Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gelangen zu lassen. Am 23. Dezember antwortet Eberhardt, dankt für Haar¬
locke und Bildniß und spricht sich ausführlich und vertraulich dahin ans,
Kaspar Hauser könne identisch sein mit einem Kinde, welches die unverehelichte
Dorothea Königs heim, "jetzt Oberbettfrau im herzoglichen Schloß zu
Gotha", 1810 mit dein (im Jahre 1822 verstorbenen) Domherrn von
Gutenberg in Bamberg gezeugt habe. Feuerbach prüft diese Mittheilung
eingehend. An den Rand schreibt er eigenhändig: "R. L. In dem Schreiben,
das dem Kaspar bei seiner Aussetzung mitgegeben war" (1828), "heißt es in
Lus "ich bin ein armes Mägdlein, ich kann das Kind nicht ernähren,
sein Vater ist gestorben." Die gesperrt gedruckten Worte hat Feuerbach
selbst unterstrichen. -- Am 24. Dezember stellt Eberhardt auch ein Verhör mit
der Königsheim an und berichtet am 25. Dezember darüber an Feuerbach.
Sie hat die Locke Hauser's von derselben Farbe gefunden, wie die des Dom¬
herrn v. Gutenberg. Eberhardt selbst hat eine Locke des Letzteren, welche die
Königsheim aufbewahrte, mit Hauser's Haar verglichen und sie von derselben
Farbe gefunden. Auch das Bild Hauser's gebe nach Versicherung der Königs¬
heim die Gesichtszüge des Domherrn vollständig wieder. Sie sei zu Martini
1810 behufs ihrer Entbindung nach Würzburg geschickt worden und habe hier
am 27. März 1811 geboren. Ihr sei das Kind wenige Tage nach ihrer Nieder¬
kunft entrissen worden, sie habe es nie wieder gesehen; an die ihr mitgetheilte
Nachricht vom Tode des Kindes habe sie nie geglaubt. Schließlich erbietet
sich Eberhardt, die Königsheim nach Ansbach zu begleiten und zwischen ihr und
Hauser eine Zusammenkunft zu veranstalten. "Aller Wahrscheinlichkeit nach,"
schließt er, "hat dieser seine Mutter wiedergefunden."

Es ist nun höchst charakteristisch für Feuerbach, daß er schon nach diesen
wenigen Mittheilungen, bei denen doch immerhin noch ein Irrthum Eberhardt's
oder der Königsheim möglich war, das Räthsel Kaspar Hauser's vollständig
gelöst ansah. Schon am 29. Dezember 1832 schreibt er an Eberhardt, "über
das tiefe Dunkel, das über Hauser's Schicksal liegt, werde durch die ebenso
wichtigen als interessanten Mittheilungen Eberhardt's ein helleres Licht ver¬
breitet, als bis jetzt aller Anstrengung einer mehrjährigen Untersuchung
ungeachtet zu erlangen war. Daß Geistliche und zwar katholische an
der ganzen Begebenheit einen Hauptantheil haben," habe Feuerbach immer
behauptet. "Merkwürdig ist auch in dieser Beziehung Kaspar's Physiognomie
und ganze Haltung, welche ganz der unverkennbaren Eigenthümlichkeit katho¬
lischer Geistlichen entspricht. Er ist gleichsam nnr ein Kanonikus oder
Domprobst <Zu ininiaturv, an dem man kaum die Tonsur ver¬
mißt.....Was insbesondere den Freiherrn von Gutenberg betrifft, so werden
Euer Wohlgeboren seiner Zeit noch besondere Notizen mitgetheilt werden."


gelangen zu lassen. Am 23. Dezember antwortet Eberhardt, dankt für Haar¬
locke und Bildniß und spricht sich ausführlich und vertraulich dahin ans,
Kaspar Hauser könne identisch sein mit einem Kinde, welches die unverehelichte
Dorothea Königs heim, „jetzt Oberbettfrau im herzoglichen Schloß zu
Gotha", 1810 mit dein (im Jahre 1822 verstorbenen) Domherrn von
Gutenberg in Bamberg gezeugt habe. Feuerbach prüft diese Mittheilung
eingehend. An den Rand schreibt er eigenhändig: „R. L. In dem Schreiben,
das dem Kaspar bei seiner Aussetzung mitgegeben war" (1828), „heißt es in
Lus „ich bin ein armes Mägdlein, ich kann das Kind nicht ernähren,
sein Vater ist gestorben." Die gesperrt gedruckten Worte hat Feuerbach
selbst unterstrichen. — Am 24. Dezember stellt Eberhardt auch ein Verhör mit
der Königsheim an und berichtet am 25. Dezember darüber an Feuerbach.
Sie hat die Locke Hauser's von derselben Farbe gefunden, wie die des Dom¬
herrn v. Gutenberg. Eberhardt selbst hat eine Locke des Letzteren, welche die
Königsheim aufbewahrte, mit Hauser's Haar verglichen und sie von derselben
Farbe gefunden. Auch das Bild Hauser's gebe nach Versicherung der Königs¬
heim die Gesichtszüge des Domherrn vollständig wieder. Sie sei zu Martini
1810 behufs ihrer Entbindung nach Würzburg geschickt worden und habe hier
am 27. März 1811 geboren. Ihr sei das Kind wenige Tage nach ihrer Nieder¬
kunft entrissen worden, sie habe es nie wieder gesehen; an die ihr mitgetheilte
Nachricht vom Tode des Kindes habe sie nie geglaubt. Schließlich erbietet
sich Eberhardt, die Königsheim nach Ansbach zu begleiten und zwischen ihr und
Hauser eine Zusammenkunft zu veranstalten. „Aller Wahrscheinlichkeit nach,"
schließt er, „hat dieser seine Mutter wiedergefunden."

Es ist nun höchst charakteristisch für Feuerbach, daß er schon nach diesen
wenigen Mittheilungen, bei denen doch immerhin noch ein Irrthum Eberhardt's
oder der Königsheim möglich war, das Räthsel Kaspar Hauser's vollständig
gelöst ansah. Schon am 29. Dezember 1832 schreibt er an Eberhardt, „über
das tiefe Dunkel, das über Hauser's Schicksal liegt, werde durch die ebenso
wichtigen als interessanten Mittheilungen Eberhardt's ein helleres Licht ver¬
breitet, als bis jetzt aller Anstrengung einer mehrjährigen Untersuchung
ungeachtet zu erlangen war. Daß Geistliche und zwar katholische an
der ganzen Begebenheit einen Hauptantheil haben," habe Feuerbach immer
behauptet. „Merkwürdig ist auch in dieser Beziehung Kaspar's Physiognomie
und ganze Haltung, welche ganz der unverkennbaren Eigenthümlichkeit katho¬
lischer Geistlichen entspricht. Er ist gleichsam nnr ein Kanonikus oder
Domprobst <Zu ininiaturv, an dem man kaum die Tonsur ver¬
mißt.....Was insbesondere den Freiherrn von Gutenberg betrifft, so werden
Euer Wohlgeboren seiner Zeit noch besondere Notizen mitgetheilt werden."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140261"/>
          <p xml:id="ID_1288" prev="#ID_1287"> gelangen zu lassen. Am 23. Dezember antwortet Eberhardt, dankt für Haar¬<lb/>
locke und Bildniß und spricht sich ausführlich und vertraulich dahin ans,<lb/>
Kaspar Hauser könne identisch sein mit einem Kinde, welches die unverehelichte<lb/>
Dorothea Königs heim, &#x201E;jetzt Oberbettfrau im herzoglichen Schloß zu<lb/>
Gotha", 1810 mit dein (im Jahre 1822 verstorbenen) Domherrn von<lb/>
Gutenberg in Bamberg gezeugt habe. Feuerbach prüft diese Mittheilung<lb/>
eingehend. An den Rand schreibt er eigenhändig: &#x201E;R. L. In dem Schreiben,<lb/>
das dem Kaspar bei seiner Aussetzung mitgegeben war" (1828), &#x201E;heißt es in<lb/>
Lus &#x201E;ich bin ein armes Mägdlein, ich kann das Kind nicht ernähren,<lb/>
sein Vater ist gestorben." Die gesperrt gedruckten Worte hat Feuerbach<lb/>
selbst unterstrichen. &#x2014; Am 24. Dezember stellt Eberhardt auch ein Verhör mit<lb/>
der Königsheim an und berichtet am 25. Dezember darüber an Feuerbach.<lb/>
Sie hat die Locke Hauser's von derselben Farbe gefunden, wie die des Dom¬<lb/>
herrn v. Gutenberg. Eberhardt selbst hat eine Locke des Letzteren, welche die<lb/>
Königsheim aufbewahrte, mit Hauser's Haar verglichen und sie von derselben<lb/>
Farbe gefunden. Auch das Bild Hauser's gebe nach Versicherung der Königs¬<lb/>
heim die Gesichtszüge des Domherrn vollständig wieder. Sie sei zu Martini<lb/>
1810 behufs ihrer Entbindung nach Würzburg geschickt worden und habe hier<lb/>
am 27. März 1811 geboren. Ihr sei das Kind wenige Tage nach ihrer Nieder¬<lb/>
kunft entrissen worden, sie habe es nie wieder gesehen; an die ihr mitgetheilte<lb/>
Nachricht vom Tode des Kindes habe sie nie geglaubt. Schließlich erbietet<lb/>
sich Eberhardt, die Königsheim nach Ansbach zu begleiten und zwischen ihr und<lb/>
Hauser eine Zusammenkunft zu veranstalten. &#x201E;Aller Wahrscheinlichkeit nach,"<lb/>
schließt er, &#x201E;hat dieser seine Mutter wiedergefunden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1289" next="#ID_1290"> Es ist nun höchst charakteristisch für Feuerbach, daß er schon nach diesen<lb/>
wenigen Mittheilungen, bei denen doch immerhin noch ein Irrthum Eberhardt's<lb/>
oder der Königsheim möglich war, das Räthsel Kaspar Hauser's vollständig<lb/>
gelöst ansah. Schon am 29. Dezember 1832 schreibt er an Eberhardt, &#x201E;über<lb/>
das tiefe Dunkel, das über Hauser's Schicksal liegt, werde durch die ebenso<lb/>
wichtigen als interessanten Mittheilungen Eberhardt's ein helleres Licht ver¬<lb/>
breitet, als bis jetzt aller Anstrengung einer mehrjährigen Untersuchung<lb/>
ungeachtet zu erlangen war. Daß Geistliche und zwar katholische an<lb/>
der ganzen Begebenheit einen Hauptantheil haben," habe Feuerbach immer<lb/>
behauptet. &#x201E;Merkwürdig ist auch in dieser Beziehung Kaspar's Physiognomie<lb/>
und ganze Haltung, welche ganz der unverkennbaren Eigenthümlichkeit katho¬<lb/>
lischer Geistlichen entspricht. Er ist gleichsam nnr ein Kanonikus oder<lb/>
Domprobst &lt;Zu ininiaturv, an dem man kaum die Tonsur ver¬<lb/>
mißt.....Was insbesondere den Freiherrn von Gutenberg betrifft, so werden<lb/>
Euer Wohlgeboren seiner Zeit noch besondere Notizen mitgetheilt werden."</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0440] gelangen zu lassen. Am 23. Dezember antwortet Eberhardt, dankt für Haar¬ locke und Bildniß und spricht sich ausführlich und vertraulich dahin ans, Kaspar Hauser könne identisch sein mit einem Kinde, welches die unverehelichte Dorothea Königs heim, „jetzt Oberbettfrau im herzoglichen Schloß zu Gotha", 1810 mit dein (im Jahre 1822 verstorbenen) Domherrn von Gutenberg in Bamberg gezeugt habe. Feuerbach prüft diese Mittheilung eingehend. An den Rand schreibt er eigenhändig: „R. L. In dem Schreiben, das dem Kaspar bei seiner Aussetzung mitgegeben war" (1828), „heißt es in Lus „ich bin ein armes Mägdlein, ich kann das Kind nicht ernähren, sein Vater ist gestorben." Die gesperrt gedruckten Worte hat Feuerbach selbst unterstrichen. — Am 24. Dezember stellt Eberhardt auch ein Verhör mit der Königsheim an und berichtet am 25. Dezember darüber an Feuerbach. Sie hat die Locke Hauser's von derselben Farbe gefunden, wie die des Dom¬ herrn v. Gutenberg. Eberhardt selbst hat eine Locke des Letzteren, welche die Königsheim aufbewahrte, mit Hauser's Haar verglichen und sie von derselben Farbe gefunden. Auch das Bild Hauser's gebe nach Versicherung der Königs¬ heim die Gesichtszüge des Domherrn vollständig wieder. Sie sei zu Martini 1810 behufs ihrer Entbindung nach Würzburg geschickt worden und habe hier am 27. März 1811 geboren. Ihr sei das Kind wenige Tage nach ihrer Nieder¬ kunft entrissen worden, sie habe es nie wieder gesehen; an die ihr mitgetheilte Nachricht vom Tode des Kindes habe sie nie geglaubt. Schließlich erbietet sich Eberhardt, die Königsheim nach Ansbach zu begleiten und zwischen ihr und Hauser eine Zusammenkunft zu veranstalten. „Aller Wahrscheinlichkeit nach," schließt er, „hat dieser seine Mutter wiedergefunden." Es ist nun höchst charakteristisch für Feuerbach, daß er schon nach diesen wenigen Mittheilungen, bei denen doch immerhin noch ein Irrthum Eberhardt's oder der Königsheim möglich war, das Räthsel Kaspar Hauser's vollständig gelöst ansah. Schon am 29. Dezember 1832 schreibt er an Eberhardt, „über das tiefe Dunkel, das über Hauser's Schicksal liegt, werde durch die ebenso wichtigen als interessanten Mittheilungen Eberhardt's ein helleres Licht ver¬ breitet, als bis jetzt aller Anstrengung einer mehrjährigen Untersuchung ungeachtet zu erlangen war. Daß Geistliche und zwar katholische an der ganzen Begebenheit einen Hauptantheil haben," habe Feuerbach immer behauptet. „Merkwürdig ist auch in dieser Beziehung Kaspar's Physiognomie und ganze Haltung, welche ganz der unverkennbaren Eigenthümlichkeit katho¬ lischer Geistlichen entspricht. Er ist gleichsam nnr ein Kanonikus oder Domprobst <Zu ininiaturv, an dem man kaum die Tonsur ver¬ mißt.....Was insbesondere den Freiherrn von Gutenberg betrifft, so werden Euer Wohlgeboren seiner Zeit noch besondere Notizen mitgetheilt werden."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/440
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/440>, abgerufen am 01.09.2024.