Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.eines transzendenten Wesens, Als Vernunftgebot verpflichtet es zur Ausübung So sehr nun auch die Frage erschöpft scheint, hält der Verfasser unserer Grenzboten II. 1373. 62
eines transzendenten Wesens, Als Vernunftgebot verpflichtet es zur Ausübung So sehr nun auch die Frage erschöpft scheint, hält der Verfasser unserer Grenzboten II. 1373. 62
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eines transzendenten Wesens, Als Vernunftgebot verpflichtet es zur Ausübung
des Guten unmittelbar und ohne Nebenabsichten. Insofern wir gesellig leben,
setzt es den Begriff der Gleichberechtigung aller Glieder der Gemeinschaft
voraus. Das Sittengesetz ist ein Vernunftgesetz. Nach alle dem
ist es lediglich Wahn, wenn viele glauben, die religionsfeindlichen Folgerungen
des Darwinismus auch im Interesse der Sittlichkeit, der sozialen und politischen
Ordnung verurtheilen zu müssen.
So sehr nun auch die Frage erschöpft scheint, hält der Verfasser unserer
Schrift seine Aufgabe doch nicht vollständig gelöst, bis er auch deu Religions¬
begriff festgestellt und von dem also gewonnenen Standpunkt aus das gegen¬
seitige Verhältniß von Religion und Sittlichkeit definirt hat. Die hier geführte
Untersuchung bietet eiuen der interessantesten Abschnitte und wohl die beste
Partie der Preisschrift. Die Grundgedanken des Schleiermacher'sehen,
Hegel'sehen und Kant'schen Religionsbegrisfes zusammenfassend, bestimmt der
Verfasser das Wesen der Religion als: Bezogensein des endlichen Wesens, und
zwar in feiner Totalität, auf das Unendliche. Zu dieser Begriffsbestimmung
gelangt er auf dem Wege der Analogie, welcher aber durch die Aesthetik sührt
„und nur durch sie". Bei der Betrachtung des Schönen sind Fühlen (Schleier¬
macher), Denken (Hegel) und Wollen (Kant) des Betrachtenden in glücklicher
Harmonie ausgesöhnt. Und doch sind alle drei in Anspruch genommen: das
adäquate Durchdrungeusein des Stoffes von der Idee, wie es sich im schönen
Objekte darstellt, weckt gleichermaßen ein sinnlich-geistiges Behagen, befriedigt
unser Urtheil und zieht uns zu sich empor. Diese zarte Harmonie wird freilich
leicht alterirt, indem bald das Denken, bald das Fühlen, bald das Wollen
präponderirt. Bewegen sich die Maßverhältnisse des ästhetischen Objekts auf
der Grenze unserer Fassungskraft, so nennen wir den Eindruck erhaben. Ueber¬
steigt das Objekt die Grenze unserer Fassungskraft, so nennen wir es unendlich,
und den Eindruck, den es in uns hervorruft, Religion. Sich religiös ver¬
halten heißt also sich ästhetisch verhalten. Der Begriff der Religion
ist nichts anderes, als der seinem Objekte nach ins Unfaßbare gesteigerte Be¬
griff des Erhabenen. Und weil er dies ist, ist sowohl Fühlen als Denken und
Wollen bei der religiösen Erhebung in Betheiligung, und die Religion bestimmt
sich mithin, wie bereits bemerkt, als Bezogensein des endlichen Wesens in seiner
Totalität auf das Unendliche. Freilich gestattet die Unbegrenztheit des Objekts
den drei Seelenvermögen die schrankenloseste Entfaltung und jedem, je nach
dem Naturell seines Trägers, gelegentlich die Vorherrschaft. Daher u. a. das
Recht der Individualität, sich in der Richtung ihrer Andacht nicht von Außen
her bestimmen zu lassen, daher namentlich auch die Verschiedenheit der religiösen
Strömungen. Herrscht das Gefühl vor, so ergiebt sich der Standpunkt Schleier-
Grenzboten II. 1373. 62
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