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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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ziehen sollen, in eitles Gerede auf. Aber um führt Herr Kolb sein schwerstes
Geschütz von "ungewöhnlichen Umständen" ans. Verdächtig ist ihm vor Allen,
daß im Protokoll über die Nvthtciufe nicht auch die Mutter des Prinzen
und dessen Amme aufgeführt sind. Sie beide fehlten im Krankenzimmer und
am Sterbebett des Prinzen; sie beide durften den Sterbenden nicht sehen,
behauptet Herr Kolb ganz direkt. In der Urkunde über die Nothtaufe steht von
den Beiden (Mutter und Amme) allerdings gar nichts, daraus folgt aber von felbst,
daß auch keineswegs darin stehen kann, daß Mutter und Amme das Zimmer
nicht hätten betreten dürfen. Im Gegentheil, beide könnten sogar im Zimmer
anwesend gewesen sein, ohne daß die Urkunde sie aufgeführt haben würde.
So wissen wir z. B. bestimmt, daß die verwittwete Markgräfin Amalie, die Gro߬
mutter des Erbprinzen, in dessen letzten Lebensstunden und bis zu dessen Tode
nu seinem Bette anwesend war; das Protokoll erwähnt sie gleichwohl nicht.
Eine größere Anzahl weiblicher und männlicher Hofbedienten war ferner be¬
stimmt in denselben Stunden zugegen; das Protokoll führt sie Alle nicht ans,
weil es eben ein Taufzeugniß war, in welchem eben nur die Solennitätszengen
namhaft zu machen waren, gerade wie noch heute in einem Taufzeugniß nicht
die Namen der ganzen Tausgesellschaft, sondern nur diejenigen der Tanfzeugen
aufgeführt werden. Aber wir geben zu: die Mutter des Prinzen war ver¬
muthlich wirklich uicht zugegen und zwar sehr wahrscheinlich deshalb nicht,
weil mau ihr in der That die Schwere der Krankheit des Prinzen verheim¬
lichte, sie in das Zimmer auch nicht zugelassen haben würde, wenn ihr die
Gefährlichkeit des Zustandes ihres Kindes bekannt gewesen wäre. Der Grund
dafür liegt auf der Hand. Er ist, wie wir sehen werden, auch Herrn Kolb
bekannt. Die Großherzogin war krank, sie lag noch lebensgefährlich darnieder
an den Folgen einer sehr schweren Entbindung. Sie zusehen zu lassen, wie
ihr Kind starb, hieß ihr Leben freventlich auf das Spiel setzen. Einem so
gediegenen Zweifler wie Herrn Kolb genügt natürlich diese einfache Erklärung
nicht. "Die Mutter war es, der.ein anderes Kind nicht leicht untergeschoben
werden konnte. Wäre sie gegenwärtig gewesen, dann müßten die Zweifel
verstummen!" Sie ist nicht gegenwärtig gewesen, ergänzt der dnrch Herrn
Kolb's Scharfsinn in schneidiger Erkenntniß geförderte Leser -- folglich hat
man ihr ein andres Kind untergeschoben. Hat Herr Kolb Wohl eine Ahnung
zugleich von der Verwirrung und von der Schwere der Verdächtigung, die er
sich erlaubt? Bis hierher waren die Gräfin Hochberg, der Markgraf Ludwig,
allenfalls ein Paar Hofschranzen, "abgesehen von den Aerzten", die Verbrecher.
Jetzt ist der ganze Hof, die ganze um das Sterbebett versammelte Gesellschaft,
also der eigene Vater, die eigene Großmutter des Kindes mit im Komplott, um
die arme kranke Großherzogin um ihr Kind zu betrügen! Wahrlich, Mittel-


ziehen sollen, in eitles Gerede auf. Aber um führt Herr Kolb sein schwerstes
Geschütz von „ungewöhnlichen Umständen" ans. Verdächtig ist ihm vor Allen,
daß im Protokoll über die Nvthtciufe nicht auch die Mutter des Prinzen
und dessen Amme aufgeführt sind. Sie beide fehlten im Krankenzimmer und
am Sterbebett des Prinzen; sie beide durften den Sterbenden nicht sehen,
behauptet Herr Kolb ganz direkt. In der Urkunde über die Nothtaufe steht von
den Beiden (Mutter und Amme) allerdings gar nichts, daraus folgt aber von felbst,
daß auch keineswegs darin stehen kann, daß Mutter und Amme das Zimmer
nicht hätten betreten dürfen. Im Gegentheil, beide könnten sogar im Zimmer
anwesend gewesen sein, ohne daß die Urkunde sie aufgeführt haben würde.
So wissen wir z. B. bestimmt, daß die verwittwete Markgräfin Amalie, die Gro߬
mutter des Erbprinzen, in dessen letzten Lebensstunden und bis zu dessen Tode
nu seinem Bette anwesend war; das Protokoll erwähnt sie gleichwohl nicht.
Eine größere Anzahl weiblicher und männlicher Hofbedienten war ferner be¬
stimmt in denselben Stunden zugegen; das Protokoll führt sie Alle nicht ans,
weil es eben ein Taufzeugniß war, in welchem eben nur die Solennitätszengen
namhaft zu machen waren, gerade wie noch heute in einem Taufzeugniß nicht
die Namen der ganzen Tausgesellschaft, sondern nur diejenigen der Tanfzeugen
aufgeführt werden. Aber wir geben zu: die Mutter des Prinzen war ver¬
muthlich wirklich uicht zugegen und zwar sehr wahrscheinlich deshalb nicht,
weil mau ihr in der That die Schwere der Krankheit des Prinzen verheim¬
lichte, sie in das Zimmer auch nicht zugelassen haben würde, wenn ihr die
Gefährlichkeit des Zustandes ihres Kindes bekannt gewesen wäre. Der Grund
dafür liegt auf der Hand. Er ist, wie wir sehen werden, auch Herrn Kolb
bekannt. Die Großherzogin war krank, sie lag noch lebensgefährlich darnieder
an den Folgen einer sehr schweren Entbindung. Sie zusehen zu lassen, wie
ihr Kind starb, hieß ihr Leben freventlich auf das Spiel setzen. Einem so
gediegenen Zweifler wie Herrn Kolb genügt natürlich diese einfache Erklärung
nicht. „Die Mutter war es, der.ein anderes Kind nicht leicht untergeschoben
werden konnte. Wäre sie gegenwärtig gewesen, dann müßten die Zweifel
verstummen!" Sie ist nicht gegenwärtig gewesen, ergänzt der dnrch Herrn
Kolb's Scharfsinn in schneidiger Erkenntniß geförderte Leser — folglich hat
man ihr ein andres Kind untergeschoben. Hat Herr Kolb Wohl eine Ahnung
zugleich von der Verwirrung und von der Schwere der Verdächtigung, die er
sich erlaubt? Bis hierher waren die Gräfin Hochberg, der Markgraf Ludwig,
allenfalls ein Paar Hofschranzen, „abgesehen von den Aerzten", die Verbrecher.
Jetzt ist der ganze Hof, die ganze um das Sterbebett versammelte Gesellschaft,
also der eigene Vater, die eigene Großmutter des Kindes mit im Komplott, um
die arme kranke Großherzogin um ihr Kind zu betrügen! Wahrlich, Mittel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/473>, abgerufen am 27.07.2024.