Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.derartiges ermittelt sei, so wurde ein Kind für todt ausgegeben und lebt noch Diese Behauptungen sind, um einen milden Ausdruck zu wählen, durchweg derartiges ermittelt sei, so wurde ein Kind für todt ausgegeben und lebt noch Diese Behauptungen sind, um einen milden Ausdruck zu wählen, durchweg <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140256"/> <p xml:id="ID_1275" prev="#ID_1274"> derartiges ermittelt sei, so wurde ein Kind für todt ausgegeben und lebt noch<lb/> in der Person des armen Kaspar", folgert dann Feuerbach in ebenso leicht¬<lb/> fertiger Weise die „muthmaßliche Geschichte" Kaspar Hanser's. „Das Kind, in<lb/> dessen Person der nächste Erbe oder der ganze Mannsstamm seiner Familie<lb/> erlöschen sollte, wurde heimlich beiseite geschafft, um nie wieder zu erscheinen.<lb/> Um aber den Verdacht eines Verbrechens zu entfernen, wurde diesem Kinde,<lb/> welches vielleicht, als es beseitigt wurde, gerade krank zu Bett gelegen hatte,<lb/> ein anderes bereits verstorbenes oder sterbendes Kind unterschoben, dieses alsdann<lb/> als todt ausgestellt und begraben und so Kaspar angeblich in die Todtenliste<lb/> gebracht." Wir bemerken jetzt schon die für einen Juristen unbegreifliche Un¬<lb/> bestimmtheit des Ausdrucks: „ein bereits verstorbenes oder sterbendes Kind".<lb/> Aber wir geben zu: mit solchem Ausputz den leibhaftigen badischen Prinzen<lb/> Kaspar Hauser zu schaffen bot keine Schwierigkeiten mehr. Dieser Aufgabe ist<lb/> der dritte Hauptabschnitt des Feuerbach'schen Memoire gewidmet. Er findet, nur<lb/> ein Haus, das Haus Baden biete „die allgemeinen Verdachtsgründe" — wie „einen<lb/> besondern Umstand", um Kaspar dort als Kind unterzubringen. Die „allgemeinen<lb/> Verdachtsgründe" bestehen darin, daß „auf höchst auffallende Weise und gegen alle<lb/> menschlicheVermuthung das alteHaus der Zähringer aus einmal in seinem Manns¬<lb/> stamm erlosch" — beiläufig bemerkt ein Lieblingsausdruck des Königs Ludwig I. —<lb/> „um einem blos aus morganatischer Ehe entsprossenen Nebenzweige Platz zu<lb/> machen". Den „besonderen Umstand" bildet dagegen die von Feuerbach ent¬<lb/> deckte „Uebereinstimmung" der Hauser'schen Geburtsuotizen mit den „verhäng-<lb/> niszvollen Epochen der Geburt und des Todes der beiden Prinzen" und Söhne<lb/> Großherzogs Karl von Baden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1276" next="#ID_1277"> Diese Behauptungen sind, um einen milden Ausdruck zu wählen, durchweg<lb/> grundlos. Dahin gehören zunächst die „allgemeinen Verdachtsgründe": es ist<lb/> absolut unwahr, daß „das alte Haus der Zähringer auf einmal im Manns-<lb/> stamm erloschen" sei. Sechs Erbprinzen dieser Linie sind kinderlos gestorben<lb/> im Laufe von neunundzwanzig Jahren (von 1801 bis 1830). Sie ge¬<lb/> hörten bei ihrem Tode den verschiedensten Altern und Familienzweigen ihres<lb/> Hauses an. Wenn das badische Volk zu Beginn der dreißiger Jahre des<lb/> Jahrhunderts mißtrauisch zurückblickte auf die reiche Ernte, welche der Tod<lb/> unter den Prinzen des badischen Herrscherhauses gehalten, so war dieses Mi߬<lb/> trauen, wie wir heute wissen, sicher unbegründet. Denn auch Prinzen sind<lb/> dem gemeinen physiologischen Gesetz unterworfen, daß, namentlich in den ersten<lb/> Lebensjahren, Knaben in größerer Zahl sterben als Mädchen. Aber das<lb/> Mißtrauen des badischen Volkes war weit entfernt davon die Gräfin Hochberg<lb/> als die Ursache dieser auffallenden Sterblichkeit zu bezeichnen; das Volk dachte<lb/> wie sein Großherzog Karl und dieser sprach offen aus: das Haus Wittelsbach</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0435]
derartiges ermittelt sei, so wurde ein Kind für todt ausgegeben und lebt noch
in der Person des armen Kaspar", folgert dann Feuerbach in ebenso leicht¬
fertiger Weise die „muthmaßliche Geschichte" Kaspar Hanser's. „Das Kind, in
dessen Person der nächste Erbe oder der ganze Mannsstamm seiner Familie
erlöschen sollte, wurde heimlich beiseite geschafft, um nie wieder zu erscheinen.
Um aber den Verdacht eines Verbrechens zu entfernen, wurde diesem Kinde,
welches vielleicht, als es beseitigt wurde, gerade krank zu Bett gelegen hatte,
ein anderes bereits verstorbenes oder sterbendes Kind unterschoben, dieses alsdann
als todt ausgestellt und begraben und so Kaspar angeblich in die Todtenliste
gebracht." Wir bemerken jetzt schon die für einen Juristen unbegreifliche Un¬
bestimmtheit des Ausdrucks: „ein bereits verstorbenes oder sterbendes Kind".
Aber wir geben zu: mit solchem Ausputz den leibhaftigen badischen Prinzen
Kaspar Hauser zu schaffen bot keine Schwierigkeiten mehr. Dieser Aufgabe ist
der dritte Hauptabschnitt des Feuerbach'schen Memoire gewidmet. Er findet, nur
ein Haus, das Haus Baden biete „die allgemeinen Verdachtsgründe" — wie „einen
besondern Umstand", um Kaspar dort als Kind unterzubringen. Die „allgemeinen
Verdachtsgründe" bestehen darin, daß „auf höchst auffallende Weise und gegen alle
menschlicheVermuthung das alteHaus der Zähringer aus einmal in seinem Manns¬
stamm erlosch" — beiläufig bemerkt ein Lieblingsausdruck des Königs Ludwig I. —
„um einem blos aus morganatischer Ehe entsprossenen Nebenzweige Platz zu
machen". Den „besonderen Umstand" bildet dagegen die von Feuerbach ent¬
deckte „Uebereinstimmung" der Hauser'schen Geburtsuotizen mit den „verhäng-
niszvollen Epochen der Geburt und des Todes der beiden Prinzen" und Söhne
Großherzogs Karl von Baden.
Diese Behauptungen sind, um einen milden Ausdruck zu wählen, durchweg
grundlos. Dahin gehören zunächst die „allgemeinen Verdachtsgründe": es ist
absolut unwahr, daß „das alte Haus der Zähringer auf einmal im Manns-
stamm erloschen" sei. Sechs Erbprinzen dieser Linie sind kinderlos gestorben
im Laufe von neunundzwanzig Jahren (von 1801 bis 1830). Sie ge¬
hörten bei ihrem Tode den verschiedensten Altern und Familienzweigen ihres
Hauses an. Wenn das badische Volk zu Beginn der dreißiger Jahre des
Jahrhunderts mißtrauisch zurückblickte auf die reiche Ernte, welche der Tod
unter den Prinzen des badischen Herrscherhauses gehalten, so war dieses Mi߬
trauen, wie wir heute wissen, sicher unbegründet. Denn auch Prinzen sind
dem gemeinen physiologischen Gesetz unterworfen, daß, namentlich in den ersten
Lebensjahren, Knaben in größerer Zahl sterben als Mädchen. Aber das
Mißtrauen des badischen Volkes war weit entfernt davon die Gräfin Hochberg
als die Ursache dieser auffallenden Sterblichkeit zu bezeichnen; das Volk dachte
wie sein Großherzog Karl und dieser sprach offen aus: das Haus Wittelsbach
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