Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.Mythus vom anonymen "Arzte" oder der unbestimmten "Hebamme", welch" Die Verlegenheit, welche die Veröffentlichung schou dieser einen Urkunde 5) "Frankfurter Zeitung" 1875, S. 168. Denkwürdigkeiten, Bd. IX., S. 12, 16, 17.
Mythus vom anonymen „Arzte" oder der unbestimmten „Hebamme", welch« Die Verlegenheit, welche die Veröffentlichung schou dieser einen Urkunde 5) „Frankfurter Zeitung" 1875, S. 168. Denkwürdigkeiten, Bd. IX., S. 12, 16, 17.
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Mythus vom anonymen „Arzte" oder der unbestimmten „Hebamme", welch«
im Bunde mit der Hochberg und dem Markgrafen Ludwig den badischen Erb¬
prinzen eskamotirten, ist seitdem nicht mehr haltbar. Wir haben bestimmte
Personen von Fleisch und Blut vor uus, mit deren ganzem Leben und Nils
die Verleumder sich abzufinden haben, wenn sie dieselben für Idioten oder
Verbrecher erklären, denen man einen Streich dieser Art ungestraft hätte ansinnen
können. Und wir werden das Ansehen dieser Persönlichkeiten prüfen. Die
Urkunde über die Nothtaufe enthält weiter die bestimmtesten Angaben über die
Krankheitsursache, den Krankheitsverlauf, die Todesstunde und muthmaßliche
Todesursache des Prinzen, und endlich — die Hauptsache — geht daraus die
bestimmteste Versicherung hervor, daß die sämmtlichen Personen, die in den
letzten Stunden um deu Prinzen anwesend waren, einschließlich der beiden
Aerzte, des Vaters und der Hebamme, über die Identität des
kranken Kindes mit dem am 29. September geborenen Erb¬
prinzen nicht den geringsten Zweifel hegten.
Die Verlegenheit, welche die Veröffentlichung schou dieser einen Urkunde
im Kreise der Hauser-Prinzenschafts-Theoretiker hervorrief, war von geradezu
erschütternder Komik. Herr Kolb erklärte in einem Athem, diese und die
beiden andern Urkunden für „vollständig irrelevant", zehn Zeilen später"') aber
sagt er über die Nothtaufsurkunde: „Unbedingt wird man zugeben, daß die
Anwesenheit der bezeichneten Personen unter gewöhnlichen Verhältnissen
einen vollgültigen Beweis für die Identität des Kindes bilden würde!"
Also „vollständige Irrelevanz" und „vollgültiger Beweis" für die Identität des
Kindes in einem einzigen Beweisstück vereinigt! Man kann die Unfreiwilligkeit
der Komik nicht gut weiter treiben. Aber Herr Kolb hat ja noch eine sehr
ernsthafte Reserve gemacht: „unter gewöhnlichen Verhältnissen" würde
die Urkunde einen vollen Identitätsbeweis liefern. Die vorliegenden Ver¬
hältnisse dagegen waren ungewöhnlich! Warum? Zunächst war da der Vater
des Prinzen, Großherzog Karl; er ist nach Kolb „beschränkt, indolent und
stumpf". Woher Herr Kolb das weiß, sagt er nicht. „Ein Volksmann braucht
nichts zu beweisen", rief einmal Schaffrath im ersten deutschen Parlament.
Das scheint sich Herr Kolb gemerkt zu haben. Die Lieblingsquelle des Herrn
Kolb für Hofmedisancen, der gute, sanfte Varnhagen läßt hier Herrn Kolb
ganz im Stiche. Nie hat die zu heimlichen Bosheiten und Hofklatsch so bereite
Feder Varnhagen's zu flüstern gewagt, daß Groszherzog Karl „beschränkt, in¬
dolent und stumpf" gewesen sei. Im Gegentheil, Varnhagen schildert ihn*) als
5) „Frankfurter Zeitung" 1875, S. 168.
Denkwürdigkeiten, Bd. IX., S. 12, 16, 17.
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