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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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gegengenommen werden, aber sie beweisen wenigstens,--was übrigens auch betreffs
beider Aerzte scholl die von beiden Aerzten neun Tage lang ausgegebenen
Bulletins über des Prinzen Instand beweisen, daß Dr. Kramer den Prinzen
seit seiner Geburt behandelt hat und daß man ihm daher einen Wechselbalg
nicht für den Erbprinzen unterschieben konnte -- wenn man nicht die traurige
Stirn haben will, ihn der gröbsten Felonie und des niederträchtigsten Verbrechens
zu bezichtigen, und zwar ohne den Schatten eines Verdachtes! Bleibt also mir
noch Herr Geheimrath Schrickel. Er war der langjährige Leibarzt des Gro߬
herzoglichen Hauses vor und nach der Katastrophe vom 16. Oktober 1812.
Niemals hat irgend wer gegen ihn den Verdacht irgend einer unlauteren
Handlung zu erheben gewagt. Er, wie Dr. Kramer erfreute sich bis an sein
Lebensende des allgemeinsten Vertrauens, des höchsten Ansehens bei Hoch und
Niedrig. Also: "abgesehen von den Aerzten"! Herr Kolb, wenn Sie verdäch¬
tigen wollen!

Bleibt die Hebamme "Horstiu ans Mannheim". Sollte sie der schwarzen
That sähig gewesen sein? Auch das wagen Herr Kolb und Konsorten nicht zu sagen.
Es wäre auch zu thöricht! Diese Frau hatte die Großherzogin nicht zu ihrer eigenen
Entbindung, sondern nur zur Pflege und Wartung des Prinzen aus Mann¬
heim kommen lassen, weil sie ihr mit Recht vollkommen vertraute. Die Horst
hat später bei der Geburt der Prinzessin Marie, der späteren Frau Herzogin
von Hamilton, dieselben Dienste geleistet. Oder war diese Frau etwa auch
so "beschränkt, indolent und stumpf", um am achtzehnten Tag seines Lebens
den ihr zur Pflege übergebenen Prinzen nicht mehr von einem beliebigen
andern Kinde unterscheiden zu können? Auch das wagt man in der Eschen-
heimer Gasse denn doch nicht zu insiuuiren. Aber die Hebamme und die
beiden Hofbeamten sind dafür nach Kolb in hohem Grade befangen gewesen
durch die Außerordentlichkeit der Umstände, durch die prinzliche Nothtaufe,
die für eine Täuschung ausgesucht giiustige Stunde des Zwielichts (fünf Uhr
Abends am sechzehnten Oktober), ihre Furcht, die Feierlichkeit der Handlung
durch irgend eine Bemerkung über das veränderte Aussehen des sterbenden
Kindes zu unterbrechen ?e. Das macht sie in den Augen Herrn Kolb's zu
durchaus verdächtigen Zeugen. Wie sonderbar, daß doch gerade diese nach
Herrn Kolb am fassungslosesten sich geberdenden Kreaturen die feierliche Handlung
selbstthätig vollzogen und beurkundet haben! Die Hebamme Horst vollzog die
Nothtaufe. Hofmarschall v. Gayling führte das Protokoll darüber. Marquis
v. Montperny fungirte als Solennitäiszeuge im Protokoll selbst, nicht blos als
Zeuge des Taufaktes.

Bisher lösen sich also die angeblich so "außergelvöhulichen" Unistäude,
welche dem Identitätsbeweise der Nothtaufs-Urkunde die Glaubwürdigkeit eut-


gegengenommen werden, aber sie beweisen wenigstens,—was übrigens auch betreffs
beider Aerzte scholl die von beiden Aerzten neun Tage lang ausgegebenen
Bulletins über des Prinzen Instand beweisen, daß Dr. Kramer den Prinzen
seit seiner Geburt behandelt hat und daß man ihm daher einen Wechselbalg
nicht für den Erbprinzen unterschieben konnte — wenn man nicht die traurige
Stirn haben will, ihn der gröbsten Felonie und des niederträchtigsten Verbrechens
zu bezichtigen, und zwar ohne den Schatten eines Verdachtes! Bleibt also mir
noch Herr Geheimrath Schrickel. Er war der langjährige Leibarzt des Gro߬
herzoglichen Hauses vor und nach der Katastrophe vom 16. Oktober 1812.
Niemals hat irgend wer gegen ihn den Verdacht irgend einer unlauteren
Handlung zu erheben gewagt. Er, wie Dr. Kramer erfreute sich bis an sein
Lebensende des allgemeinsten Vertrauens, des höchsten Ansehens bei Hoch und
Niedrig. Also: „abgesehen von den Aerzten"! Herr Kolb, wenn Sie verdäch¬
tigen wollen!

Bleibt die Hebamme „Horstiu ans Mannheim". Sollte sie der schwarzen
That sähig gewesen sein? Auch das wagen Herr Kolb und Konsorten nicht zu sagen.
Es wäre auch zu thöricht! Diese Frau hatte die Großherzogin nicht zu ihrer eigenen
Entbindung, sondern nur zur Pflege und Wartung des Prinzen aus Mann¬
heim kommen lassen, weil sie ihr mit Recht vollkommen vertraute. Die Horst
hat später bei der Geburt der Prinzessin Marie, der späteren Frau Herzogin
von Hamilton, dieselben Dienste geleistet. Oder war diese Frau etwa auch
so „beschränkt, indolent und stumpf", um am achtzehnten Tag seines Lebens
den ihr zur Pflege übergebenen Prinzen nicht mehr von einem beliebigen
andern Kinde unterscheiden zu können? Auch das wagt man in der Eschen-
heimer Gasse denn doch nicht zu insiuuiren. Aber die Hebamme und die
beiden Hofbeamten sind dafür nach Kolb in hohem Grade befangen gewesen
durch die Außerordentlichkeit der Umstände, durch die prinzliche Nothtaufe,
die für eine Täuschung ausgesucht giiustige Stunde des Zwielichts (fünf Uhr
Abends am sechzehnten Oktober), ihre Furcht, die Feierlichkeit der Handlung
durch irgend eine Bemerkung über das veränderte Aussehen des sterbenden
Kindes zu unterbrechen ?e. Das macht sie in den Augen Herrn Kolb's zu
durchaus verdächtigen Zeugen. Wie sonderbar, daß doch gerade diese nach
Herrn Kolb am fassungslosesten sich geberdenden Kreaturen die feierliche Handlung
selbstthätig vollzogen und beurkundet haben! Die Hebamme Horst vollzog die
Nothtaufe. Hofmarschall v. Gayling führte das Protokoll darüber. Marquis
v. Montperny fungirte als Solennitäiszeuge im Protokoll selbst, nicht blos als
Zeuge des Taufaktes.

Bisher lösen sich also die angeblich so „außergelvöhulichen" Unistäude,
welche dem Identitätsbeweise der Nothtaufs-Urkunde die Glaubwürdigkeit eut-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/472>, abgerufen am 27.07.2024.