Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Hochberg war 1820, Ludwig als regierender Großherzog 1830 kinderlos ge¬
storben. Niemand, auch nicht die wahnsinnige Verdächtigungswuth der Ver¬
theidiger der Hauser'schen Legitimae gibt uns Antwort auf diese Räthsel. Vor
Allem aber verschließen sie sich vollständig den Thatsachen, welche beweisen,
daß Feuerbach selbst den Inhalt seines Memoire vor seinem
Tode widerrufen hat.

Heute kann nicht mehr bestritten werden, daß Anselm v. Feuerbach nicht
wie sein Sohn Ludwig bei Veröffentlichung des Memoire glauben machte, die
hier ausgesprochene badische Prinzentheorie Kaspar Hauser's als seine letzte
Ueberzeugung mit ins Grab genommen habe.*) Feuerbach hat vielmehr in
dieser Hinsicht sein Testament widerrufen und die Gründe für diesen Widerruf
machen dem berühmten Manne nur Ehre. Sein treuer Vertrauter, Gendarmerie-
Lieutenant Hickel überbrachte das geheime Memoire der Königin Karoline
Persönlich in München. Schon hier wurde er von der UnHaltbarkeit der
Feuerbach'schen Prinzentheorie überzeugt. Hickel reiste aber auch nach Baden
und erfuhr dort, daß der im Jahr 1812 geborene Erbprinz unter den Augen
seines Vaters und seiner Großmutter, der gewaltigen Markgräfin Amalie, der
Mutter der Königin Karoline, krank gelegen und gestorben sei. Die entschei¬
denden Staatsurkundeu, die Baden erst in den letzten Jahren über die Krank¬
heit, den Tod, die Sektion und die Beisetzung dieses Erbprinzen veröffentlicht
hat, und welche beweisen, daß in allen Stadien dieses kurzen Lebens stets eine
große Anzahl von glaubwürdigen, über den Verdacht jeder Art von Verrath
erhabenen Personen um den kleinen Erbprinzen beschäftigt war, hat der Ver¬
traute Feuerbach's nach seinem Briefe vom 31. März 1832 wahrscheinlich schon
gekannt. Jedenfalls hat er in diesem Sinne an seinen Auftraggeber berichtet.
Feuerbach selbst hat für den Scharfsinn, den Eifer und die Pflichttreue Hickel's
stets nur das höchste Lob gehabt. Gewiß muß er schon aus den Berichten
seines Untergebenen das Verfehlte seiner Verdächtigungen gegen Baden erkannt
haben. Dazu kam nun aber plötzlich auch eine weitere wichtige Enthüllung.

Am 7. Dezember 1832 schrieb der herzoglich-gothaische Polizeirath Eber-
hardt in Gotha, ein nicht unbedeutender, auch als Fachschriftsteller bekannter
Mann, an den Stadtkommissär Faber in Nürnberg, er wünsche ein gutes Bild
Kaspar Hauser's und eine Haarlocke desselben, da er hoffe hierdurch zur Auf¬
klärung über die Herkunft des Findlings beitragen zu können. Dieses Schreiben
gelaugte durch den Regierungspräsidenten an Feuerbach. Am 19. Dezember,
sofort nach Empfang, sandte Feuerbach Porträt und Haarlocke an Eberhard:
mit der Bitte, alle Nachrichten über die Sache unmittelbar an ihn selbst



Die Gründe dafür s, Mittelstadt, a. a. O. S. 80 fg.

Hochberg war 1820, Ludwig als regierender Großherzog 1830 kinderlos ge¬
storben. Niemand, auch nicht die wahnsinnige Verdächtigungswuth der Ver¬
theidiger der Hauser'schen Legitimae gibt uns Antwort auf diese Räthsel. Vor
Allem aber verschließen sie sich vollständig den Thatsachen, welche beweisen,
daß Feuerbach selbst den Inhalt seines Memoire vor seinem
Tode widerrufen hat.

Heute kann nicht mehr bestritten werden, daß Anselm v. Feuerbach nicht
wie sein Sohn Ludwig bei Veröffentlichung des Memoire glauben machte, die
hier ausgesprochene badische Prinzentheorie Kaspar Hauser's als seine letzte
Ueberzeugung mit ins Grab genommen habe.*) Feuerbach hat vielmehr in
dieser Hinsicht sein Testament widerrufen und die Gründe für diesen Widerruf
machen dem berühmten Manne nur Ehre. Sein treuer Vertrauter, Gendarmerie-
Lieutenant Hickel überbrachte das geheime Memoire der Königin Karoline
Persönlich in München. Schon hier wurde er von der UnHaltbarkeit der
Feuerbach'schen Prinzentheorie überzeugt. Hickel reiste aber auch nach Baden
und erfuhr dort, daß der im Jahr 1812 geborene Erbprinz unter den Augen
seines Vaters und seiner Großmutter, der gewaltigen Markgräfin Amalie, der
Mutter der Königin Karoline, krank gelegen und gestorben sei. Die entschei¬
denden Staatsurkundeu, die Baden erst in den letzten Jahren über die Krank¬
heit, den Tod, die Sektion und die Beisetzung dieses Erbprinzen veröffentlicht
hat, und welche beweisen, daß in allen Stadien dieses kurzen Lebens stets eine
große Anzahl von glaubwürdigen, über den Verdacht jeder Art von Verrath
erhabenen Personen um den kleinen Erbprinzen beschäftigt war, hat der Ver¬
traute Feuerbach's nach seinem Briefe vom 31. März 1832 wahrscheinlich schon
gekannt. Jedenfalls hat er in diesem Sinne an seinen Auftraggeber berichtet.
Feuerbach selbst hat für den Scharfsinn, den Eifer und die Pflichttreue Hickel's
stets nur das höchste Lob gehabt. Gewiß muß er schon aus den Berichten
seines Untergebenen das Verfehlte seiner Verdächtigungen gegen Baden erkannt
haben. Dazu kam nun aber plötzlich auch eine weitere wichtige Enthüllung.

Am 7. Dezember 1832 schrieb der herzoglich-gothaische Polizeirath Eber-
hardt in Gotha, ein nicht unbedeutender, auch als Fachschriftsteller bekannter
Mann, an den Stadtkommissär Faber in Nürnberg, er wünsche ein gutes Bild
Kaspar Hauser's und eine Haarlocke desselben, da er hoffe hierdurch zur Auf¬
klärung über die Herkunft des Findlings beitragen zu können. Dieses Schreiben
gelaugte durch den Regierungspräsidenten an Feuerbach. Am 19. Dezember,
sofort nach Empfang, sandte Feuerbach Porträt und Haarlocke an Eberhard:
mit der Bitte, alle Nachrichten über die Sache unmittelbar an ihn selbst



Die Gründe dafür s, Mittelstadt, a. a. O. S. 80 fg.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0439" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140260"/>
          <p xml:id="ID_1285" prev="#ID_1284"> Hochberg war 1820, Ludwig als regierender Großherzog 1830 kinderlos ge¬<lb/>
storben. Niemand, auch nicht die wahnsinnige Verdächtigungswuth der Ver¬<lb/>
theidiger der Hauser'schen Legitimae gibt uns Antwort auf diese Räthsel. Vor<lb/>
Allem aber verschließen sie sich vollständig den Thatsachen, welche beweisen,<lb/>
daß Feuerbach selbst den Inhalt seines Memoire vor seinem<lb/>
Tode widerrufen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1286"> Heute kann nicht mehr bestritten werden, daß Anselm v. Feuerbach nicht<lb/>
wie sein Sohn Ludwig bei Veröffentlichung des Memoire glauben machte, die<lb/>
hier ausgesprochene badische Prinzentheorie Kaspar Hauser's als seine letzte<lb/>
Ueberzeugung mit ins Grab genommen habe.*) Feuerbach hat vielmehr in<lb/>
dieser Hinsicht sein Testament widerrufen und die Gründe für diesen Widerruf<lb/>
machen dem berühmten Manne nur Ehre. Sein treuer Vertrauter, Gendarmerie-<lb/>
Lieutenant Hickel überbrachte das geheime Memoire der Königin Karoline<lb/>
Persönlich in München. Schon hier wurde er von der UnHaltbarkeit der<lb/>
Feuerbach'schen Prinzentheorie überzeugt. Hickel reiste aber auch nach Baden<lb/>
und erfuhr dort, daß der im Jahr 1812 geborene Erbprinz unter den Augen<lb/>
seines Vaters und seiner Großmutter, der gewaltigen Markgräfin Amalie, der<lb/>
Mutter der Königin Karoline, krank gelegen und gestorben sei. Die entschei¬<lb/>
denden Staatsurkundeu, die Baden erst in den letzten Jahren über die Krank¬<lb/>
heit, den Tod, die Sektion und die Beisetzung dieses Erbprinzen veröffentlicht<lb/>
hat, und welche beweisen, daß in allen Stadien dieses kurzen Lebens stets eine<lb/>
große Anzahl von glaubwürdigen, über den Verdacht jeder Art von Verrath<lb/>
erhabenen Personen um den kleinen Erbprinzen beschäftigt war, hat der Ver¬<lb/>
traute Feuerbach's nach seinem Briefe vom 31. März 1832 wahrscheinlich schon<lb/>
gekannt. Jedenfalls hat er in diesem Sinne an seinen Auftraggeber berichtet.<lb/>
Feuerbach selbst hat für den Scharfsinn, den Eifer und die Pflichttreue Hickel's<lb/>
stets nur das höchste Lob gehabt. Gewiß muß er schon aus den Berichten<lb/>
seines Untergebenen das Verfehlte seiner Verdächtigungen gegen Baden erkannt<lb/>
haben. Dazu kam nun aber plötzlich auch eine weitere wichtige Enthüllung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1287" next="#ID_1288"> Am 7. Dezember 1832 schrieb der herzoglich-gothaische Polizeirath Eber-<lb/>
hardt in Gotha, ein nicht unbedeutender, auch als Fachschriftsteller bekannter<lb/>
Mann, an den Stadtkommissär Faber in Nürnberg, er wünsche ein gutes Bild<lb/>
Kaspar Hauser's und eine Haarlocke desselben, da er hoffe hierdurch zur Auf¬<lb/>
klärung über die Herkunft des Findlings beitragen zu können. Dieses Schreiben<lb/>
gelaugte durch den Regierungspräsidenten an Feuerbach. Am 19. Dezember,<lb/>
sofort nach Empfang, sandte Feuerbach Porträt und Haarlocke an Eberhard:<lb/>
mit der Bitte, alle Nachrichten über die Sache unmittelbar an ihn selbst</p><lb/>
          <note xml:id="FID_134" place="foot"> Die Gründe dafür s, Mittelstadt, a. a. O.  S. 80 fg.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0439] Hochberg war 1820, Ludwig als regierender Großherzog 1830 kinderlos ge¬ storben. Niemand, auch nicht die wahnsinnige Verdächtigungswuth der Ver¬ theidiger der Hauser'schen Legitimae gibt uns Antwort auf diese Räthsel. Vor Allem aber verschließen sie sich vollständig den Thatsachen, welche beweisen, daß Feuerbach selbst den Inhalt seines Memoire vor seinem Tode widerrufen hat. Heute kann nicht mehr bestritten werden, daß Anselm v. Feuerbach nicht wie sein Sohn Ludwig bei Veröffentlichung des Memoire glauben machte, die hier ausgesprochene badische Prinzentheorie Kaspar Hauser's als seine letzte Ueberzeugung mit ins Grab genommen habe.*) Feuerbach hat vielmehr in dieser Hinsicht sein Testament widerrufen und die Gründe für diesen Widerruf machen dem berühmten Manne nur Ehre. Sein treuer Vertrauter, Gendarmerie- Lieutenant Hickel überbrachte das geheime Memoire der Königin Karoline Persönlich in München. Schon hier wurde er von der UnHaltbarkeit der Feuerbach'schen Prinzentheorie überzeugt. Hickel reiste aber auch nach Baden und erfuhr dort, daß der im Jahr 1812 geborene Erbprinz unter den Augen seines Vaters und seiner Großmutter, der gewaltigen Markgräfin Amalie, der Mutter der Königin Karoline, krank gelegen und gestorben sei. Die entschei¬ denden Staatsurkundeu, die Baden erst in den letzten Jahren über die Krank¬ heit, den Tod, die Sektion und die Beisetzung dieses Erbprinzen veröffentlicht hat, und welche beweisen, daß in allen Stadien dieses kurzen Lebens stets eine große Anzahl von glaubwürdigen, über den Verdacht jeder Art von Verrath erhabenen Personen um den kleinen Erbprinzen beschäftigt war, hat der Ver¬ traute Feuerbach's nach seinem Briefe vom 31. März 1832 wahrscheinlich schon gekannt. Jedenfalls hat er in diesem Sinne an seinen Auftraggeber berichtet. Feuerbach selbst hat für den Scharfsinn, den Eifer und die Pflichttreue Hickel's stets nur das höchste Lob gehabt. Gewiß muß er schon aus den Berichten seines Untergebenen das Verfehlte seiner Verdächtigungen gegen Baden erkannt haben. Dazu kam nun aber plötzlich auch eine weitere wichtige Enthüllung. Am 7. Dezember 1832 schrieb der herzoglich-gothaische Polizeirath Eber- hardt in Gotha, ein nicht unbedeutender, auch als Fachschriftsteller bekannter Mann, an den Stadtkommissär Faber in Nürnberg, er wünsche ein gutes Bild Kaspar Hauser's und eine Haarlocke desselben, da er hoffe hierdurch zur Auf¬ klärung über die Herkunft des Findlings beitragen zu können. Dieses Schreiben gelaugte durch den Regierungspräsidenten an Feuerbach. Am 19. Dezember, sofort nach Empfang, sandte Feuerbach Porträt und Haarlocke an Eberhard: mit der Bitte, alle Nachrichten über die Sache unmittelbar an ihn selbst Die Gründe dafür s, Mittelstadt, a. a. O. S. 80 fg.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/439
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/439>, abgerufen am 01.09.2024.