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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Stadt hat Recht, wenn er sagt, daß man bei solchen Resultaten der Kolb'schen
Logik "die letzten Schlupfwinkel des bösen Gewissens beleuchte".

Noch weit verdächtiger aber erscheint Herrn Kolb das Fehlen der Amme
in der Urkunde über die Nothtaufe, im Sterbezimmer überhaupt. Hier wagt
Herr Kolb dieselbe Beschuldigung wie bei der Großherzogin: sie (Amme wie
Großherzogin) ist absichtlich d. h. in verbrecherischer Absicht vom Sterbezimmer
ferngehalten und dadurch allein die Vertauschung des echten Prinzen mit einem
sterbenden Findelkind erwöglicht worden. Wenn man so etwas ruhig liest
und aus dem Zusammenhang des leidenschaftlichen Plaidoyers herausnimmt,
so klingt es -- genau so albern, wie es in der That zu sein den vollsten
Anspruch hat. Die Amme des Prinzen ist hiernach im ganzen großherzog¬
lichen Hause die einzige Person, die ihre fünf Sinne beieinander hat und
zugleich die Einzige, welche für die Interessen des armen echten Prinzen noch
ein bischen Gefühl besitzt. Alle Uebrigen: die Aerzte, die Hofbeamten, die
Hebamme (oder besser Pflegerin des Prinzen), selbst die Großmutter, der Vater,
siud nach Herrn Kolb Idioten, Betrüger oder Betrogene. Sie Alle kommen
nicht entfernt auf gegen die Amme. Um uns eine so beispiellos groteske Be¬
hauptung mundgerecht zu machen, beruft sich Herr Kolb ans einen Gewährs¬
mann, der in seinen Angen, wie in denen jedes Vollblutdemvkraten, den Edelrose
rechtsverwährter patriarchalischer Autorität für sich auszuweisen hat. Es ist der
selige Geheimrath Welcker, staatslexikalischen Angedenkens. Der gewaltigen
Menge der Deutschen, welche es nicht als den kleinsten Fortschritt unsrer
Tage begrüßen, daß sie vollständig gebrochen haben mit den Irrthümern dieses
Mannes, die s. Z. als Evangelium aller Liberalen in Deutschland begrüßt
wurden, kann die Berufung auf diesen Gewährsmann von Haus aus nnr
peinliche Zweifel und Empfindungen erregen. Um so wohler fühlt sich natür¬
lich Herr Kolb und das Gremium seiner Genossen dabei. Ach, und die Ge¬
schichte die uus Herr Kolb von dein alten Geheimen Rath erzählt, zaubert
ihn ja auch so urwüchsig vor unsre Erinnerung, daß sie uicht erfunden sein
kann. So, gewiß so, hat der alte Herr die Sache erzählt. Was wahr
daran ist, können wir ja nachher ermitteln.

Also um 30. August 1857 hat der Jubelgreis des vormärzlichen Libera¬
lismus Herrn Kolb erzählt/) "in der ersten Hälfte der 1830er Jahre, als alle
Welt von Kaspar Hauser sprach", habe er in Karlsruhe durch Vermittelung
seiner Wirthsleute sich bemüht, die Bekanntschaft der Amme des Erbprinzen
zu machen, einer ehrsamen Bürgersfrau aus Karlsruhe. Den Namen nennt der
alte Herr nicht. An einem schönen Sommernachmittag, auf dem Heimwege



") "Frankfurter Zeitung" 1S72, Ur. 61.

Stadt hat Recht, wenn er sagt, daß man bei solchen Resultaten der Kolb'schen
Logik „die letzten Schlupfwinkel des bösen Gewissens beleuchte".

Noch weit verdächtiger aber erscheint Herrn Kolb das Fehlen der Amme
in der Urkunde über die Nothtaufe, im Sterbezimmer überhaupt. Hier wagt
Herr Kolb dieselbe Beschuldigung wie bei der Großherzogin: sie (Amme wie
Großherzogin) ist absichtlich d. h. in verbrecherischer Absicht vom Sterbezimmer
ferngehalten und dadurch allein die Vertauschung des echten Prinzen mit einem
sterbenden Findelkind erwöglicht worden. Wenn man so etwas ruhig liest
und aus dem Zusammenhang des leidenschaftlichen Plaidoyers herausnimmt,
so klingt es — genau so albern, wie es in der That zu sein den vollsten
Anspruch hat. Die Amme des Prinzen ist hiernach im ganzen großherzog¬
lichen Hause die einzige Person, die ihre fünf Sinne beieinander hat und
zugleich die Einzige, welche für die Interessen des armen echten Prinzen noch
ein bischen Gefühl besitzt. Alle Uebrigen: die Aerzte, die Hofbeamten, die
Hebamme (oder besser Pflegerin des Prinzen), selbst die Großmutter, der Vater,
siud nach Herrn Kolb Idioten, Betrüger oder Betrogene. Sie Alle kommen
nicht entfernt auf gegen die Amme. Um uns eine so beispiellos groteske Be¬
hauptung mundgerecht zu machen, beruft sich Herr Kolb ans einen Gewährs¬
mann, der in seinen Angen, wie in denen jedes Vollblutdemvkraten, den Edelrose
rechtsverwährter patriarchalischer Autorität für sich auszuweisen hat. Es ist der
selige Geheimrath Welcker, staatslexikalischen Angedenkens. Der gewaltigen
Menge der Deutschen, welche es nicht als den kleinsten Fortschritt unsrer
Tage begrüßen, daß sie vollständig gebrochen haben mit den Irrthümern dieses
Mannes, die s. Z. als Evangelium aller Liberalen in Deutschland begrüßt
wurden, kann die Berufung auf diesen Gewährsmann von Haus aus nnr
peinliche Zweifel und Empfindungen erregen. Um so wohler fühlt sich natür¬
lich Herr Kolb und das Gremium seiner Genossen dabei. Ach, und die Ge¬
schichte die uus Herr Kolb von dein alten Geheimen Rath erzählt, zaubert
ihn ja auch so urwüchsig vor unsre Erinnerung, daß sie uicht erfunden sein
kann. So, gewiß so, hat der alte Herr die Sache erzählt. Was wahr
daran ist, können wir ja nachher ermitteln.

Also um 30. August 1857 hat der Jubelgreis des vormärzlichen Libera¬
lismus Herrn Kolb erzählt/) „in der ersten Hälfte der 1830er Jahre, als alle
Welt von Kaspar Hauser sprach", habe er in Karlsruhe durch Vermittelung
seiner Wirthsleute sich bemüht, die Bekanntschaft der Amme des Erbprinzen
zu machen, einer ehrsamen Bürgersfrau aus Karlsruhe. Den Namen nennt der
alte Herr nicht. An einem schönen Sommernachmittag, auf dem Heimwege



") „Frankfurter Zeitung" 1S72, Ur. 61.
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[0474] Stadt hat Recht, wenn er sagt, daß man bei solchen Resultaten der Kolb'schen Logik „die letzten Schlupfwinkel des bösen Gewissens beleuchte". Noch weit verdächtiger aber erscheint Herrn Kolb das Fehlen der Amme in der Urkunde über die Nothtaufe, im Sterbezimmer überhaupt. Hier wagt Herr Kolb dieselbe Beschuldigung wie bei der Großherzogin: sie (Amme wie Großherzogin) ist absichtlich d. h. in verbrecherischer Absicht vom Sterbezimmer ferngehalten und dadurch allein die Vertauschung des echten Prinzen mit einem sterbenden Findelkind erwöglicht worden. Wenn man so etwas ruhig liest und aus dem Zusammenhang des leidenschaftlichen Plaidoyers herausnimmt, so klingt es — genau so albern, wie es in der That zu sein den vollsten Anspruch hat. Die Amme des Prinzen ist hiernach im ganzen großherzog¬ lichen Hause die einzige Person, die ihre fünf Sinne beieinander hat und zugleich die Einzige, welche für die Interessen des armen echten Prinzen noch ein bischen Gefühl besitzt. Alle Uebrigen: die Aerzte, die Hofbeamten, die Hebamme (oder besser Pflegerin des Prinzen), selbst die Großmutter, der Vater, siud nach Herrn Kolb Idioten, Betrüger oder Betrogene. Sie Alle kommen nicht entfernt auf gegen die Amme. Um uns eine so beispiellos groteske Be¬ hauptung mundgerecht zu machen, beruft sich Herr Kolb ans einen Gewährs¬ mann, der in seinen Angen, wie in denen jedes Vollblutdemvkraten, den Edelrose rechtsverwährter patriarchalischer Autorität für sich auszuweisen hat. Es ist der selige Geheimrath Welcker, staatslexikalischen Angedenkens. Der gewaltigen Menge der Deutschen, welche es nicht als den kleinsten Fortschritt unsrer Tage begrüßen, daß sie vollständig gebrochen haben mit den Irrthümern dieses Mannes, die s. Z. als Evangelium aller Liberalen in Deutschland begrüßt wurden, kann die Berufung auf diesen Gewährsmann von Haus aus nnr peinliche Zweifel und Empfindungen erregen. Um so wohler fühlt sich natür¬ lich Herr Kolb und das Gremium seiner Genossen dabei. Ach, und die Ge¬ schichte die uus Herr Kolb von dein alten Geheimen Rath erzählt, zaubert ihn ja auch so urwüchsig vor unsre Erinnerung, daß sie uicht erfunden sein kann. So, gewiß so, hat der alte Herr die Sache erzählt. Was wahr daran ist, können wir ja nachher ermitteln. Also um 30. August 1857 hat der Jubelgreis des vormärzlichen Libera¬ lismus Herrn Kolb erzählt/) „in der ersten Hälfte der 1830er Jahre, als alle Welt von Kaspar Hauser sprach", habe er in Karlsruhe durch Vermittelung seiner Wirthsleute sich bemüht, die Bekanntschaft der Amme des Erbprinzen zu machen, einer ehrsamen Bürgersfrau aus Karlsruhe. Den Namen nennt der alte Herr nicht. An einem schönen Sommernachmittag, auf dem Heimwege ") „Frankfurter Zeitung" 1S72, Ur. 61.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/474>, abgerufen am 27.07.2024.