreichte auch das Schicksal deu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
mit ihrer Behandlung zufrieden seien, ob man sie quäle, auf die Tortur spanne
und dergleichen mehr. Ein solcher Gebrauch, antwortete man ihm, existire
nicht und man lebe hier in Eintracht mit den Muselmännern. Und als letztere
den Europäer freundlich begrüßten, erläuterte diesem der Mudir: „Sie lieben
Eure Nation; sie gedenken des Krimkrieges und der Hilfe, die ihr uns gegen
die Russen damals geleistet."
So kam Burnaby nach Angora, das auf türkisch Engärieh heißt und
Hauptort des gleichnamigen Vilajets ist. In dieser durch ihre Ziegenwolle be¬
rühmten Stadt residirt ein britischer Vize-Konsul, den Burnaby zunächst auf¬
suchte. Er hatte eine kleine nette Frau, die jedoch in der Stadt weniger be¬
wundert wurde als ihr Fortepiano, das einzige in Angora. Es war mit
schweren Kosten, in zwei Theile zerlegt, ans Maulthieren hierher transportirt
worden. Vom Konsul begab sich der Reisende zum Pascha, der eben den guten
Angoresen die Wundermähr verkündet hatte, die Türkei habe eine Konstitution
und ein Parlament erhalten. Daran knüpfte sich die schwierige Frage, ob die
einzige alte Kanone, welche Angora besitzt, auch die 101 Schuß zur Feier des
großen Tages aushalten werde? Aber man wagte es und sie hielt aus. Wenn
nun auch Angora nur eine Kanone besitzt, so hatte es doch damals 25,000
Mann in Kriegsbereitschaft.
Beim Abschiede von dieser Stadt beschenkte ein junger Bey, der Sohn des
Paschas, den Reisenden mit einer in türkischer Sprache geschriebenen „Geschichte
des Ottomanischen Reiches" in zehn furchtbar großen Foliobänden. Leider
mußte Burnaby das seltene Geschenk zurückweisen, da es zu schwer für die
Packpferde war. Ueber Jusgad gelaugte man an den Kiön-Jrmak, der auf
einem elenden, lecken Prasum übersetzt wurde, dem einzigen Transportmittel
weit und breit, auf dem der reißende Strom passirt werden kann. In Jusgad
war der Empfang ein großartiger; seit zwanzig Jahren war dort kein englischer
Reisender gewesen und die ganze Bevölkerung strömte, die Behörden an der
Spitze, dem Fremdling entgegen> der nun seinen Triumpheinzug hielt. Von
Angora war nämlich telegraphirt worden — der Telegraph geht dnrch ganz
Kleinasien — ein Engländer, ein Türkenfreund, komme und Herr Vankowitsch,
ein Pole, Telegraphenbeamter und Russenfeind, hatte sofort die Stadt alarmirt.
Durch eine herrliche, fruchtbare Landschaft, dicht besäet mit Dörfern, in
denen tscherkessische und turkmanische Ansiedler, welche aus Rußland vertrieben
waren, lebten, zog Burnaby nach Tokat. Ueberall sah man Rekruten und
haufenweise zogen die Tscherkessen nach den Kantonnements-Orten, um sich zu
stellen. Freudig und blutgierig bereiteten sie sich ans den Krieg vor und mehr
als einmal hörte Burnaby sie sagen, daß sie den russischen Weibern und
Kindern eins auswischen wollten. In Tokat erreichte auch das Schicksal deu
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