Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

des Briefes von Lord Stanhope an Feuerbach unzweifelhaft erkennen läßt."
Es können hier nur die Briefe Lord Stanhope's an Feuerbach aus Mannheim
vom 22. und 25. Januar 1332 gemeint sein, die Danaer in seinem Kaspar
Hauser S, 444 und 445 mittheilt. In diesen berichtet Stanhope, wie entzückt
die Großherzogin über Feuerbach's Schrift "Kaspar Hanser, ein Verbrechen am
Seelenleben" gewesen sei. Dieses Entzücken ist nach dem Briefe aber ein rein
ästhetisches. Das wagt anch Herr Kolb nicht zu bestreiten. Nun schreibt
aber Stanhope in dem Briefe vom 25. Januar wörtlich: "Der Graf Jenison
sagte mir hente: man hat die Unverschämtheit gehabt, zu sagen, daß Kaspar
Hauser ein Sohn der Großherzogin wäre; man hat diese Meinung sogar in
Journalen geäußert. Jemand hat es auch der Großherzogin selbst gemeldet.
Sie hat tief geseufzt und gesagt: "Ich wünsche, daß ich es glauben
könnte." Wir sahen, was Herr Kolb aus dieser Stelle macht, die er im
"Wortlaut" sehr gut kannte, da er sie selbst früher^) richtig zitirt hatte. Er
läßt das "ich wünsche" und "daß ich... könnte" weg, und behauptet: die
Großherzogin habe gesagt: "sie glaubte, daß Hauser ihr Sohn sein könnte".
Das lasse der "Wortlaut" des Briefes von Lord Stanhope unzweifelhaft er¬
kennen. Kann man dreister entstellen? Trefflich sagt hier Mittelstädt (S. 107):
"Wenn die Großherzogin wünschte, an Kaspar Hauser's Abkunft von ihr
glauben zu können, so glaubte sie eben nicht darau, und nur ihr
Mutterherz gab dem Wunsch Ausdruck: ihr Kind als Bettler oder Idioten
wiederzusehen, wäre ihr lieber als es todt zu wissen. Wenn ich sage: "ich
wünsche, ich könnte glauben", Herr Kolb kämpfe gegen Baden nicht ans schlechten
Motiven, verdrehe nicht absichtlich fremde Worte und werde erwiesene Irrthümer
eingestehen, so will ich damit noch durchaus nicht meine Ueberzeugung ausge¬
sprochen haben: dem sei in Wirklichkeit so. Ich will damit im Gegentheil
meinen Unglauben an die Loyalität des Gegners, daneben aber auch das mir
innewohnende sittliche Bedürfniß nach Wahrheit und Ehrlichkeit im Streit aus¬
gedrückt haben". Wir sind eben angelangt bei "den letzten Schlupfwinkeln
des schlechten Gewissens." Bisher sehen wir dasselbe mit grundloser Verdächtigung
operiren, jetzt mit Fälschung.

Uebrigens ist es auch ganz unrichtig, wenn Herr Kolb, der früher selbst
die Abwesenheit der Großherzogin vom Sterbezimmer in den entscheidenden
Stunden konstatirte, nun auf einmal glauben machen will: "ihr stand wohl
das beste Urtheil darüber zu, ob eine Entführung oder Unterschiebung möglich
war." Sie war zu einem solchen Urtheil gerade wegen ihrer Krankheit und
Entfernung weniger als jeder Andere im Stande und es würde daher an sich



") In der "Franks. Ztg." vom 24. März 187S.
Grenzboten II. 1378.

des Briefes von Lord Stanhope an Feuerbach unzweifelhaft erkennen läßt."
Es können hier nur die Briefe Lord Stanhope's an Feuerbach aus Mannheim
vom 22. und 25. Januar 1332 gemeint sein, die Danaer in seinem Kaspar
Hauser S, 444 und 445 mittheilt. In diesen berichtet Stanhope, wie entzückt
die Großherzogin über Feuerbach's Schrift „Kaspar Hanser, ein Verbrechen am
Seelenleben" gewesen sei. Dieses Entzücken ist nach dem Briefe aber ein rein
ästhetisches. Das wagt anch Herr Kolb nicht zu bestreiten. Nun schreibt
aber Stanhope in dem Briefe vom 25. Januar wörtlich: „Der Graf Jenison
sagte mir hente: man hat die Unverschämtheit gehabt, zu sagen, daß Kaspar
Hauser ein Sohn der Großherzogin wäre; man hat diese Meinung sogar in
Journalen geäußert. Jemand hat es auch der Großherzogin selbst gemeldet.
Sie hat tief geseufzt und gesagt: „Ich wünsche, daß ich es glauben
könnte." Wir sahen, was Herr Kolb aus dieser Stelle macht, die er im
„Wortlaut" sehr gut kannte, da er sie selbst früher^) richtig zitirt hatte. Er
läßt das „ich wünsche" und „daß ich... könnte" weg, und behauptet: die
Großherzogin habe gesagt: „sie glaubte, daß Hauser ihr Sohn sein könnte".
Das lasse der „Wortlaut" des Briefes von Lord Stanhope unzweifelhaft er¬
kennen. Kann man dreister entstellen? Trefflich sagt hier Mittelstädt (S. 107):
„Wenn die Großherzogin wünschte, an Kaspar Hauser's Abkunft von ihr
glauben zu können, so glaubte sie eben nicht darau, und nur ihr
Mutterherz gab dem Wunsch Ausdruck: ihr Kind als Bettler oder Idioten
wiederzusehen, wäre ihr lieber als es todt zu wissen. Wenn ich sage: „ich
wünsche, ich könnte glauben", Herr Kolb kämpfe gegen Baden nicht ans schlechten
Motiven, verdrehe nicht absichtlich fremde Worte und werde erwiesene Irrthümer
eingestehen, so will ich damit noch durchaus nicht meine Ueberzeugung ausge¬
sprochen haben: dem sei in Wirklichkeit so. Ich will damit im Gegentheil
meinen Unglauben an die Loyalität des Gegners, daneben aber auch das mir
innewohnende sittliche Bedürfniß nach Wahrheit und Ehrlichkeit im Streit aus¬
gedrückt haben". Wir sind eben angelangt bei „den letzten Schlupfwinkeln
des schlechten Gewissens." Bisher sehen wir dasselbe mit grundloser Verdächtigung
operiren, jetzt mit Fälschung.

Uebrigens ist es auch ganz unrichtig, wenn Herr Kolb, der früher selbst
die Abwesenheit der Großherzogin vom Sterbezimmer in den entscheidenden
Stunden konstatirte, nun auf einmal glauben machen will: „ihr stand wohl
das beste Urtheil darüber zu, ob eine Entführung oder Unterschiebung möglich
war." Sie war zu einem solchen Urtheil gerade wegen ihrer Krankheit und
Entfernung weniger als jeder Andere im Stande und es würde daher an sich



") In der „Franks. Ztg." vom 24. März 187S.
Grenzboten II. 1378.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140298"/>
          <p xml:id="ID_1365" prev="#ID_1364"> des Briefes von Lord Stanhope an Feuerbach unzweifelhaft erkennen läßt."<lb/>
Es können hier nur die Briefe Lord Stanhope's an Feuerbach aus Mannheim<lb/>
vom 22. und 25. Januar 1332 gemeint sein, die Danaer in seinem Kaspar<lb/>
Hauser S, 444 und 445 mittheilt. In diesen berichtet Stanhope, wie entzückt<lb/>
die Großherzogin über Feuerbach's Schrift &#x201E;Kaspar Hanser, ein Verbrechen am<lb/>
Seelenleben" gewesen sei. Dieses Entzücken ist nach dem Briefe aber ein rein<lb/>
ästhetisches. Das wagt anch Herr Kolb nicht zu bestreiten. Nun schreibt<lb/>
aber Stanhope in dem Briefe vom 25. Januar wörtlich: &#x201E;Der Graf Jenison<lb/>
sagte mir hente: man hat die Unverschämtheit gehabt, zu sagen, daß Kaspar<lb/>
Hauser ein Sohn der Großherzogin wäre; man hat diese Meinung sogar in<lb/>
Journalen geäußert. Jemand hat es auch der Großherzogin selbst gemeldet.<lb/>
Sie hat tief geseufzt und gesagt: &#x201E;Ich wünsche, daß ich es glauben<lb/>
könnte." Wir sahen, was Herr Kolb aus dieser Stelle macht, die er im<lb/>
&#x201E;Wortlaut" sehr gut kannte, da er sie selbst früher^) richtig zitirt hatte. Er<lb/>
läßt das &#x201E;ich wünsche" und &#x201E;daß ich... könnte" weg, und behauptet: die<lb/>
Großherzogin habe gesagt: &#x201E;sie glaubte, daß Hauser ihr Sohn sein könnte".<lb/>
Das lasse der &#x201E;Wortlaut" des Briefes von Lord Stanhope unzweifelhaft er¬<lb/>
kennen. Kann man dreister entstellen? Trefflich sagt hier Mittelstädt (S. 107):<lb/>
&#x201E;Wenn die Großherzogin wünschte, an Kaspar Hauser's Abkunft von ihr<lb/>
glauben zu können, so glaubte sie eben nicht darau, und nur ihr<lb/>
Mutterherz gab dem Wunsch Ausdruck: ihr Kind als Bettler oder Idioten<lb/>
wiederzusehen, wäre ihr lieber als es todt zu wissen. Wenn ich sage: &#x201E;ich<lb/>
wünsche, ich könnte glauben", Herr Kolb kämpfe gegen Baden nicht ans schlechten<lb/>
Motiven, verdrehe nicht absichtlich fremde Worte und werde erwiesene Irrthümer<lb/>
eingestehen, so will ich damit noch durchaus nicht meine Ueberzeugung ausge¬<lb/>
sprochen haben: dem sei in Wirklichkeit so. Ich will damit im Gegentheil<lb/>
meinen Unglauben an die Loyalität des Gegners, daneben aber auch das mir<lb/>
innewohnende sittliche Bedürfniß nach Wahrheit und Ehrlichkeit im Streit aus¬<lb/>
gedrückt haben". Wir sind eben angelangt bei &#x201E;den letzten Schlupfwinkeln<lb/>
des schlechten Gewissens." Bisher sehen wir dasselbe mit grundloser Verdächtigung<lb/>
operiren, jetzt mit Fälschung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1366" next="#ID_1367"> Uebrigens ist es auch ganz unrichtig, wenn Herr Kolb, der früher selbst<lb/>
die Abwesenheit der Großherzogin vom Sterbezimmer in den entscheidenden<lb/>
Stunden konstatirte, nun auf einmal glauben machen will: &#x201E;ihr stand wohl<lb/>
das beste Urtheil darüber zu, ob eine Entführung oder Unterschiebung möglich<lb/>
war." Sie war zu einem solchen Urtheil gerade wegen ihrer Krankheit und<lb/>
Entfernung weniger als jeder Andere im Stande und es würde daher an sich</p><lb/>
          <note xml:id="FID_155" place="foot"> ") In der &#x201E;Franks. Ztg." vom 24. März 187S.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1378.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0477] des Briefes von Lord Stanhope an Feuerbach unzweifelhaft erkennen läßt." Es können hier nur die Briefe Lord Stanhope's an Feuerbach aus Mannheim vom 22. und 25. Januar 1332 gemeint sein, die Danaer in seinem Kaspar Hauser S, 444 und 445 mittheilt. In diesen berichtet Stanhope, wie entzückt die Großherzogin über Feuerbach's Schrift „Kaspar Hanser, ein Verbrechen am Seelenleben" gewesen sei. Dieses Entzücken ist nach dem Briefe aber ein rein ästhetisches. Das wagt anch Herr Kolb nicht zu bestreiten. Nun schreibt aber Stanhope in dem Briefe vom 25. Januar wörtlich: „Der Graf Jenison sagte mir hente: man hat die Unverschämtheit gehabt, zu sagen, daß Kaspar Hauser ein Sohn der Großherzogin wäre; man hat diese Meinung sogar in Journalen geäußert. Jemand hat es auch der Großherzogin selbst gemeldet. Sie hat tief geseufzt und gesagt: „Ich wünsche, daß ich es glauben könnte." Wir sahen, was Herr Kolb aus dieser Stelle macht, die er im „Wortlaut" sehr gut kannte, da er sie selbst früher^) richtig zitirt hatte. Er läßt das „ich wünsche" und „daß ich... könnte" weg, und behauptet: die Großherzogin habe gesagt: „sie glaubte, daß Hauser ihr Sohn sein könnte". Das lasse der „Wortlaut" des Briefes von Lord Stanhope unzweifelhaft er¬ kennen. Kann man dreister entstellen? Trefflich sagt hier Mittelstädt (S. 107): „Wenn die Großherzogin wünschte, an Kaspar Hauser's Abkunft von ihr glauben zu können, so glaubte sie eben nicht darau, und nur ihr Mutterherz gab dem Wunsch Ausdruck: ihr Kind als Bettler oder Idioten wiederzusehen, wäre ihr lieber als es todt zu wissen. Wenn ich sage: „ich wünsche, ich könnte glauben", Herr Kolb kämpfe gegen Baden nicht ans schlechten Motiven, verdrehe nicht absichtlich fremde Worte und werde erwiesene Irrthümer eingestehen, so will ich damit noch durchaus nicht meine Ueberzeugung ausge¬ sprochen haben: dem sei in Wirklichkeit so. Ich will damit im Gegentheil meinen Unglauben an die Loyalität des Gegners, daneben aber auch das mir innewohnende sittliche Bedürfniß nach Wahrheit und Ehrlichkeit im Streit aus¬ gedrückt haben". Wir sind eben angelangt bei „den letzten Schlupfwinkeln des schlechten Gewissens." Bisher sehen wir dasselbe mit grundloser Verdächtigung operiren, jetzt mit Fälschung. Uebrigens ist es auch ganz unrichtig, wenn Herr Kolb, der früher selbst die Abwesenheit der Großherzogin vom Sterbezimmer in den entscheidenden Stunden konstatirte, nun auf einmal glauben machen will: „ihr stand wohl das beste Urtheil darüber zu, ob eine Entführung oder Unterschiebung möglich war." Sie war zu einem solchen Urtheil gerade wegen ihrer Krankheit und Entfernung weniger als jeder Andere im Stande und es würde daher an sich ") In der „Franks. Ztg." vom 24. März 187S. Grenzboten II. 1378.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/477
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/477>, abgerufen am 27.07.2024.