Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zuhalte" wissen, bis Hauser selbst zu Gotha erscheint, wo dann, ehe die Recog-
nition geschieht, Euer Wohlgeboren die nöthigen Vorbereitungen und
Einleitungen mit Hickel, welcher auch den wohl zu beachtenden Charakter
und die psychologischen Eigenthümlichkeiten Kaspar's aus vielfacher Erfahrung
genau kennt, werden verabredet haben." Klingt das in der Eschenheimer Gasse
wie eine Komödie? Aber es kommt noch besser. Fenerbcich müßte geradezu
die Täuschung Eberhardt's ausgedehnt haben auf den Versuch der Täuschung
seines eigenen Ich. Denn in den von Feuerbach selbst geführten Präsidialakten,
hat er am 15. Januar 1833 ein Schreiben an Eberhardt entworfen, welches
Hickel bei Antritt seiner Reise (in Gesellschaft Hauser's) uach Gotha mitnahm.
In diesem Schreiben wird zunächst wiederholt, daß die Anzeigen Eberhardt's
über Kaspar's Herkunft "ein unverhofftes und vollständiges
Licht zu verbreiten scheinen", daß Hickel "bisher in dieser Sache,
so ausgezeichnete Dienste geleistet hat" u. s. w. Aber wie wenig dieses Schreiben
den Theil einer Komödie bilden konnte, wie tief ernst Feuerbach die Sendung
Hickel's nach Gotha war, geht weiter aus Folgenden: hervor. Das Konzept
dieses Schreibens in den Ansbacher Akten ist datirt: "Ansbach, Januar 1833".
Der Tag fehlt. Ju derartigen Akten ist das sehr auffallend. Warum fehlt
die Angabe des Tages? Warum lag Feuerbach daran, Andere, welchen die
Akten in die Hände fallen konnten, über diesen Tag im Unklaren zulassen, von
dem wir aus der Gothaer Reinschrift dieses Konzepts wissen, daß es der
15. Januar war. Feuerbach antwortet theilweise selbst auf diese Frage durch
eine Glosse, die er selbst in den Ansbacher Akten an den Rand geschrieben.
Sie lautet: "M. Es mußte nebenstehendes Kommissorium so wie geschehen
gefaßt werden, wenn die Nothwendigkeit, von dem König die Reiseerlaubniß
nach Gotha erst zu erholen, woraus Aufschub und Hindernisse möchten
entstanden sein, umgangen werden sollte." Also zu einer Dienstreise Hickel's
außerhalb Landes gehörte nach damaligem Zairischem Recht die Einwilligung
des Königs. Vom König fürchtete Feuerbach Aufschub, Hindernisse -- ganz
natürlich. Denn nachdem der König einige Monate zuvor die angenehme
"moralische Gewißheit" erhalten hatte, Kaspar Hauser sei der Neffe seiner
Mutter, des Königs Vetter, hätte er jedenfalls eine Dienstreise nicht gerne ge¬
sehen, welche den Zweck verfolgte, den vermeintlichen Prinzen als Bastard eines
adeligen katholischen Geistlichen Baierns zu entlarven. Um diese Hindernisse
zu beseitigen, wurde dem Kommissorinm die Fassung gegeben, als sei es ein
dem Hickel plötzlich nachgesandter amtlicher Auftrag. Deshalb ist in diesem
Kommissorium von dem "schweren Verbrechen" gegen Kaspar Hauser und davon
die Rede, Hickel möge "seine Anwesenheit in Bamberg dazu benutzen, um sich
schleunigst nach Gotha an Ort und Stelle zu begeben" u. s. w. Und aus


zuhalte» wissen, bis Hauser selbst zu Gotha erscheint, wo dann, ehe die Recog-
nition geschieht, Euer Wohlgeboren die nöthigen Vorbereitungen und
Einleitungen mit Hickel, welcher auch den wohl zu beachtenden Charakter
und die psychologischen Eigenthümlichkeiten Kaspar's aus vielfacher Erfahrung
genau kennt, werden verabredet haben." Klingt das in der Eschenheimer Gasse
wie eine Komödie? Aber es kommt noch besser. Fenerbcich müßte geradezu
die Täuschung Eberhardt's ausgedehnt haben auf den Versuch der Täuschung
seines eigenen Ich. Denn in den von Feuerbach selbst geführten Präsidialakten,
hat er am 15. Januar 1833 ein Schreiben an Eberhardt entworfen, welches
Hickel bei Antritt seiner Reise (in Gesellschaft Hauser's) uach Gotha mitnahm.
In diesem Schreiben wird zunächst wiederholt, daß die Anzeigen Eberhardt's
über Kaspar's Herkunft „ein unverhofftes und vollständiges
Licht zu verbreiten scheinen", daß Hickel „bisher in dieser Sache,
so ausgezeichnete Dienste geleistet hat" u. s. w. Aber wie wenig dieses Schreiben
den Theil einer Komödie bilden konnte, wie tief ernst Feuerbach die Sendung
Hickel's nach Gotha war, geht weiter aus Folgenden: hervor. Das Konzept
dieses Schreibens in den Ansbacher Akten ist datirt: „Ansbach, Januar 1833".
Der Tag fehlt. Ju derartigen Akten ist das sehr auffallend. Warum fehlt
die Angabe des Tages? Warum lag Feuerbach daran, Andere, welchen die
Akten in die Hände fallen konnten, über diesen Tag im Unklaren zulassen, von
dem wir aus der Gothaer Reinschrift dieses Konzepts wissen, daß es der
15. Januar war. Feuerbach antwortet theilweise selbst auf diese Frage durch
eine Glosse, die er selbst in den Ansbacher Akten an den Rand geschrieben.
Sie lautet: „M. Es mußte nebenstehendes Kommissorium so wie geschehen
gefaßt werden, wenn die Nothwendigkeit, von dem König die Reiseerlaubniß
nach Gotha erst zu erholen, woraus Aufschub und Hindernisse möchten
entstanden sein, umgangen werden sollte." Also zu einer Dienstreise Hickel's
außerhalb Landes gehörte nach damaligem Zairischem Recht die Einwilligung
des Königs. Vom König fürchtete Feuerbach Aufschub, Hindernisse — ganz
natürlich. Denn nachdem der König einige Monate zuvor die angenehme
„moralische Gewißheit" erhalten hatte, Kaspar Hauser sei der Neffe seiner
Mutter, des Königs Vetter, hätte er jedenfalls eine Dienstreise nicht gerne ge¬
sehen, welche den Zweck verfolgte, den vermeintlichen Prinzen als Bastard eines
adeligen katholischen Geistlichen Baierns zu entlarven. Um diese Hindernisse
zu beseitigen, wurde dem Kommissorinm die Fassung gegeben, als sei es ein
dem Hickel plötzlich nachgesandter amtlicher Auftrag. Deshalb ist in diesem
Kommissorium von dem „schweren Verbrechen" gegen Kaspar Hauser und davon
die Rede, Hickel möge „seine Anwesenheit in Bamberg dazu benutzen, um sich
schleunigst nach Gotha an Ort und Stelle zu begeben" u. s. w. Und aus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140263"/>
          <p xml:id="ID_1292" prev="#ID_1291" next="#ID_1293"> zuhalte» wissen, bis Hauser selbst zu Gotha erscheint, wo dann, ehe die Recog-<lb/>
nition geschieht, Euer Wohlgeboren die nöthigen Vorbereitungen und<lb/>
Einleitungen mit Hickel, welcher auch den wohl zu beachtenden Charakter<lb/>
und die psychologischen Eigenthümlichkeiten Kaspar's aus vielfacher Erfahrung<lb/>
genau kennt, werden verabredet haben." Klingt das in der Eschenheimer Gasse<lb/>
wie eine Komödie? Aber es kommt noch besser. Fenerbcich müßte geradezu<lb/>
die Täuschung Eberhardt's ausgedehnt haben auf den Versuch der Täuschung<lb/>
seines eigenen Ich. Denn in den von Feuerbach selbst geführten Präsidialakten,<lb/>
hat er am 15. Januar 1833 ein Schreiben an Eberhardt entworfen, welches<lb/>
Hickel bei Antritt seiner Reise (in Gesellschaft Hauser's) uach Gotha mitnahm.<lb/>
In diesem Schreiben wird zunächst wiederholt, daß die Anzeigen Eberhardt's<lb/>
über Kaspar's Herkunft &#x201E;ein unverhofftes und vollständiges<lb/>
Licht zu verbreiten scheinen", daß Hickel &#x201E;bisher in dieser Sache,<lb/>
so ausgezeichnete Dienste geleistet hat" u. s. w. Aber wie wenig dieses Schreiben<lb/>
den Theil einer Komödie bilden konnte, wie tief ernst Feuerbach die Sendung<lb/>
Hickel's nach Gotha war, geht weiter aus Folgenden: hervor. Das Konzept<lb/>
dieses Schreibens in den Ansbacher Akten ist datirt: &#x201E;Ansbach, Januar 1833".<lb/>
Der Tag fehlt. Ju derartigen Akten ist das sehr auffallend. Warum fehlt<lb/>
die Angabe des Tages? Warum lag Feuerbach daran, Andere, welchen die<lb/>
Akten in die Hände fallen konnten, über diesen Tag im Unklaren zulassen, von<lb/>
dem wir aus der Gothaer Reinschrift dieses Konzepts wissen, daß es der<lb/>
15. Januar war. Feuerbach antwortet theilweise selbst auf diese Frage durch<lb/>
eine Glosse, die er selbst in den Ansbacher Akten an den Rand geschrieben.<lb/>
Sie lautet: &#x201E;M. Es mußte nebenstehendes Kommissorium so wie geschehen<lb/>
gefaßt werden, wenn die Nothwendigkeit, von dem König die Reiseerlaubniß<lb/>
nach Gotha erst zu erholen, woraus Aufschub und Hindernisse möchten<lb/>
entstanden sein, umgangen werden sollte." Also zu einer Dienstreise Hickel's<lb/>
außerhalb Landes gehörte nach damaligem Zairischem Recht die Einwilligung<lb/>
des Königs. Vom König fürchtete Feuerbach Aufschub, Hindernisse &#x2014; ganz<lb/>
natürlich. Denn nachdem der König einige Monate zuvor die angenehme<lb/>
&#x201E;moralische Gewißheit" erhalten hatte, Kaspar Hauser sei der Neffe seiner<lb/>
Mutter, des Königs Vetter, hätte er jedenfalls eine Dienstreise nicht gerne ge¬<lb/>
sehen, welche den Zweck verfolgte, den vermeintlichen Prinzen als Bastard eines<lb/>
adeligen katholischen Geistlichen Baierns zu entlarven. Um diese Hindernisse<lb/>
zu beseitigen, wurde dem Kommissorinm die Fassung gegeben, als sei es ein<lb/>
dem Hickel plötzlich nachgesandter amtlicher Auftrag. Deshalb ist in diesem<lb/>
Kommissorium von dem &#x201E;schweren Verbrechen" gegen Kaspar Hauser und davon<lb/>
die Rede, Hickel möge &#x201E;seine Anwesenheit in Bamberg dazu benutzen, um sich<lb/>
schleunigst nach Gotha an Ort und Stelle zu begeben" u. s. w. Und aus</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0442] zuhalte» wissen, bis Hauser selbst zu Gotha erscheint, wo dann, ehe die Recog- nition geschieht, Euer Wohlgeboren die nöthigen Vorbereitungen und Einleitungen mit Hickel, welcher auch den wohl zu beachtenden Charakter und die psychologischen Eigenthümlichkeiten Kaspar's aus vielfacher Erfahrung genau kennt, werden verabredet haben." Klingt das in der Eschenheimer Gasse wie eine Komödie? Aber es kommt noch besser. Fenerbcich müßte geradezu die Täuschung Eberhardt's ausgedehnt haben auf den Versuch der Täuschung seines eigenen Ich. Denn in den von Feuerbach selbst geführten Präsidialakten, hat er am 15. Januar 1833 ein Schreiben an Eberhardt entworfen, welches Hickel bei Antritt seiner Reise (in Gesellschaft Hauser's) uach Gotha mitnahm. In diesem Schreiben wird zunächst wiederholt, daß die Anzeigen Eberhardt's über Kaspar's Herkunft „ein unverhofftes und vollständiges Licht zu verbreiten scheinen", daß Hickel „bisher in dieser Sache, so ausgezeichnete Dienste geleistet hat" u. s. w. Aber wie wenig dieses Schreiben den Theil einer Komödie bilden konnte, wie tief ernst Feuerbach die Sendung Hickel's nach Gotha war, geht weiter aus Folgenden: hervor. Das Konzept dieses Schreibens in den Ansbacher Akten ist datirt: „Ansbach, Januar 1833". Der Tag fehlt. Ju derartigen Akten ist das sehr auffallend. Warum fehlt die Angabe des Tages? Warum lag Feuerbach daran, Andere, welchen die Akten in die Hände fallen konnten, über diesen Tag im Unklaren zulassen, von dem wir aus der Gothaer Reinschrift dieses Konzepts wissen, daß es der 15. Januar war. Feuerbach antwortet theilweise selbst auf diese Frage durch eine Glosse, die er selbst in den Ansbacher Akten an den Rand geschrieben. Sie lautet: „M. Es mußte nebenstehendes Kommissorium so wie geschehen gefaßt werden, wenn die Nothwendigkeit, von dem König die Reiseerlaubniß nach Gotha erst zu erholen, woraus Aufschub und Hindernisse möchten entstanden sein, umgangen werden sollte." Also zu einer Dienstreise Hickel's außerhalb Landes gehörte nach damaligem Zairischem Recht die Einwilligung des Königs. Vom König fürchtete Feuerbach Aufschub, Hindernisse — ganz natürlich. Denn nachdem der König einige Monate zuvor die angenehme „moralische Gewißheit" erhalten hatte, Kaspar Hauser sei der Neffe seiner Mutter, des Königs Vetter, hätte er jedenfalls eine Dienstreise nicht gerne ge¬ sehen, welche den Zweck verfolgte, den vermeintlichen Prinzen als Bastard eines adeligen katholischen Geistlichen Baierns zu entlarven. Um diese Hindernisse zu beseitigen, wurde dem Kommissorinm die Fassung gegeben, als sei es ein dem Hickel plötzlich nachgesandter amtlicher Auftrag. Deshalb ist in diesem Kommissorium von dem „schweren Verbrechen" gegen Kaspar Hauser und davon die Rede, Hickel möge „seine Anwesenheit in Bamberg dazu benutzen, um sich schleunigst nach Gotha an Ort und Stelle zu begeben" u. s. w. Und aus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/442
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/442>, abgerufen am 01.09.2024.