Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.welcher Bestimmtheit, daß Kaspar Hauser ein eheliches Kind gewesen? Wenn In gleich leichtfertiger Weise wird dann in einem zweiten Hauptabschnitt welcher Bestimmtheit, daß Kaspar Hauser ein eheliches Kind gewesen? Wenn In gleich leichtfertiger Weise wird dann in einem zweiten Hauptabschnitt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140255"/> <p xml:id="ID_1273" prev="#ID_1272"> welcher Bestimmtheit, daß Kaspar Hauser ein eheliches Kind gewesen? Wenn<lb/> er wirklich gefangen gehalten worden, so beweist das nur, daß seine Eltern an<lb/> seiner Beseitigung und an seiner Erhaltung ein gleich starkes Interesse gehabt<lb/> haben. Dann kann der Findling ebenso gut ein außereheliches Kind eines<lb/> vornehmen Vaters, z. B. eines Würdenträgers der katholischen Kirche, oder einer<lb/> vornehmen Mutter gewesen sein, als ein eheliches, das um seine Rechte be¬<lb/> trogen werden sollte. — Zweitens: „Bei den an Kaspar Hauser begangenen<lb/> Verbrechen sind Personen betheiligt, welche über große, außergewöhnliche Mittel<lb/> zu gebieten haben." Welche „Verbrechen" meint denn wohl Feuerbach? Die<lb/> Gefangenhaltung, die Aussetzung, den Mordversuch? Nein, alles das meint<lb/> Feuerbach nicht. Das wäre alles billig herzustellen gewesen. Aber daß sich<lb/> niemand die vom König ausgesetzten zehntausend Gulden verdienen wollte, das<lb/> soll die außergewöhnlichen Mittel der Verbrecher beweisen! Man müßte mit<lb/> derselben Logik dahin gelangen, die Nürnberger Polizei, die Insassen des<lb/> Danaer'schen Hauses, in dem der erste angebliche Mordversuch stattfand, den<lb/> Untersuchungsrichter, womöglich Feuerbach selbst durch „goldene Schlösser vor<lb/> mehr als einem Mund" zum Schweigen und Verschleiern geneigt zu erklären. —<lb/> Drittens: „Kaspar Hauser muß eine Person sein, an dessen Leben oder Tod<lb/> sich große Interessen knüpfen." Warum? Wegen des Mordversuchs von 1829.<lb/> Also nur eine Wiederholung des zweiten Arguments. Kann das aber nur<lb/> den Schatten eines Beweises für Hauser's Abstammung aus einem deutschen<lb/> Fürstenhause liefern. Hatte die kath ousch e Kirch e, wenn der Vater Hanser's<lb/> z. B. ein adliger Domherr von Bamberg war, nicht eine ganz andere Macht,<lb/> ganz andere Mittel, ein mindestens so großes Interesse, die „Verbrechen" gegen<lb/> den Sohn des ehelosen Vaters zu begehen, sich der königlichen Belohnung un¬<lb/> zugänglich zu zeigen, wie irgend ein deutsches Fürstenhaus? — Viertens:<lb/> „Konnten.nicht Haß, nicht Rache, sondern nur Eigennutz Motive zur Ein¬<lb/> kerkerung und versuchten Ermordung sein? Warum: weil Hauser ein so un¬<lb/> schuldiger, harmloser Mensch war. Als ob es nur diese drei Verbrechens¬<lb/> motive gebe, und als ob nicht auch Haß und Rache hundertfach unschuldige<lb/> Kinder gehaßter Eltern vernichtet hätten! — Fünftens: gar ein Traum<lb/> Kaspar Hauser träumte am 15. August 1828 von einem großen, glänzend ein¬<lb/> gerichteten Hause. Feuerbach entnimmt daraus den Beweis für die fürst¬<lb/> liche Abstammung seines Helden!</p><lb/> <p xml:id="ID_1274" next="#ID_1275"> In gleich leichtfertiger Weise wird dann in einem zweiten Hauptabschnitt<lb/> die angebliche Gefangenhaltung Häuser's tendenziös verwerthet. Aus dieser<lb/> Gefangenhaltung allein und der daran geknüpften ebenso sinnlosen als grund¬<lb/> losen Vermuthung, daß „wenn in irgend einer vornehmen Familie ein Kind<lb/> verschwunden wäre, das Unglück längst bekannt sein müsse, da aber nichts</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0434]
welcher Bestimmtheit, daß Kaspar Hauser ein eheliches Kind gewesen? Wenn
er wirklich gefangen gehalten worden, so beweist das nur, daß seine Eltern an
seiner Beseitigung und an seiner Erhaltung ein gleich starkes Interesse gehabt
haben. Dann kann der Findling ebenso gut ein außereheliches Kind eines
vornehmen Vaters, z. B. eines Würdenträgers der katholischen Kirche, oder einer
vornehmen Mutter gewesen sein, als ein eheliches, das um seine Rechte be¬
trogen werden sollte. — Zweitens: „Bei den an Kaspar Hauser begangenen
Verbrechen sind Personen betheiligt, welche über große, außergewöhnliche Mittel
zu gebieten haben." Welche „Verbrechen" meint denn wohl Feuerbach? Die
Gefangenhaltung, die Aussetzung, den Mordversuch? Nein, alles das meint
Feuerbach nicht. Das wäre alles billig herzustellen gewesen. Aber daß sich
niemand die vom König ausgesetzten zehntausend Gulden verdienen wollte, das
soll die außergewöhnlichen Mittel der Verbrecher beweisen! Man müßte mit
derselben Logik dahin gelangen, die Nürnberger Polizei, die Insassen des
Danaer'schen Hauses, in dem der erste angebliche Mordversuch stattfand, den
Untersuchungsrichter, womöglich Feuerbach selbst durch „goldene Schlösser vor
mehr als einem Mund" zum Schweigen und Verschleiern geneigt zu erklären. —
Drittens: „Kaspar Hauser muß eine Person sein, an dessen Leben oder Tod
sich große Interessen knüpfen." Warum? Wegen des Mordversuchs von 1829.
Also nur eine Wiederholung des zweiten Arguments. Kann das aber nur
den Schatten eines Beweises für Hauser's Abstammung aus einem deutschen
Fürstenhause liefern. Hatte die kath ousch e Kirch e, wenn der Vater Hanser's
z. B. ein adliger Domherr von Bamberg war, nicht eine ganz andere Macht,
ganz andere Mittel, ein mindestens so großes Interesse, die „Verbrechen" gegen
den Sohn des ehelosen Vaters zu begehen, sich der königlichen Belohnung un¬
zugänglich zu zeigen, wie irgend ein deutsches Fürstenhaus? — Viertens:
„Konnten.nicht Haß, nicht Rache, sondern nur Eigennutz Motive zur Ein¬
kerkerung und versuchten Ermordung sein? Warum: weil Hauser ein so un¬
schuldiger, harmloser Mensch war. Als ob es nur diese drei Verbrechens¬
motive gebe, und als ob nicht auch Haß und Rache hundertfach unschuldige
Kinder gehaßter Eltern vernichtet hätten! — Fünftens: gar ein Traum
Kaspar Hauser träumte am 15. August 1828 von einem großen, glänzend ein¬
gerichteten Hause. Feuerbach entnimmt daraus den Beweis für die fürst¬
liche Abstammung seines Helden!
In gleich leichtfertiger Weise wird dann in einem zweiten Hauptabschnitt
die angebliche Gefangenhaltung Häuser's tendenziös verwerthet. Aus dieser
Gefangenhaltung allein und der daran geknüpften ebenso sinnlosen als grund¬
losen Vermuthung, daß „wenn in irgend einer vornehmen Familie ein Kind
verschwunden wäre, das Unglück längst bekannt sein müsse, da aber nichts
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |