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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Vollständiger könnte Feuerbach die "moralische Gewißheit" vom badischen
Prinzenthum Kaspar Hauser's kaum verleugnet haben. Er hat es aber noch
vollständiger gethan. Die Zusammenkunft der Königsheim mit Hanser fand
Feuerbach in Ansbach "in mehrerer Hinsicht" bedenklich. Dagegen erklärte
er sich schon am 29. Dezember bereit, Hauser nach Gotha zu schicken und zwar
in Begleitung Hickel's, "einem geschickten und gewandten Polizeimann, welcher
mit dem Detail der Hanser'schen Geschichte genau bekannt, in dieser Angelegenheit
von mir öfters verwendet worden ist, in dieser Beziehung schon viele und weite
Reisen in und außer Baiern gemacht, mit den persönlichen und örtlichen Ver¬
hältnissen sowohl zu Würzburg als Bamberg genau bekannt ist und übrigens
wegen seines Charakters volles und unbedingtes Vertrauen verdient." Die
Menschen, welche auf Grund von Feuerbach's Memoire sich Kaspar Hanser's
badisches Priuzenthnm unausrottbar in den Kopf gesetzt haben, scheuten sich
bisher nicht, Hickel als einen feilen -- vermuthlich anch von Baden erkauften --
nichtswürdigen Polizeispitzel hinzustellen. Und wie deuten sie nun diese neuen
Enthüllungen, welche die Gothaer Akten bieten,?*) Sie sagen, die ganze Korre¬
spondenz mit Eberhardt, die nun zu berichtende Dienstreise Hickel's u. s. w.
habe Feuerbach aus Ironie und Sarkasmus zusammengebaut, um -- Eber¬
hardt über das Geheimniß des badischen Prinzenthums zu täuschen! Mit
Recht hat dem schon Mittelstadt eingehalten, "was dieser Aberwitz vermeint¬
licher Entschuldigung an Zweideutigkeit und Falschheit über dem Hanpte des
Todten aufzuhäufen unternimmt, übersteigt bei weitem Alles was die erbittertsten
Gegner Feuerbach's gegen die Redlichkeit seiner Gesinnungen je auch nur an¬
zudeuten gewagt haben."

Aber diese nichtswürdige Insinuation wird auch widerlegt durch die Akten
selbst. Wenn es sich um eine Komödie gehandelt hätte, die nur in der Absicht
gespielt wurde, um Eberhardt über das badische Prinzenthum zu täuschen --
beiläufig bemerkt, was konnte Feuerbach an dieser Täuschung nur irgend ge¬
legen sein? -- so konnte die Zusammenkunft.in Gotha verlaufen wie sie wollte.
Auf sorgfältige Instruktion der Betheiligten kam es dann nicht im Geringsten an.
Diese sorgfältigste Instruktion hat dagegen Feuerbach mit größtem Ernste am
29. Dezember 1832 sowohl an Eberhardt wie mündlich vor Antritt der Reise
an Hickel gegeben. "Euer Wohlgeboren werden übrigens von selbst ermessen,
von wie großer Wichtigkeit es sei, daß weder Demoiselle Königsheim
noch Kaspar Hanser auf den Moment einer Erkennungsscene vorbereitet seien.
Sie werden daher die Königsheim so gut als möglich zu beruhigen und hin-



*) Wir danken diese ganze eingehende Darlegung derselben Mittelstadt, a. ni. O.
S. 80--37. (Anlagen II. bis V.)

Vollständiger könnte Feuerbach die „moralische Gewißheit" vom badischen
Prinzenthum Kaspar Hauser's kaum verleugnet haben. Er hat es aber noch
vollständiger gethan. Die Zusammenkunft der Königsheim mit Hanser fand
Feuerbach in Ansbach „in mehrerer Hinsicht" bedenklich. Dagegen erklärte
er sich schon am 29. Dezember bereit, Hauser nach Gotha zu schicken und zwar
in Begleitung Hickel's, „einem geschickten und gewandten Polizeimann, welcher
mit dem Detail der Hanser'schen Geschichte genau bekannt, in dieser Angelegenheit
von mir öfters verwendet worden ist, in dieser Beziehung schon viele und weite
Reisen in und außer Baiern gemacht, mit den persönlichen und örtlichen Ver¬
hältnissen sowohl zu Würzburg als Bamberg genau bekannt ist und übrigens
wegen seines Charakters volles und unbedingtes Vertrauen verdient." Die
Menschen, welche auf Grund von Feuerbach's Memoire sich Kaspar Hanser's
badisches Priuzenthnm unausrottbar in den Kopf gesetzt haben, scheuten sich
bisher nicht, Hickel als einen feilen — vermuthlich anch von Baden erkauften —
nichtswürdigen Polizeispitzel hinzustellen. Und wie deuten sie nun diese neuen
Enthüllungen, welche die Gothaer Akten bieten,?*) Sie sagen, die ganze Korre¬
spondenz mit Eberhardt, die nun zu berichtende Dienstreise Hickel's u. s. w.
habe Feuerbach aus Ironie und Sarkasmus zusammengebaut, um — Eber¬
hardt über das Geheimniß des badischen Prinzenthums zu täuschen! Mit
Recht hat dem schon Mittelstadt eingehalten, „was dieser Aberwitz vermeint¬
licher Entschuldigung an Zweideutigkeit und Falschheit über dem Hanpte des
Todten aufzuhäufen unternimmt, übersteigt bei weitem Alles was die erbittertsten
Gegner Feuerbach's gegen die Redlichkeit seiner Gesinnungen je auch nur an¬
zudeuten gewagt haben."

Aber diese nichtswürdige Insinuation wird auch widerlegt durch die Akten
selbst. Wenn es sich um eine Komödie gehandelt hätte, die nur in der Absicht
gespielt wurde, um Eberhardt über das badische Prinzenthum zu täuschen —
beiläufig bemerkt, was konnte Feuerbach an dieser Täuschung nur irgend ge¬
legen sein? — so konnte die Zusammenkunft.in Gotha verlaufen wie sie wollte.
Auf sorgfältige Instruktion der Betheiligten kam es dann nicht im Geringsten an.
Diese sorgfältigste Instruktion hat dagegen Feuerbach mit größtem Ernste am
29. Dezember 1832 sowohl an Eberhardt wie mündlich vor Antritt der Reise
an Hickel gegeben. „Euer Wohlgeboren werden übrigens von selbst ermessen,
von wie großer Wichtigkeit es sei, daß weder Demoiselle Königsheim
noch Kaspar Hanser auf den Moment einer Erkennungsscene vorbereitet seien.
Sie werden daher die Königsheim so gut als möglich zu beruhigen und hin-



*) Wir danken diese ganze eingehende Darlegung derselben Mittelstadt, a. ni. O.
S. 80—37. (Anlagen II. bis V.)
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[0441] Vollständiger könnte Feuerbach die „moralische Gewißheit" vom badischen Prinzenthum Kaspar Hauser's kaum verleugnet haben. Er hat es aber noch vollständiger gethan. Die Zusammenkunft der Königsheim mit Hanser fand Feuerbach in Ansbach „in mehrerer Hinsicht" bedenklich. Dagegen erklärte er sich schon am 29. Dezember bereit, Hauser nach Gotha zu schicken und zwar in Begleitung Hickel's, „einem geschickten und gewandten Polizeimann, welcher mit dem Detail der Hanser'schen Geschichte genau bekannt, in dieser Angelegenheit von mir öfters verwendet worden ist, in dieser Beziehung schon viele und weite Reisen in und außer Baiern gemacht, mit den persönlichen und örtlichen Ver¬ hältnissen sowohl zu Würzburg als Bamberg genau bekannt ist und übrigens wegen seines Charakters volles und unbedingtes Vertrauen verdient." Die Menschen, welche auf Grund von Feuerbach's Memoire sich Kaspar Hanser's badisches Priuzenthnm unausrottbar in den Kopf gesetzt haben, scheuten sich bisher nicht, Hickel als einen feilen — vermuthlich anch von Baden erkauften — nichtswürdigen Polizeispitzel hinzustellen. Und wie deuten sie nun diese neuen Enthüllungen, welche die Gothaer Akten bieten,?*) Sie sagen, die ganze Korre¬ spondenz mit Eberhardt, die nun zu berichtende Dienstreise Hickel's u. s. w. habe Feuerbach aus Ironie und Sarkasmus zusammengebaut, um — Eber¬ hardt über das Geheimniß des badischen Prinzenthums zu täuschen! Mit Recht hat dem schon Mittelstadt eingehalten, „was dieser Aberwitz vermeint¬ licher Entschuldigung an Zweideutigkeit und Falschheit über dem Hanpte des Todten aufzuhäufen unternimmt, übersteigt bei weitem Alles was die erbittertsten Gegner Feuerbach's gegen die Redlichkeit seiner Gesinnungen je auch nur an¬ zudeuten gewagt haben." Aber diese nichtswürdige Insinuation wird auch widerlegt durch die Akten selbst. Wenn es sich um eine Komödie gehandelt hätte, die nur in der Absicht gespielt wurde, um Eberhardt über das badische Prinzenthum zu täuschen — beiläufig bemerkt, was konnte Feuerbach an dieser Täuschung nur irgend ge¬ legen sein? — so konnte die Zusammenkunft.in Gotha verlaufen wie sie wollte. Auf sorgfältige Instruktion der Betheiligten kam es dann nicht im Geringsten an. Diese sorgfältigste Instruktion hat dagegen Feuerbach mit größtem Ernste am 29. Dezember 1832 sowohl an Eberhardt wie mündlich vor Antritt der Reise an Hickel gegeben. „Euer Wohlgeboren werden übrigens von selbst ermessen, von wie großer Wichtigkeit es sei, daß weder Demoiselle Königsheim noch Kaspar Hanser auf den Moment einer Erkennungsscene vorbereitet seien. Sie werden daher die Königsheim so gut als möglich zu beruhigen und hin- *) Wir danken diese ganze eingehende Darlegung derselben Mittelstadt, a. ni. O. S. 80—37. (Anlagen II. bis V.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/441>, abgerufen am 01.09.2024.