Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.Für die Masse der Evangelischen verschwanden jedoch solche Besorgnisse Der letzte Satz wurde am 4. März 1635 niedergeschrieben; nicht ganz Für die Masse der Evangelischen verschwanden jedoch solche Besorgnisse Der letzte Satz wurde am 4. März 1635 niedergeschrieben; nicht ganz <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140284"/> <p xml:id="ID_1335"> Für die Masse der Evangelischen verschwanden jedoch solche Besorgnisse<lb/> und Bedenklichkeiten in der allgemeinen Begeisterung, dem allgemeinen Jubel,<lb/> daß uun Glauben und Gewissen wieder frei seien. Mochte auch manches<lb/> weniger Angenehme mit untergelaufen sein, mochte auch der Unfug des Kriegs¬<lb/> volks, seine Begehrlichkeit, feine Erpressungen und Willkür oft schwer zu tragen<lb/> sein, man wappnete sich dagegen mit Geduld. War doch durch die Schweden<lb/> die Erlösung von dem schweren Druck der katholischen Bekehrnngspcirtei ge¬<lb/> kommen! war man doch jetzt im Stande — was nicht am wenigsten zu der<lb/> allgemeinen Befriedigung beitrug — der gegnerischen Konfession Gleiches mit<lb/> Gleichem zu vergelten, die verhaßten Peiniger jetzt selbst zu peinigen. Doch<lb/> die Revanche war allmälig genommen, das weitgehendste Rachebedürfniß end¬<lb/> lich befriedigt — Kommandant, Besatzung und Kriegsstenern blieben, der<lb/> Uebermuth und die Willkürlichkeiten der Soldatenherrschaft wurden immer<lb/> ärger, fo daß selbst die eifrigsten Protestanten genug daran bekamen. Der¬<lb/> selbe Haintzelmcmn, der seiue Freude über die Ankunft der Schweden und die<lb/> darauf erfolgte Protestantisirung der Stadt ost genug kundgiebt, schreibt nach<lb/> ein paar Jahren in ganz anderer Tonart: „Seither die schwedischen Soldaten<lb/> hier sein, ist durch sie viel Unglück und Diebstahl verursacht worden, dann sie<lb/> den Bürgern bei Tag und Nacht in die Hänser, Keller und Läden brechen<lb/> und viel stehlen; auch wo sie Vieh wissen, sehen sie, daß sie solches bekommen.<lb/> (Januar 1635)---- Es ist um diese Zeit (14. Februar), wie auch schon eine<lb/> lange Zeit her allhie so unsicher auf der Gassen gewesen, wegen der Sol¬<lb/> daten, die Finnen (d. h, ein finnisches Regiment) mit darunter gerechnet, daß<lb/> man nichts, so eßende Waaren sind, auf der Gassen tragen darf, heimlich oder<lb/> öffentlich, es wird von denselben alles genommen und so gerne man sie vor<lb/> drei Jahren mit dem Könige seeliger hat herein ziehen sehen, so gerne würde<lb/> man sie wieder hinauß ziehen sehen, weil sie so großen Schaden den Bürgern<lb/> anthun."</p><lb/> <p xml:id="ID_1336" next="#ID_1337"> Der letzte Satz wurde am 4. März 1635 niedergeschrieben; nicht ganz<lb/> 14 Tage darauf füllt der Abschluß des Leonberger Vertrages, durch welchen<lb/> der Kaiser wieder Herr der Stadt wurde. Es konnte damals niemand in<lb/> Zweifel sein, daß auf den Abzug der Schweden alsbald der Einzug der kaiser¬<lb/> lichen Armeen und damit zugleich der Umsturz des protestantischen Regiments und<lb/> Wiedereinsetzung des katholischen Rathes solgen werde. Daß dieses mit un¬<lb/> säglichen Bedrückungen und Plackereien für die Protestanten und wahrschein¬<lb/> lich sogar mit der Abschaffung, jedenfalls Verkümmerung des protestantischen<lb/> Gottesdienstes verbunden sein werde, wußte ebenfalls jeder. Und dennoch<lb/> konnten eifrige Protestanten mit Gleichgiltigkeit, ja fast mit eiuer gewissen<lb/> Genugthuung an den Abmarsch ihrer Beschützer denken! Die letzten sieben bis</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0463]
Für die Masse der Evangelischen verschwanden jedoch solche Besorgnisse
und Bedenklichkeiten in der allgemeinen Begeisterung, dem allgemeinen Jubel,
daß uun Glauben und Gewissen wieder frei seien. Mochte auch manches
weniger Angenehme mit untergelaufen sein, mochte auch der Unfug des Kriegs¬
volks, seine Begehrlichkeit, feine Erpressungen und Willkür oft schwer zu tragen
sein, man wappnete sich dagegen mit Geduld. War doch durch die Schweden
die Erlösung von dem schweren Druck der katholischen Bekehrnngspcirtei ge¬
kommen! war man doch jetzt im Stande — was nicht am wenigsten zu der
allgemeinen Befriedigung beitrug — der gegnerischen Konfession Gleiches mit
Gleichem zu vergelten, die verhaßten Peiniger jetzt selbst zu peinigen. Doch
die Revanche war allmälig genommen, das weitgehendste Rachebedürfniß end¬
lich befriedigt — Kommandant, Besatzung und Kriegsstenern blieben, der
Uebermuth und die Willkürlichkeiten der Soldatenherrschaft wurden immer
ärger, fo daß selbst die eifrigsten Protestanten genug daran bekamen. Der¬
selbe Haintzelmcmn, der seiue Freude über die Ankunft der Schweden und die
darauf erfolgte Protestantisirung der Stadt ost genug kundgiebt, schreibt nach
ein paar Jahren in ganz anderer Tonart: „Seither die schwedischen Soldaten
hier sein, ist durch sie viel Unglück und Diebstahl verursacht worden, dann sie
den Bürgern bei Tag und Nacht in die Hänser, Keller und Läden brechen
und viel stehlen; auch wo sie Vieh wissen, sehen sie, daß sie solches bekommen.
(Januar 1635)---- Es ist um diese Zeit (14. Februar), wie auch schon eine
lange Zeit her allhie so unsicher auf der Gassen gewesen, wegen der Sol¬
daten, die Finnen (d. h, ein finnisches Regiment) mit darunter gerechnet, daß
man nichts, so eßende Waaren sind, auf der Gassen tragen darf, heimlich oder
öffentlich, es wird von denselben alles genommen und so gerne man sie vor
drei Jahren mit dem Könige seeliger hat herein ziehen sehen, so gerne würde
man sie wieder hinauß ziehen sehen, weil sie so großen Schaden den Bürgern
anthun."
Der letzte Satz wurde am 4. März 1635 niedergeschrieben; nicht ganz
14 Tage darauf füllt der Abschluß des Leonberger Vertrages, durch welchen
der Kaiser wieder Herr der Stadt wurde. Es konnte damals niemand in
Zweifel sein, daß auf den Abzug der Schweden alsbald der Einzug der kaiser¬
lichen Armeen und damit zugleich der Umsturz des protestantischen Regiments und
Wiedereinsetzung des katholischen Rathes solgen werde. Daß dieses mit un¬
säglichen Bedrückungen und Plackereien für die Protestanten und wahrschein¬
lich sogar mit der Abschaffung, jedenfalls Verkümmerung des protestantischen
Gottesdienstes verbunden sein werde, wußte ebenfalls jeder. Und dennoch
konnten eifrige Protestanten mit Gleichgiltigkeit, ja fast mit eiuer gewissen
Genugthuung an den Abmarsch ihrer Beschützer denken! Die letzten sieben bis
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