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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Agentien: Zufall und Nützlichkeit. Dabei bleibt "jede Beziehung zu einem
Künftigen, was werden soll", also jede Teleologie ausgeschlossen. Diese letztere
Frage erfordert jedoch eine nähere Prüfung. Sie wird zu diesem Behufe von
Dr. Weygoldt scharf und prüzis dahin gefaßt: Beweist die Züchtungslehre
zwingend, daß in der Natur nur Ziellosigkeit und folglich auch Zwecklosigkeit
herrsche, und läßt sie die Ansicht nicht zu, daß die organischen Bildungen
nach einem bestimmten Plane angestrebt und erreicht werden? Zur Lösung
dieser Frage werden die Gesetze der Variation besprochen, sodann die biogene¬
tischen Grundthatsachen der Zeugung, Ernährung, des Wachsthums und Ab-
sterbens, endlich das Vorhandensein des Zweckgedankens im menschlichen
Bewußtsein. Der Raum verbietet ein näheres Eingehen auf die scharfsinnige
Untersuchung, als deren,- wie uns bedünken will, unumstößliches Resultat fest¬
steht: "Der Zweckbegriff ist von der Züchtungslehre uicht nur nicht auf ge¬
nügende Begründung hin eliminirt worden, sondern er ist ihr geradezu
unentbehrlich, wenn sie nicht in den wichtigsten Fragen in der Luft schweben
soll." Es ist wahrhaft wohlthuend, zu sehen, wie der keine Konsequenz des
philosophischen Gedankens scheuerte und jedes gesicherte Resultat der Natur¬
forschung rückhaltlos anerkennende Verfasser mit den den Meister turbulent
überbietendem Darwinianern in's Gericht geht. Die frivole Art, nicht Bewiesenes
als unfehlbare Wahrheit anzupreisen, die rein mechanische Weltanschauung als
gesichertes Gemeingut der "Gebildeten" zu verzeichnen und hinter jeder ab¬
weichenden Meinung nur Dummheit oder Obskurantismus zu vermuthen, wird
in gebührender Weise gewürdigt. Speziell Haeckel mag seinen Dank abstatten.
Der Monismus ist "das Ergebniß der philosophischen Entwickelung und die
Zukunft wird ihm mit ziemlich unzweifelhafter Gewißheit zufallen. Allein es
wird nicht der Monismus einer einzigen, blind rasenden Urkraft, noch anch
der darwinistische, blos nominelle Monismus kaleidoscopischer Partikularkräfte,
fondern es kann nur der logische und gleichwohl dem auf Gedanken absoluter
Gesetzmäßigkeit beruhende Monismus sein. Mülo tit uilül in Kiünitnin."
Ist die Welt "auf" Vernunft angelegt, wie David Strauß sagt, so muß sie
auch "von" einer Vernunft angelegt sein.

Durch die besprochene Darlegung und kritische Beleuchtungder Abstammungs¬
lehre hat sich der Verfasser den Weg gebahnt, von dem aus nun anscheinend
direkt zur Erörterung der Bedeutung der Abstammungslehre für Religion und
Sittlichkeit geschritten werden könnte. Indessen hält er es für gerathen -- und
darin liegt unsres Trachtens nicht der kleinste Vorzug der Arbeit -- vorerst die
Grenzen der Religion und Sittlichkeit zu bestimmen. Erst die Erörterung dieser
Vorfrage setzt ihn in Stand, über die Hauptfrage etwas Sicheres sagen zu können.


Agentien: Zufall und Nützlichkeit. Dabei bleibt „jede Beziehung zu einem
Künftigen, was werden soll", also jede Teleologie ausgeschlossen. Diese letztere
Frage erfordert jedoch eine nähere Prüfung. Sie wird zu diesem Behufe von
Dr. Weygoldt scharf und prüzis dahin gefaßt: Beweist die Züchtungslehre
zwingend, daß in der Natur nur Ziellosigkeit und folglich auch Zwecklosigkeit
herrsche, und läßt sie die Ansicht nicht zu, daß die organischen Bildungen
nach einem bestimmten Plane angestrebt und erreicht werden? Zur Lösung
dieser Frage werden die Gesetze der Variation besprochen, sodann die biogene¬
tischen Grundthatsachen der Zeugung, Ernährung, des Wachsthums und Ab-
sterbens, endlich das Vorhandensein des Zweckgedankens im menschlichen
Bewußtsein. Der Raum verbietet ein näheres Eingehen auf die scharfsinnige
Untersuchung, als deren,- wie uns bedünken will, unumstößliches Resultat fest¬
steht: „Der Zweckbegriff ist von der Züchtungslehre uicht nur nicht auf ge¬
nügende Begründung hin eliminirt worden, sondern er ist ihr geradezu
unentbehrlich, wenn sie nicht in den wichtigsten Fragen in der Luft schweben
soll." Es ist wahrhaft wohlthuend, zu sehen, wie der keine Konsequenz des
philosophischen Gedankens scheuerte und jedes gesicherte Resultat der Natur¬
forschung rückhaltlos anerkennende Verfasser mit den den Meister turbulent
überbietendem Darwinianern in's Gericht geht. Die frivole Art, nicht Bewiesenes
als unfehlbare Wahrheit anzupreisen, die rein mechanische Weltanschauung als
gesichertes Gemeingut der „Gebildeten" zu verzeichnen und hinter jeder ab¬
weichenden Meinung nur Dummheit oder Obskurantismus zu vermuthen, wird
in gebührender Weise gewürdigt. Speziell Haeckel mag seinen Dank abstatten.
Der Monismus ist „das Ergebniß der philosophischen Entwickelung und die
Zukunft wird ihm mit ziemlich unzweifelhafter Gewißheit zufallen. Allein es
wird nicht der Monismus einer einzigen, blind rasenden Urkraft, noch anch
der darwinistische, blos nominelle Monismus kaleidoscopischer Partikularkräfte,
fondern es kann nur der logische und gleichwohl dem auf Gedanken absoluter
Gesetzmäßigkeit beruhende Monismus sein. Mülo tit uilül in Kiünitnin."
Ist die Welt „auf" Vernunft angelegt, wie David Strauß sagt, so muß sie
auch „von" einer Vernunft angelegt sein.

Durch die besprochene Darlegung und kritische Beleuchtungder Abstammungs¬
lehre hat sich der Verfasser den Weg gebahnt, von dem aus nun anscheinend
direkt zur Erörterung der Bedeutung der Abstammungslehre für Religion und
Sittlichkeit geschritten werden könnte. Indessen hält er es für gerathen — und
darin liegt unsres Trachtens nicht der kleinste Vorzug der Arbeit — vorerst die
Grenzen der Religion und Sittlichkeit zu bestimmen. Erst die Erörterung dieser
Vorfrage setzt ihn in Stand, über die Hauptfrage etwas Sicheres sagen zu können.


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[0491] Agentien: Zufall und Nützlichkeit. Dabei bleibt „jede Beziehung zu einem Künftigen, was werden soll", also jede Teleologie ausgeschlossen. Diese letztere Frage erfordert jedoch eine nähere Prüfung. Sie wird zu diesem Behufe von Dr. Weygoldt scharf und prüzis dahin gefaßt: Beweist die Züchtungslehre zwingend, daß in der Natur nur Ziellosigkeit und folglich auch Zwecklosigkeit herrsche, und läßt sie die Ansicht nicht zu, daß die organischen Bildungen nach einem bestimmten Plane angestrebt und erreicht werden? Zur Lösung dieser Frage werden die Gesetze der Variation besprochen, sodann die biogene¬ tischen Grundthatsachen der Zeugung, Ernährung, des Wachsthums und Ab- sterbens, endlich das Vorhandensein des Zweckgedankens im menschlichen Bewußtsein. Der Raum verbietet ein näheres Eingehen auf die scharfsinnige Untersuchung, als deren,- wie uns bedünken will, unumstößliches Resultat fest¬ steht: „Der Zweckbegriff ist von der Züchtungslehre uicht nur nicht auf ge¬ nügende Begründung hin eliminirt worden, sondern er ist ihr geradezu unentbehrlich, wenn sie nicht in den wichtigsten Fragen in der Luft schweben soll." Es ist wahrhaft wohlthuend, zu sehen, wie der keine Konsequenz des philosophischen Gedankens scheuerte und jedes gesicherte Resultat der Natur¬ forschung rückhaltlos anerkennende Verfasser mit den den Meister turbulent überbietendem Darwinianern in's Gericht geht. Die frivole Art, nicht Bewiesenes als unfehlbare Wahrheit anzupreisen, die rein mechanische Weltanschauung als gesichertes Gemeingut der „Gebildeten" zu verzeichnen und hinter jeder ab¬ weichenden Meinung nur Dummheit oder Obskurantismus zu vermuthen, wird in gebührender Weise gewürdigt. Speziell Haeckel mag seinen Dank abstatten. Der Monismus ist „das Ergebniß der philosophischen Entwickelung und die Zukunft wird ihm mit ziemlich unzweifelhafter Gewißheit zufallen. Allein es wird nicht der Monismus einer einzigen, blind rasenden Urkraft, noch anch der darwinistische, blos nominelle Monismus kaleidoscopischer Partikularkräfte, fondern es kann nur der logische und gleichwohl dem auf Gedanken absoluter Gesetzmäßigkeit beruhende Monismus sein. Mülo tit uilül in Kiünitnin." Ist die Welt „auf" Vernunft angelegt, wie David Strauß sagt, so muß sie auch „von" einer Vernunft angelegt sein. Durch die besprochene Darlegung und kritische Beleuchtungder Abstammungs¬ lehre hat sich der Verfasser den Weg gebahnt, von dem aus nun anscheinend direkt zur Erörterung der Bedeutung der Abstammungslehre für Religion und Sittlichkeit geschritten werden könnte. Indessen hält er es für gerathen — und darin liegt unsres Trachtens nicht der kleinste Vorzug der Arbeit — vorerst die Grenzen der Religion und Sittlichkeit zu bestimmen. Erst die Erörterung dieser Vorfrage setzt ihn in Stand, über die Hauptfrage etwas Sicheres sagen zu können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/491>, abgerufen am 27.07.2024.