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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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samischen Herrschers uns das Nöthige mitzutheilen: "Polykrates wurde später
von dem persischen Statthalter Orvtes nach dem Festlands hinübergelockt und
dort ans Kreuz geschlagen."

Aber was ist das alles gegen die sprachlichen Erläuterungen des Heraus¬
gebers! Hierin liegt doch eigentlich der Schwerpunkt seines Kommentars-
Die Proben werden es beweisen. Wo der Bote das "wohlbekannte Haupt"
aus dem Becken nimmt und dem Polykrates vorzeigt, werden wir wegen des
dunkeln und schwer zu deutenden Wortes "Haupt" auf Uhland's "Graf Richard
ohne Furcht" verwiesen, der bekanntlich einem Gespenste das "Haupt" in zwei
Theile schlug, und dort finden wir denn die Deutung des räthselhaften Wortes:
"Haupt ist uralten deutschen Ursprungs; Kopf ist lateinischer Herkunft; Luxpa
bedeutet Becher und, da man aus den Hirnschalen erschlagener Feinde zu
trinken liebte (!), Hirnschädel; später wurde solcherart (!) Kopf daraus."
(Schade, daß der Herausgeber uicht versucht hat, auch den Zusammenhang mit
Bergkuppe und Kirchenkuppel nachzuweisen, aus denen man doch nicht "zu
trinken liebte".) Ju Strophe 6 und 7 wird uns der Unterschied von Rhede,
Gestade und Strand des Breiteren auseinandergesetzt. Als "der königliche Gast
erstaunet", wird uns verrathen, daß Gast ursprünglich Fremder bedeutet; als
der Fischer mit dein gefundenen Ringe vor den Fürsten hintritt, werden wir
belehrt: "Fürst (von für, vor herzuleiten) bedeutet "der erste"; Prinz dasselbe;"
und als der Aegypterkönig die Wahrnehmung macht, daß das Glück des
Polykrates "ohne Grenzen" sei, bemerkt der Herausgeber dazu: "ein im Alt-
nnd Mittelhochdeutschen nicht vorhandenes Wort, welches erst in neuerer Zeit
aus dem Slavischen in's Deutsche herübergenommen ist. Das echt deutsche
Wort dafür ist Marke, Mark." Es wäre kein Wunder, wenn die liebe Jugend
nach solcher Belehrung auf den Einfall käme, zur Abwechslung einmal zu
deklamiren: "O, ohne Marken ist dein Glück."

Doch genug von diesen Thorheiten. 'Mußte der Herausgeber durchaus
seine etymologische Weisheit in diesem Buche an den Mann bringen, was wir
für sehr überflüssig halten, so hätte er anhangsweise ein Wörterbuch zu seinen
"Eklogen" geben sollen, worin er meinetwegen auch Vater und Mutter aus dem
Judogermanischen hätte erklären, und aus dem sich jeder nach Bedürfniß und
Neigung das Seinige hätte aussuchen können. Den Text eines Dichters aber
bei lebendigem Leibe zu sezireu, so daß auf jeder Zeile Anmerkungsziffern
hineingedrückt werden, die den Blick des Lesers hinunter in den Kommentar
nöthigen, dnrch diese Anmerkungsziffern in ihm die Vorstellung zu erwecken,
als ob da unten womöglich Winke über die richtige Auffassung der Stelle
zu holen wären, und ihn dann in zehn Fällen neunmal mit einer gänzlich
überflüssigen Etymologie zu äffen, das ist nicht blos eine krasse Geschmacklosigkeit,


samischen Herrschers uns das Nöthige mitzutheilen: „Polykrates wurde später
von dem persischen Statthalter Orvtes nach dem Festlands hinübergelockt und
dort ans Kreuz geschlagen."

Aber was ist das alles gegen die sprachlichen Erläuterungen des Heraus¬
gebers! Hierin liegt doch eigentlich der Schwerpunkt seines Kommentars-
Die Proben werden es beweisen. Wo der Bote das „wohlbekannte Haupt"
aus dem Becken nimmt und dem Polykrates vorzeigt, werden wir wegen des
dunkeln und schwer zu deutenden Wortes „Haupt" auf Uhland's „Graf Richard
ohne Furcht" verwiesen, der bekanntlich einem Gespenste das „Haupt" in zwei
Theile schlug, und dort finden wir denn die Deutung des räthselhaften Wortes:
„Haupt ist uralten deutschen Ursprungs; Kopf ist lateinischer Herkunft; Luxpa
bedeutet Becher und, da man aus den Hirnschalen erschlagener Feinde zu
trinken liebte (!), Hirnschädel; später wurde solcherart (!) Kopf daraus."
(Schade, daß der Herausgeber uicht versucht hat, auch den Zusammenhang mit
Bergkuppe und Kirchenkuppel nachzuweisen, aus denen man doch nicht „zu
trinken liebte".) Ju Strophe 6 und 7 wird uns der Unterschied von Rhede,
Gestade und Strand des Breiteren auseinandergesetzt. Als „der königliche Gast
erstaunet", wird uns verrathen, daß Gast ursprünglich Fremder bedeutet; als
der Fischer mit dein gefundenen Ringe vor den Fürsten hintritt, werden wir
belehrt: „Fürst (von für, vor herzuleiten) bedeutet „der erste"; Prinz dasselbe;"
und als der Aegypterkönig die Wahrnehmung macht, daß das Glück des
Polykrates „ohne Grenzen" sei, bemerkt der Herausgeber dazu: „ein im Alt-
nnd Mittelhochdeutschen nicht vorhandenes Wort, welches erst in neuerer Zeit
aus dem Slavischen in's Deutsche herübergenommen ist. Das echt deutsche
Wort dafür ist Marke, Mark." Es wäre kein Wunder, wenn die liebe Jugend
nach solcher Belehrung auf den Einfall käme, zur Abwechslung einmal zu
deklamiren: „O, ohne Marken ist dein Glück."

Doch genug von diesen Thorheiten. 'Mußte der Herausgeber durchaus
seine etymologische Weisheit in diesem Buche an den Mann bringen, was wir
für sehr überflüssig halten, so hätte er anhangsweise ein Wörterbuch zu seinen
„Eklogen" geben sollen, worin er meinetwegen auch Vater und Mutter aus dem
Judogermanischen hätte erklären, und aus dem sich jeder nach Bedürfniß und
Neigung das Seinige hätte aussuchen können. Den Text eines Dichters aber
bei lebendigem Leibe zu sezireu, so daß auf jeder Zeile Anmerkungsziffern
hineingedrückt werden, die den Blick des Lesers hinunter in den Kommentar
nöthigen, dnrch diese Anmerkungsziffern in ihm die Vorstellung zu erwecken,
als ob da unten womöglich Winke über die richtige Auffassung der Stelle
zu holen wären, und ihn dann in zehn Fällen neunmal mit einer gänzlich
überflüssigen Etymologie zu äffen, das ist nicht blos eine krasse Geschmacklosigkeit,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/506>, abgerufen am 01.09.2024.