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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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letzten Monate ihres Aufenthalts zu Augsburg an ihren Prälaten, der in dem
Kloster Herrenchiemsee eine Unterkunft gefunden, geschrieben haben. Dieselben
enthalten ebenfalls fast lediglich Klagen über die schlimmen Zeiten und Berichte
über die Bedrängnisse, denen das Kloster und die Klosterinsassen ausgesetzt
waren. "Ich bin dieser Tage," schreibt z. B. der Pater Anastasius am 5. Mai,
"in Herren Bartholmüi Welser's Haus vocirt werden, ihm, weilen er krank,
Beicht zu hören. Es haben aber die Soldaten, so darin qnartirt, mir die
Thür vor der Nasen zugesperrt. Als ich wieder angelitten, ist mir gleich aufge¬
macht worden; auf welliches ein Soldat mit bloßem Degen einen gefährlichen
Stich auf mich im Hineingehen gethan. Weil ich mich aber etwas ernstliches
gegen ihn erzeiget, und ihm gedrohet, die Sach beim Herrn Ochsenstirn, Guber-
natoren alsbald anzubringen, wo er mich nit wollt Passiren lassen, ist er etwas
still worden, hat aber meinem Famulo das Gefäß in's Gesicht gestoßen, wegen
einer zu groben Red, die er mich zu defendiren, ohne mein Geheiß gethan.
Wäre ich nit geschwind auf eine Seiten gesprungen vor der Hausthür, so
möcht der Stich wohl übel gerathen sein. -- Wort muß einer auch wissen zu
schlukhen, wie mir neulich begegnet, wo ein schwäbischer Offizier mich also bei
Herren Johann Ernesti Fugger's Haus cmgereth: "Du Marienknecht! daß dir
der Donner ins Herz fahr!" und mir sein Regimentsstab wöllen über mein
Buckhel messen, ÄLLlinavi t-g-rasn iewro. Koniinis turioZi. Also gelb's allhie
zu Augsburg; ist gut daheim bleiben, wer nit hinaus muß" u. s. w. u. s. w.
Immerhin aber erfahren wir aus diesen Briefen zwei Thatsachen, die nicht
ohne Interesse sind; nämlich erstens: daß der Herr Prälat aus seiner sicheren
Zurückgezogenheit in Herrenchiemsee, die auf dem ausgesetzten Posten in
Augsburg zurückgebliebenen Untergebenen zu ihrem großen Kummer mit fort¬
währenden Vorwürfen wegen schlechten Haushaltens und zu vieler Geldaus¬
gaben überhäufte, Vorwürfe die unter diesen Umständen im höchsten Grade
ungerecht waren und in denen sich die selbstsüchtige Engherzigkeit des damaligen
Klosterobern, oder sollen wir sagen, der meisten deutschen Regierungen zu jener
Zeit recht charakteristisch abspiegelt. Und zweitens zeigen uns jene Briefe, daß
das Tagebuch des Pater Anastasius die Leidensgeschichte unserer Freunde vom
heil. Kreuz noch lange nicht vollständig giebt. Denn eine Menge ausgestan¬
dener Drangsale kommen darin zur Sprache, deren in diesem letzteren gar
keine Erwähnung geschieht. Jedes einzelne Vorkommniß für sich genommen,
war vielleicht nicht einmal so schlimm, die tägliche Wiederholung aber, und
zwar viele Monate hindurch machte die Sache unerträglich und mußte zur
Verzweiflung bringen.

Im Mai 1633 kam es endlich zu einer Krisis, infolge deren unsere Freunde
vertrieben wurden. Schon im vorhergehenden Jahre, gleich nachdem die Schweden


letzten Monate ihres Aufenthalts zu Augsburg an ihren Prälaten, der in dem
Kloster Herrenchiemsee eine Unterkunft gefunden, geschrieben haben. Dieselben
enthalten ebenfalls fast lediglich Klagen über die schlimmen Zeiten und Berichte
über die Bedrängnisse, denen das Kloster und die Klosterinsassen ausgesetzt
waren. „Ich bin dieser Tage," schreibt z. B. der Pater Anastasius am 5. Mai,
„in Herren Bartholmüi Welser's Haus vocirt werden, ihm, weilen er krank,
Beicht zu hören. Es haben aber die Soldaten, so darin qnartirt, mir die
Thür vor der Nasen zugesperrt. Als ich wieder angelitten, ist mir gleich aufge¬
macht worden; auf welliches ein Soldat mit bloßem Degen einen gefährlichen
Stich auf mich im Hineingehen gethan. Weil ich mich aber etwas ernstliches
gegen ihn erzeiget, und ihm gedrohet, die Sach beim Herrn Ochsenstirn, Guber-
natoren alsbald anzubringen, wo er mich nit wollt Passiren lassen, ist er etwas
still worden, hat aber meinem Famulo das Gefäß in's Gesicht gestoßen, wegen
einer zu groben Red, die er mich zu defendiren, ohne mein Geheiß gethan.
Wäre ich nit geschwind auf eine Seiten gesprungen vor der Hausthür, so
möcht der Stich wohl übel gerathen sein. — Wort muß einer auch wissen zu
schlukhen, wie mir neulich begegnet, wo ein schwäbischer Offizier mich also bei
Herren Johann Ernesti Fugger's Haus cmgereth: „Du Marienknecht! daß dir
der Donner ins Herz fahr!" und mir sein Regimentsstab wöllen über mein
Buckhel messen, ÄLLlinavi t-g-rasn iewro. Koniinis turioZi. Also gelb's allhie
zu Augsburg; ist gut daheim bleiben, wer nit hinaus muß" u. s. w. u. s. w.
Immerhin aber erfahren wir aus diesen Briefen zwei Thatsachen, die nicht
ohne Interesse sind; nämlich erstens: daß der Herr Prälat aus seiner sicheren
Zurückgezogenheit in Herrenchiemsee, die auf dem ausgesetzten Posten in
Augsburg zurückgebliebenen Untergebenen zu ihrem großen Kummer mit fort¬
währenden Vorwürfen wegen schlechten Haushaltens und zu vieler Geldaus¬
gaben überhäufte, Vorwürfe die unter diesen Umständen im höchsten Grade
ungerecht waren und in denen sich die selbstsüchtige Engherzigkeit des damaligen
Klosterobern, oder sollen wir sagen, der meisten deutschen Regierungen zu jener
Zeit recht charakteristisch abspiegelt. Und zweitens zeigen uns jene Briefe, daß
das Tagebuch des Pater Anastasius die Leidensgeschichte unserer Freunde vom
heil. Kreuz noch lange nicht vollständig giebt. Denn eine Menge ausgestan¬
dener Drangsale kommen darin zur Sprache, deren in diesem letzteren gar
keine Erwähnung geschieht. Jedes einzelne Vorkommniß für sich genommen,
war vielleicht nicht einmal so schlimm, die tägliche Wiederholung aber, und
zwar viele Monate hindurch machte die Sache unerträglich und mußte zur
Verzweiflung bringen.

Im Mai 1633 kam es endlich zu einer Krisis, infolge deren unsere Freunde
vertrieben wurden. Schon im vorhergehenden Jahre, gleich nachdem die Schweden


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[0425] letzten Monate ihres Aufenthalts zu Augsburg an ihren Prälaten, der in dem Kloster Herrenchiemsee eine Unterkunft gefunden, geschrieben haben. Dieselben enthalten ebenfalls fast lediglich Klagen über die schlimmen Zeiten und Berichte über die Bedrängnisse, denen das Kloster und die Klosterinsassen ausgesetzt waren. „Ich bin dieser Tage," schreibt z. B. der Pater Anastasius am 5. Mai, „in Herren Bartholmüi Welser's Haus vocirt werden, ihm, weilen er krank, Beicht zu hören. Es haben aber die Soldaten, so darin qnartirt, mir die Thür vor der Nasen zugesperrt. Als ich wieder angelitten, ist mir gleich aufge¬ macht worden; auf welliches ein Soldat mit bloßem Degen einen gefährlichen Stich auf mich im Hineingehen gethan. Weil ich mich aber etwas ernstliches gegen ihn erzeiget, und ihm gedrohet, die Sach beim Herrn Ochsenstirn, Guber- natoren alsbald anzubringen, wo er mich nit wollt Passiren lassen, ist er etwas still worden, hat aber meinem Famulo das Gefäß in's Gesicht gestoßen, wegen einer zu groben Red, die er mich zu defendiren, ohne mein Geheiß gethan. Wäre ich nit geschwind auf eine Seiten gesprungen vor der Hausthür, so möcht der Stich wohl übel gerathen sein. — Wort muß einer auch wissen zu schlukhen, wie mir neulich begegnet, wo ein schwäbischer Offizier mich also bei Herren Johann Ernesti Fugger's Haus cmgereth: „Du Marienknecht! daß dir der Donner ins Herz fahr!" und mir sein Regimentsstab wöllen über mein Buckhel messen, ÄLLlinavi t-g-rasn iewro. Koniinis turioZi. Also gelb's allhie zu Augsburg; ist gut daheim bleiben, wer nit hinaus muß" u. s. w. u. s. w. Immerhin aber erfahren wir aus diesen Briefen zwei Thatsachen, die nicht ohne Interesse sind; nämlich erstens: daß der Herr Prälat aus seiner sicheren Zurückgezogenheit in Herrenchiemsee, die auf dem ausgesetzten Posten in Augsburg zurückgebliebenen Untergebenen zu ihrem großen Kummer mit fort¬ währenden Vorwürfen wegen schlechten Haushaltens und zu vieler Geldaus¬ gaben überhäufte, Vorwürfe die unter diesen Umständen im höchsten Grade ungerecht waren und in denen sich die selbstsüchtige Engherzigkeit des damaligen Klosterobern, oder sollen wir sagen, der meisten deutschen Regierungen zu jener Zeit recht charakteristisch abspiegelt. Und zweitens zeigen uns jene Briefe, daß das Tagebuch des Pater Anastasius die Leidensgeschichte unserer Freunde vom heil. Kreuz noch lange nicht vollständig giebt. Denn eine Menge ausgestan¬ dener Drangsale kommen darin zur Sprache, deren in diesem letzteren gar keine Erwähnung geschieht. Jedes einzelne Vorkommniß für sich genommen, war vielleicht nicht einmal so schlimm, die tägliche Wiederholung aber, und zwar viele Monate hindurch machte die Sache unerträglich und mußte zur Verzweiflung bringen. Im Mai 1633 kam es endlich zu einer Krisis, infolge deren unsere Freunde vertrieben wurden. Schon im vorhergehenden Jahre, gleich nachdem die Schweden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/425>, abgerufen am 27.07.2024.