Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir danken die volle Gewißheit hierüber den amtlichen llrknudeu ans
dem badischen Hansarchiv, welche die badische Regierung in Folge der dreisten
Provokationen Herrn Kolb's und seiner Gesinnnngsverwcmdten am 3. Juni
1875") veröffentlichte. Diese Beweisstücke sind vom 16., 18. und 31. Oktober
1812 datirt und enthalten die Beurkundung der dem badischen Erbprinzen am
16. Oktober desselben Jahres, zwei Stunden vor seinem Tode, ertheilten Noth-
taufe; der am zweiten Tag nach dem Tod erfolgten Leichenöffnung und
endlich der feierlichen Beisetzung der Leiche in Pforzheim am 19./20. Oktober
1812. Wir lassen nachstehend nur diejenigen Stellen der drei Urkunden folgen,
welche den unerschütterlichen Anhängern der Prinzenlegitimität Kaspar Hauser's
zu geistvollen Einwendungen Veranlassung gegeben haben, da der wörtliche
Abdruck dieser Beweisstücke etwa zehn Seiten der Grenzboten ausfüllen würde.

Aus der Urkunde über die Noth taufe erhellt zunächst, daß am 16.
Oktober 1812 schon vor 5 Uhr Nachmittags die "beeden Leib Medici Rath
Schrickel und Doktor Kramer" bei dem sterbenden Prinzen zugegen waren,
außerdem aber dessen Vater, der regierende Großherzog Karl selbst, der
Hofmarschcill von Gayling, der Oberkammerherr von Montperny und die
Hebamme Horst. Daß bis in die Nacht vom 15. zum 16. Oktober eine Ver¬
tauschung des Prinzen nicht stattgefunden, geben auch, wie wir sehen werden,
die Herren Kolb und Genossen zu. In dieser Nacht wurde der Prinz krank.
Sein Vater, die Aerzte, fast alle Personen, die vorstehend aufgeführt sind, die
Hebamme Horst, die ihn von seinem ersten Athemzug an kannte, waren um
ihn, haben mindestens im Laufe des 16. Oktober hundertmal ängstlich nach
ihm gesehen -- und ihnen Allen hätte man einen beliebigen Wechselbalg für
den Erbprinzen unterschieben können, ohne daß sie die Vertauschung bemerkt
hätten? Auch dann, als kurz vor 5 Uhr Abends die "beeden Leib Medici
Rath Schrickel und Doktor Kramer uuterthciuigst anzeigten, daß für die Er¬
haltung des ... Erbgroßherzogs wenig Hoffnung vorhanden sei und daher die
uoch nicht erfolgte Taufe vorzunehmen wäre" -- und als um, da der Kirchen¬
rath Balz nicht schnell genug erschien, "und der Zustand des fürstlichen Kindes
sich so sehr verschlimmerte", "die Hebamme Horstin von Mannheim die Noth¬
taufe verrichtete" und naturgemäß wegen der Benetzung hierbei das ganze Ge¬
sicht und den Kopf des Kindes freilegen mußte, auch da soll Keiner der zahl¬
reichen Anwesenden die angeblich erfolgte Vertauschung bemerkt haben?

Wir danken dieser Urkunde die genaue Kenntniß aller Personen, die an¬
wesend waren in den letzten Stunden und beim Tode des Prinzen. Der



*) "Mg, Zeitung" 3. Juni 1876 "Beilage).
Grenzboten II. 1873. S9

Wir danken die volle Gewißheit hierüber den amtlichen llrknudeu ans
dem badischen Hansarchiv, welche die badische Regierung in Folge der dreisten
Provokationen Herrn Kolb's und seiner Gesinnnngsverwcmdten am 3. Juni
1875") veröffentlichte. Diese Beweisstücke sind vom 16., 18. und 31. Oktober
1812 datirt und enthalten die Beurkundung der dem badischen Erbprinzen am
16. Oktober desselben Jahres, zwei Stunden vor seinem Tode, ertheilten Noth-
taufe; der am zweiten Tag nach dem Tod erfolgten Leichenöffnung und
endlich der feierlichen Beisetzung der Leiche in Pforzheim am 19./20. Oktober
1812. Wir lassen nachstehend nur diejenigen Stellen der drei Urkunden folgen,
welche den unerschütterlichen Anhängern der Prinzenlegitimität Kaspar Hauser's
zu geistvollen Einwendungen Veranlassung gegeben haben, da der wörtliche
Abdruck dieser Beweisstücke etwa zehn Seiten der Grenzboten ausfüllen würde.

Aus der Urkunde über die Noth taufe erhellt zunächst, daß am 16.
Oktober 1812 schon vor 5 Uhr Nachmittags die „beeden Leib Medici Rath
Schrickel und Doktor Kramer" bei dem sterbenden Prinzen zugegen waren,
außerdem aber dessen Vater, der regierende Großherzog Karl selbst, der
Hofmarschcill von Gayling, der Oberkammerherr von Montperny und die
Hebamme Horst. Daß bis in die Nacht vom 15. zum 16. Oktober eine Ver¬
tauschung des Prinzen nicht stattgefunden, geben auch, wie wir sehen werden,
die Herren Kolb und Genossen zu. In dieser Nacht wurde der Prinz krank.
Sein Vater, die Aerzte, fast alle Personen, die vorstehend aufgeführt sind, die
Hebamme Horst, die ihn von seinem ersten Athemzug an kannte, waren um
ihn, haben mindestens im Laufe des 16. Oktober hundertmal ängstlich nach
ihm gesehen — und ihnen Allen hätte man einen beliebigen Wechselbalg für
den Erbprinzen unterschieben können, ohne daß sie die Vertauschung bemerkt
hätten? Auch dann, als kurz vor 5 Uhr Abends die „beeden Leib Medici
Rath Schrickel und Doktor Kramer uuterthciuigst anzeigten, daß für die Er¬
haltung des ... Erbgroßherzogs wenig Hoffnung vorhanden sei und daher die
uoch nicht erfolgte Taufe vorzunehmen wäre" — und als um, da der Kirchen¬
rath Balz nicht schnell genug erschien, „und der Zustand des fürstlichen Kindes
sich so sehr verschlimmerte", „die Hebamme Horstin von Mannheim die Noth¬
taufe verrichtete" und naturgemäß wegen der Benetzung hierbei das ganze Ge¬
sicht und den Kopf des Kindes freilegen mußte, auch da soll Keiner der zahl¬
reichen Anwesenden die angeblich erfolgte Vertauschung bemerkt haben?

Wir danken dieser Urkunde die genaue Kenntniß aller Personen, die an¬
wesend waren in den letzten Stunden und beim Tode des Prinzen. Der



*) „Mg, Zeitung" 3. Juni 1876 «Beilage).
Grenzboten II. 1873. S9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140290"/>
          <p xml:id="ID_1347"> Wir danken die volle Gewißheit hierüber den amtlichen llrknudeu ans<lb/>
dem badischen Hansarchiv, welche die badische Regierung in Folge der dreisten<lb/>
Provokationen Herrn Kolb's und seiner Gesinnnngsverwcmdten am 3. Juni<lb/>
1875") veröffentlichte. Diese Beweisstücke sind vom 16., 18. und 31. Oktober<lb/>
1812 datirt und enthalten die Beurkundung der dem badischen Erbprinzen am<lb/>
16. Oktober desselben Jahres, zwei Stunden vor seinem Tode, ertheilten Noth-<lb/>
taufe; der am zweiten Tag nach dem Tod erfolgten Leichenöffnung und<lb/>
endlich der feierlichen Beisetzung der Leiche in Pforzheim am 19./20. Oktober<lb/>
1812. Wir lassen nachstehend nur diejenigen Stellen der drei Urkunden folgen,<lb/>
welche den unerschütterlichen Anhängern der Prinzenlegitimität Kaspar Hauser's<lb/>
zu geistvollen Einwendungen Veranlassung gegeben haben, da der wörtliche<lb/>
Abdruck dieser Beweisstücke etwa zehn Seiten der Grenzboten ausfüllen würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1348"> Aus der Urkunde über die Noth taufe erhellt zunächst, daß am 16.<lb/>
Oktober 1812 schon vor 5 Uhr Nachmittags die &#x201E;beeden Leib Medici Rath<lb/>
Schrickel und Doktor Kramer" bei dem sterbenden Prinzen zugegen waren,<lb/>
außerdem aber dessen Vater, der regierende Großherzog Karl selbst, der<lb/>
Hofmarschcill von Gayling, der Oberkammerherr von Montperny und die<lb/>
Hebamme Horst. Daß bis in die Nacht vom 15. zum 16. Oktober eine Ver¬<lb/>
tauschung des Prinzen nicht stattgefunden, geben auch, wie wir sehen werden,<lb/>
die Herren Kolb und Genossen zu. In dieser Nacht wurde der Prinz krank.<lb/>
Sein Vater, die Aerzte, fast alle Personen, die vorstehend aufgeführt sind, die<lb/>
Hebamme Horst, die ihn von seinem ersten Athemzug an kannte, waren um<lb/>
ihn, haben mindestens im Laufe des 16. Oktober hundertmal ängstlich nach<lb/>
ihm gesehen &#x2014; und ihnen Allen hätte man einen beliebigen Wechselbalg für<lb/>
den Erbprinzen unterschieben können, ohne daß sie die Vertauschung bemerkt<lb/>
hätten? Auch dann, als kurz vor 5 Uhr Abends die &#x201E;beeden Leib Medici<lb/>
Rath Schrickel und Doktor Kramer uuterthciuigst anzeigten, daß für die Er¬<lb/>
haltung des ... Erbgroßherzogs wenig Hoffnung vorhanden sei und daher die<lb/>
uoch nicht erfolgte Taufe vorzunehmen wäre" &#x2014; und als um, da der Kirchen¬<lb/>
rath Balz nicht schnell genug erschien, &#x201E;und der Zustand des fürstlichen Kindes<lb/>
sich so sehr verschlimmerte", &#x201E;die Hebamme Horstin von Mannheim die Noth¬<lb/>
taufe verrichtete" und naturgemäß wegen der Benetzung hierbei das ganze Ge¬<lb/>
sicht und den Kopf des Kindes freilegen mußte, auch da soll Keiner der zahl¬<lb/>
reichen Anwesenden die angeblich erfolgte Vertauschung bemerkt haben?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1349" next="#ID_1350"> Wir danken dieser Urkunde die genaue Kenntniß aller Personen, die an¬<lb/>
wesend waren in den letzten Stunden und beim Tode des Prinzen. Der</p><lb/>
          <note xml:id="FID_148" place="foot"> *) &#x201E;Mg, Zeitung" 3. Juni 1876 «Beilage).</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1873. S9</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0469] Wir danken die volle Gewißheit hierüber den amtlichen llrknudeu ans dem badischen Hansarchiv, welche die badische Regierung in Folge der dreisten Provokationen Herrn Kolb's und seiner Gesinnnngsverwcmdten am 3. Juni 1875") veröffentlichte. Diese Beweisstücke sind vom 16., 18. und 31. Oktober 1812 datirt und enthalten die Beurkundung der dem badischen Erbprinzen am 16. Oktober desselben Jahres, zwei Stunden vor seinem Tode, ertheilten Noth- taufe; der am zweiten Tag nach dem Tod erfolgten Leichenöffnung und endlich der feierlichen Beisetzung der Leiche in Pforzheim am 19./20. Oktober 1812. Wir lassen nachstehend nur diejenigen Stellen der drei Urkunden folgen, welche den unerschütterlichen Anhängern der Prinzenlegitimität Kaspar Hauser's zu geistvollen Einwendungen Veranlassung gegeben haben, da der wörtliche Abdruck dieser Beweisstücke etwa zehn Seiten der Grenzboten ausfüllen würde. Aus der Urkunde über die Noth taufe erhellt zunächst, daß am 16. Oktober 1812 schon vor 5 Uhr Nachmittags die „beeden Leib Medici Rath Schrickel und Doktor Kramer" bei dem sterbenden Prinzen zugegen waren, außerdem aber dessen Vater, der regierende Großherzog Karl selbst, der Hofmarschcill von Gayling, der Oberkammerherr von Montperny und die Hebamme Horst. Daß bis in die Nacht vom 15. zum 16. Oktober eine Ver¬ tauschung des Prinzen nicht stattgefunden, geben auch, wie wir sehen werden, die Herren Kolb und Genossen zu. In dieser Nacht wurde der Prinz krank. Sein Vater, die Aerzte, fast alle Personen, die vorstehend aufgeführt sind, die Hebamme Horst, die ihn von seinem ersten Athemzug an kannte, waren um ihn, haben mindestens im Laufe des 16. Oktober hundertmal ängstlich nach ihm gesehen — und ihnen Allen hätte man einen beliebigen Wechselbalg für den Erbprinzen unterschieben können, ohne daß sie die Vertauschung bemerkt hätten? Auch dann, als kurz vor 5 Uhr Abends die „beeden Leib Medici Rath Schrickel und Doktor Kramer uuterthciuigst anzeigten, daß für die Er¬ haltung des ... Erbgroßherzogs wenig Hoffnung vorhanden sei und daher die uoch nicht erfolgte Taufe vorzunehmen wäre" — und als um, da der Kirchen¬ rath Balz nicht schnell genug erschien, „und der Zustand des fürstlichen Kindes sich so sehr verschlimmerte", „die Hebamme Horstin von Mannheim die Noth¬ taufe verrichtete" und naturgemäß wegen der Benetzung hierbei das ganze Ge¬ sicht und den Kopf des Kindes freilegen mußte, auch da soll Keiner der zahl¬ reichen Anwesenden die angeblich erfolgte Vertauschung bemerkt haben? Wir danken dieser Urkunde die genaue Kenntniß aller Personen, die an¬ wesend waren in den letzten Stunden und beim Tode des Prinzen. Der *) „Mg, Zeitung" 3. Juni 1876 «Beilage). Grenzboten II. 1873. S9

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/469
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/469>, abgerufen am 01.09.2024.