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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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acht Monate der schwedischen Okkupation, etwa August 1634 bis Ende März
1635 gehören mit zu den schlimmsten Zeiten, die Augsburg jemals durch¬
gemacht hat. Zu den Bedrängnissen der soldatischen Willkürherrschaft, zu der
schon mehrere Jahre grassirenden Pest gesellte sich noch eine fürchterliche
Hungersnoth mit all ihren Greueln und Schrecknissen. Schon im Frühling
1634 hatten die Heere des Kaisers und des Kurfürsten von Baiern bis
in die Nähe Augsburgs gestreift und die Proviantzufuhr dahin vielfach
gehindert. Und nach dem für die Protestanten unglücklichen Ausgang der
Schlacht bei Nördlingen (5. und 6. September) wurde die Blokade
der Stadt bald eine vollständige; Zufuhren von Lebensmitteln kamen nur
noch ganz vereinzelt an. Theuerung, Mangel und wirkliche Hungersnoth
entwickelten sich nun mit Riesenschnelle. Schon im Januar 1635 wurden
Hunde, Katzen, Mäuse, Thierhäute, Leder, ja selbst menschliche Leichname mit
Gier verschlungen; und zwar nicht blos in den niedersten Schichten der Be¬
völkerung. Ein Büchsenmacher, Namens Hans Schattner, der mit Weib und
Kind aus Hunger einen Hund verzehrt hatte, wurde deswegen von seinem
Gewerbe für unehrlich erklärt; der Rath jedoch hob diesen Beschluß wieder
auf, denn in solchen Zeiten nehme jeder zur Nahrung was er bekommen könne
und es seien noch schlimmere Dinge verzehrt worden. (Rathsdekret 17/3.
Hainhvfer 15/3 1635) -- Die Noth aber wurde immer noch größer. Der oben-
genannte Chronist Haintzelmann schreibt am 4. März: "Die Noth ist allhie
zu dieser Zeit so groß, daß gar nichts zu bekommen und wenn man schon
das Gelt in Händen trägt und die eßenden Sachen wol zahlen will, so kann
man doch nichts haben. Daher viel Lenes und viel Kinder vor Hunger ver¬
schmachten, und theils ob den Gassen Hunger sterben, auch die kleinen Kinder
auß der Klaib Mueß essen müssen, ja die Lebendigen ihre Verstorbenen vor
Hunger anheben zu essen, welches alles die Ploquieruug veruhrscichen thut,
weil der Feind nichts hereinkommen läßt, der es am jüngsten Tag nit wird
verantworten können und wird solche theuer genug bezahlen müssen.---"
"In diesem Monate Marklo 1635 ist ein Handwerksmann in der untern Stadt
gewesen, dem sind zwei Kinder gestorben, die hat er alle beide vor großem
Hunger geßen, ist also des Vatters Bauch ihr Grab gewesen." Aus den
Dörfern rings um Augsburg, die nun schon seit mehreren Jahren um die
Wette geplündert und zu Grunde gerichtet worden waren, war nichts mehr zu
holen; die Hungersnoth trat dort womöglich in noch grauenhafterer Gestalt
ans. Philipp Hainhofer berichtet in seinem Tagebuch unterm 5. März 1635:
"Dem alten bischöflichen Rentmeister ist Botschaft von Innungen herein gethan
worden, daß eine Mutter ihr lebendiges Kind und ein anderes Weib zu Göp-
pingen (beide genannten Dörfer liegen in der nächsten Nähe Augsburg's gegen


acht Monate der schwedischen Okkupation, etwa August 1634 bis Ende März
1635 gehören mit zu den schlimmsten Zeiten, die Augsburg jemals durch¬
gemacht hat. Zu den Bedrängnissen der soldatischen Willkürherrschaft, zu der
schon mehrere Jahre grassirenden Pest gesellte sich noch eine fürchterliche
Hungersnoth mit all ihren Greueln und Schrecknissen. Schon im Frühling
1634 hatten die Heere des Kaisers und des Kurfürsten von Baiern bis
in die Nähe Augsburgs gestreift und die Proviantzufuhr dahin vielfach
gehindert. Und nach dem für die Protestanten unglücklichen Ausgang der
Schlacht bei Nördlingen (5. und 6. September) wurde die Blokade
der Stadt bald eine vollständige; Zufuhren von Lebensmitteln kamen nur
noch ganz vereinzelt an. Theuerung, Mangel und wirkliche Hungersnoth
entwickelten sich nun mit Riesenschnelle. Schon im Januar 1635 wurden
Hunde, Katzen, Mäuse, Thierhäute, Leder, ja selbst menschliche Leichname mit
Gier verschlungen; und zwar nicht blos in den niedersten Schichten der Be¬
völkerung. Ein Büchsenmacher, Namens Hans Schattner, der mit Weib und
Kind aus Hunger einen Hund verzehrt hatte, wurde deswegen von seinem
Gewerbe für unehrlich erklärt; der Rath jedoch hob diesen Beschluß wieder
auf, denn in solchen Zeiten nehme jeder zur Nahrung was er bekommen könne
und es seien noch schlimmere Dinge verzehrt worden. (Rathsdekret 17/3.
Hainhvfer 15/3 1635) — Die Noth aber wurde immer noch größer. Der oben-
genannte Chronist Haintzelmann schreibt am 4. März: „Die Noth ist allhie
zu dieser Zeit so groß, daß gar nichts zu bekommen und wenn man schon
das Gelt in Händen trägt und die eßenden Sachen wol zahlen will, so kann
man doch nichts haben. Daher viel Lenes und viel Kinder vor Hunger ver¬
schmachten, und theils ob den Gassen Hunger sterben, auch die kleinen Kinder
auß der Klaib Mueß essen müssen, ja die Lebendigen ihre Verstorbenen vor
Hunger anheben zu essen, welches alles die Ploquieruug veruhrscichen thut,
weil der Feind nichts hereinkommen läßt, der es am jüngsten Tag nit wird
verantworten können und wird solche theuer genug bezahlen müssen.---"
„In diesem Monate Marklo 1635 ist ein Handwerksmann in der untern Stadt
gewesen, dem sind zwei Kinder gestorben, die hat er alle beide vor großem
Hunger geßen, ist also des Vatters Bauch ihr Grab gewesen." Aus den
Dörfern rings um Augsburg, die nun schon seit mehreren Jahren um die
Wette geplündert und zu Grunde gerichtet worden waren, war nichts mehr zu
holen; die Hungersnoth trat dort womöglich in noch grauenhafterer Gestalt
ans. Philipp Hainhofer berichtet in seinem Tagebuch unterm 5. März 1635:
„Dem alten bischöflichen Rentmeister ist Botschaft von Innungen herein gethan
worden, daß eine Mutter ihr lebendiges Kind und ein anderes Weib zu Göp-
pingen (beide genannten Dörfer liegen in der nächsten Nähe Augsburg's gegen


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[0464] acht Monate der schwedischen Okkupation, etwa August 1634 bis Ende März 1635 gehören mit zu den schlimmsten Zeiten, die Augsburg jemals durch¬ gemacht hat. Zu den Bedrängnissen der soldatischen Willkürherrschaft, zu der schon mehrere Jahre grassirenden Pest gesellte sich noch eine fürchterliche Hungersnoth mit all ihren Greueln und Schrecknissen. Schon im Frühling 1634 hatten die Heere des Kaisers und des Kurfürsten von Baiern bis in die Nähe Augsburgs gestreift und die Proviantzufuhr dahin vielfach gehindert. Und nach dem für die Protestanten unglücklichen Ausgang der Schlacht bei Nördlingen (5. und 6. September) wurde die Blokade der Stadt bald eine vollständige; Zufuhren von Lebensmitteln kamen nur noch ganz vereinzelt an. Theuerung, Mangel und wirkliche Hungersnoth entwickelten sich nun mit Riesenschnelle. Schon im Januar 1635 wurden Hunde, Katzen, Mäuse, Thierhäute, Leder, ja selbst menschliche Leichname mit Gier verschlungen; und zwar nicht blos in den niedersten Schichten der Be¬ völkerung. Ein Büchsenmacher, Namens Hans Schattner, der mit Weib und Kind aus Hunger einen Hund verzehrt hatte, wurde deswegen von seinem Gewerbe für unehrlich erklärt; der Rath jedoch hob diesen Beschluß wieder auf, denn in solchen Zeiten nehme jeder zur Nahrung was er bekommen könne und es seien noch schlimmere Dinge verzehrt worden. (Rathsdekret 17/3. Hainhvfer 15/3 1635) — Die Noth aber wurde immer noch größer. Der oben- genannte Chronist Haintzelmann schreibt am 4. März: „Die Noth ist allhie zu dieser Zeit so groß, daß gar nichts zu bekommen und wenn man schon das Gelt in Händen trägt und die eßenden Sachen wol zahlen will, so kann man doch nichts haben. Daher viel Lenes und viel Kinder vor Hunger ver¬ schmachten, und theils ob den Gassen Hunger sterben, auch die kleinen Kinder auß der Klaib Mueß essen müssen, ja die Lebendigen ihre Verstorbenen vor Hunger anheben zu essen, welches alles die Ploquieruug veruhrscichen thut, weil der Feind nichts hereinkommen läßt, der es am jüngsten Tag nit wird verantworten können und wird solche theuer genug bezahlen müssen.---" „In diesem Monate Marklo 1635 ist ein Handwerksmann in der untern Stadt gewesen, dem sind zwei Kinder gestorben, die hat er alle beide vor großem Hunger geßen, ist also des Vatters Bauch ihr Grab gewesen." Aus den Dörfern rings um Augsburg, die nun schon seit mehreren Jahren um die Wette geplündert und zu Grunde gerichtet worden waren, war nichts mehr zu holen; die Hungersnoth trat dort womöglich in noch grauenhafterer Gestalt ans. Philipp Hainhofer berichtet in seinem Tagebuch unterm 5. März 1635: „Dem alten bischöflichen Rentmeister ist Botschaft von Innungen herein gethan worden, daß eine Mutter ihr lebendiges Kind und ein anderes Weib zu Göp- pingen (beide genannten Dörfer liegen in der nächsten Nähe Augsburg's gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/464>, abgerufen am 27.07.2024.