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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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nacher's und in der Geschichte der Mysticismus, der edlere Pietismus, der
Pantheismus. Herrscht das Begreifen vor, so ergiebt sich die Definition Hegel's,
historisch aber der Rationalismus oder, weil das Streben, das Unendliche zu
fassen ewig resultatlos bleiben muß, der Unglaube. Herrscht der Wille vor,
so erzeugt diese Richtung den Moralismus, den Puritanismus und im System
(Kant) den kategorischen Imperativ. Die Gefühlsrichtung kennzeichnet das
Mittelalter, die Willensrichtung beherrschte die reformatorische Bewegung; die
Signatur unserer Zeit ist die logische Richtung. Die Wahrheit liegt in der
Mitte, im versöhnlichen Zusammengehen des Fühlens, Denkens und Wollens.

Wir haben die Definition des Religionsbegriffs ausführlich wiedergegeben.
In eine nähere Besprechung derselben einzutreten, ist hier nicht der Ort. So¬
viel dürfte jedoch feststehen, daß die vorhin dargelegte Auffassung bei künftigen
Erörterungen über das Wesen der Religion wird beachtet werden müssen. Uns
persönlich will überdies bedünken, als ob die von Dr. Weygoldt aufgestellten
Gesichtspunkte der Religionsphilosophie Bahn und Ziel für eine fruchtbare
Arbeit zuweisen vermöchten, und als ob demnach fernere Verhandlungen über
dieses Thema gut thun würden, sich wesentlich auf der hier bezeichneten Linie
zu bewegen.

Sich religiös verhalten heißt sich ästhetisch verhalten! Von diesem Stand¬
punkt aus die Religion auf ihren Inhalt geprüft, ergiebt sich, daß Religion
nicht ein Sein ist, sondern nur Bezogensein, Form, Reaktivität, und Gott
gegenüber Objektivation, daß aber dieses Bezogensein Alles werden, den größten
Inhalt erlangen kann, indem es die Ergebnisse des Fühlens, Denkens und
Wollens innigst in sich aufnimmt, Alles, was Herz, Sinn und Gemüth bewegt,
in sich abspiegelt und dadurch aus einer leeren Relativität eine Konkretheit, ein
lebhaftes, jedoch stets subjektives Farbenbild wird. Die Religion ist als Form,
als Bezogensein ewig; ihrem Inhalte nach ist sie ein Produkt der eigen¬
thümlichen Art, wie der Einzelne zu fühlen, zu denken und zu wollen gewohnt
ist. Hier find die Pforten weit aufgethan. In dem, was Religion ist, haben
Alle Platz. Nur müssen Alle wissen, daß ihre speziellen und bestimmt lauten¬
den Aussagen über Gott und unser Verhältniß zu ihm nur ein sekundäres,
Subjektives, in den Religionsbegriff durch das Denken erst Hineingetragenes
sind, daß folglich sachliche Meinungsverschiedenheiten lediglich auf dem natür¬
lichen Boden der Logik zum Austrag gebracht werden müssen. Wird das
religiöse Bezogensein auf seinen Werth geprüft, so ergiebt sich dieser Werth als
ein sehr hoch zu taxirender, indem der religiöse Zug die fortgesetzte Hineinbil¬
dung unseres Gefühls-, Willens- und Denkinhaltes in die Form ästhetischer
Beschauung ist, die Umsetzung des Aeußerlichen in die Innerlichkeit. Objektiv
betrachtet ist dieser Werth individuell verschieden, indem der Fortschritt zu immer


nacher's und in der Geschichte der Mysticismus, der edlere Pietismus, der
Pantheismus. Herrscht das Begreifen vor, so ergiebt sich die Definition Hegel's,
historisch aber der Rationalismus oder, weil das Streben, das Unendliche zu
fassen ewig resultatlos bleiben muß, der Unglaube. Herrscht der Wille vor,
so erzeugt diese Richtung den Moralismus, den Puritanismus und im System
(Kant) den kategorischen Imperativ. Die Gefühlsrichtung kennzeichnet das
Mittelalter, die Willensrichtung beherrschte die reformatorische Bewegung; die
Signatur unserer Zeit ist die logische Richtung. Die Wahrheit liegt in der
Mitte, im versöhnlichen Zusammengehen des Fühlens, Denkens und Wollens.

Wir haben die Definition des Religionsbegriffs ausführlich wiedergegeben.
In eine nähere Besprechung derselben einzutreten, ist hier nicht der Ort. So¬
viel dürfte jedoch feststehen, daß die vorhin dargelegte Auffassung bei künftigen
Erörterungen über das Wesen der Religion wird beachtet werden müssen. Uns
persönlich will überdies bedünken, als ob die von Dr. Weygoldt aufgestellten
Gesichtspunkte der Religionsphilosophie Bahn und Ziel für eine fruchtbare
Arbeit zuweisen vermöchten, und als ob demnach fernere Verhandlungen über
dieses Thema gut thun würden, sich wesentlich auf der hier bezeichneten Linie
zu bewegen.

Sich religiös verhalten heißt sich ästhetisch verhalten! Von diesem Stand¬
punkt aus die Religion auf ihren Inhalt geprüft, ergiebt sich, daß Religion
nicht ein Sein ist, sondern nur Bezogensein, Form, Reaktivität, und Gott
gegenüber Objektivation, daß aber dieses Bezogensein Alles werden, den größten
Inhalt erlangen kann, indem es die Ergebnisse des Fühlens, Denkens und
Wollens innigst in sich aufnimmt, Alles, was Herz, Sinn und Gemüth bewegt,
in sich abspiegelt und dadurch aus einer leeren Relativität eine Konkretheit, ein
lebhaftes, jedoch stets subjektives Farbenbild wird. Die Religion ist als Form,
als Bezogensein ewig; ihrem Inhalte nach ist sie ein Produkt der eigen¬
thümlichen Art, wie der Einzelne zu fühlen, zu denken und zu wollen gewohnt
ist. Hier find die Pforten weit aufgethan. In dem, was Religion ist, haben
Alle Platz. Nur müssen Alle wissen, daß ihre speziellen und bestimmt lauten¬
den Aussagen über Gott und unser Verhältniß zu ihm nur ein sekundäres,
Subjektives, in den Religionsbegriff durch das Denken erst Hineingetragenes
sind, daß folglich sachliche Meinungsverschiedenheiten lediglich auf dem natür¬
lichen Boden der Logik zum Austrag gebracht werden müssen. Wird das
religiöse Bezogensein auf seinen Werth geprüft, so ergiebt sich dieser Werth als
ein sehr hoch zu taxirender, indem der religiöse Zug die fortgesetzte Hineinbil¬
dung unseres Gefühls-, Willens- und Denkinhaltes in die Form ästhetischer
Beschauung ist, die Umsetzung des Aeußerlichen in die Innerlichkeit. Objektiv
betrachtet ist dieser Werth individuell verschieden, indem der Fortschritt zu immer


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[0494] nacher's und in der Geschichte der Mysticismus, der edlere Pietismus, der Pantheismus. Herrscht das Begreifen vor, so ergiebt sich die Definition Hegel's, historisch aber der Rationalismus oder, weil das Streben, das Unendliche zu fassen ewig resultatlos bleiben muß, der Unglaube. Herrscht der Wille vor, so erzeugt diese Richtung den Moralismus, den Puritanismus und im System (Kant) den kategorischen Imperativ. Die Gefühlsrichtung kennzeichnet das Mittelalter, die Willensrichtung beherrschte die reformatorische Bewegung; die Signatur unserer Zeit ist die logische Richtung. Die Wahrheit liegt in der Mitte, im versöhnlichen Zusammengehen des Fühlens, Denkens und Wollens. Wir haben die Definition des Religionsbegriffs ausführlich wiedergegeben. In eine nähere Besprechung derselben einzutreten, ist hier nicht der Ort. So¬ viel dürfte jedoch feststehen, daß die vorhin dargelegte Auffassung bei künftigen Erörterungen über das Wesen der Religion wird beachtet werden müssen. Uns persönlich will überdies bedünken, als ob die von Dr. Weygoldt aufgestellten Gesichtspunkte der Religionsphilosophie Bahn und Ziel für eine fruchtbare Arbeit zuweisen vermöchten, und als ob demnach fernere Verhandlungen über dieses Thema gut thun würden, sich wesentlich auf der hier bezeichneten Linie zu bewegen. Sich religiös verhalten heißt sich ästhetisch verhalten! Von diesem Stand¬ punkt aus die Religion auf ihren Inhalt geprüft, ergiebt sich, daß Religion nicht ein Sein ist, sondern nur Bezogensein, Form, Reaktivität, und Gott gegenüber Objektivation, daß aber dieses Bezogensein Alles werden, den größten Inhalt erlangen kann, indem es die Ergebnisse des Fühlens, Denkens und Wollens innigst in sich aufnimmt, Alles, was Herz, Sinn und Gemüth bewegt, in sich abspiegelt und dadurch aus einer leeren Relativität eine Konkretheit, ein lebhaftes, jedoch stets subjektives Farbenbild wird. Die Religion ist als Form, als Bezogensein ewig; ihrem Inhalte nach ist sie ein Produkt der eigen¬ thümlichen Art, wie der Einzelne zu fühlen, zu denken und zu wollen gewohnt ist. Hier find die Pforten weit aufgethan. In dem, was Religion ist, haben Alle Platz. Nur müssen Alle wissen, daß ihre speziellen und bestimmt lauten¬ den Aussagen über Gott und unser Verhältniß zu ihm nur ein sekundäres, Subjektives, in den Religionsbegriff durch das Denken erst Hineingetragenes sind, daß folglich sachliche Meinungsverschiedenheiten lediglich auf dem natür¬ lichen Boden der Logik zum Austrag gebracht werden müssen. Wird das religiöse Bezogensein auf seinen Werth geprüft, so ergiebt sich dieser Werth als ein sehr hoch zu taxirender, indem der religiöse Zug die fortgesetzte Hineinbil¬ dung unseres Gefühls-, Willens- und Denkinhaltes in die Form ästhetischer Beschauung ist, die Umsetzung des Aeußerlichen in die Innerlichkeit. Objektiv betrachtet ist dieser Werth individuell verschieden, indem der Fortschritt zu immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/494>, abgerufen am 27.07.2024.