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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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habe, mußte man nach der Art, wie Ludwig Feuerbach das Memoire veröffent¬
lichte, als zweifellos annehmen. Sah man nun auch ganz ab von dem phan¬
tastischen Inhalt des Memoire selbst, von dem später die Rede sein wird,
so ließ sich doch nicht ableugnen, daß hier eine sorgfältig vorbereitete Denkschrift
für ein Baden nahe verwandtes Fürstenhaus vorlag. Das darin enthüllte
Geheimniß über die Herkunft Kaspar Hauser's hatte man also seit zwanzig
Jahren am Münchener Hofe gekannt; diese Denkschrift war anch jedenfalls
anderen Höfen nicht verborgen geblieben. Zu allgemeiner Ueberraschung schwieg
aber Baden leider vollständig, auch als diese Denkschrift im Jahre 1852 dem großen
Publikum bekannt gegeben wurde. Aus welchen Gründen, wird später gezeigt
werden. Durch dieses Schweigen vollends gab man der Feuerbach'schen An¬
klage doppeltes Gewicht. "Fortan war es für alle," sagt Mittelstädt treffend,
"welche Neigung oder Interesse antrieb, mit vergifteten Pfeilen gegen das
regierende Hans in Baden zu zielen, die bequemste Methode, die weiten losen
Falten der ehrwürdigen Feuerbach'schen Gewandung um die eigene Armselig¬
keit zu hüllen, und wo der eigene Witz nicht ausreichte, deu Scharfsinn, die
Logik, die Unparteilichkeit der unwiderlegt gebliebenen Denkschrift in's Feld
zu fuhren."

Zu den Verbreitern der Feuerbach'schen Priuzentheorie über Kaspar Hanser
gehört natürlich in erster Linie Herr v^. G. F. Kolb. Wir sagen natürlich,
weil in ihm sich alle persönlichen, politischen und logischen Tugenden vereinigen,
welche zur Erkenntniß, zur Verbreitung und zur fanatischen Vertheidigung
dieser Theorie Vonnöthen sind. Herr Kolb besitzt die Zähigkeit jener alten
Malteserritter, welche sich zuerst auseinander sägen ließe", ehe sie den von ihnen
vertheidigten Platz räumten. Er hat z. B. jahrelang in allen Tonarten für
das Milizfystem gekämpft und wenn er deu Krieg Deutschlands gegen Frank¬
reich im Jahre 1870 überhaupt mit seinem Wohlwollen begleitet hätte, was
nicht der Fall war, so hätte doch schon unsre Verblendung, diesen Krieg mit
geschulten Soldaten zu unternehmen, statt mit Kolb'scheu Stegreifmilizen uns
die Sympathien des "Milizgreises" für immer verscherzen müssen. Herr Kolb
ist jetzt erst recht überzeugt, daß nur sein Milizsystem die deutsche Wehrkraft
entfesseln könne und er wird wohl anch seine Prinzenthevrie über Kaspar
Hauser mit in's Grab nehmen, obwohl auch diese längst ihr Sedan erlitten
hat. Als Herr Kolb freilich 1859 unter dem Namen F. K. Broch seine erste
Broschüre über Kaspar Hauser in Zürich herausgab -- auch dieser Cato han¬
delte nach dem Worte "der beste Theil der Tapferkeit ist Vorsicht" -- da hielt
die große Menge, Feuerbach blind vertrauend, noch fest an dem badischen
Prinzenthum Kaspar Hauser's. Und in der Hauptsache gab Broch-Kolb nur
Feuerbach mit etwas eigenem genealogischen Gemüse und deu wixsÄ xio16s8


habe, mußte man nach der Art, wie Ludwig Feuerbach das Memoire veröffent¬
lichte, als zweifellos annehmen. Sah man nun auch ganz ab von dem phan¬
tastischen Inhalt des Memoire selbst, von dem später die Rede sein wird,
so ließ sich doch nicht ableugnen, daß hier eine sorgfältig vorbereitete Denkschrift
für ein Baden nahe verwandtes Fürstenhaus vorlag. Das darin enthüllte
Geheimniß über die Herkunft Kaspar Hauser's hatte man also seit zwanzig
Jahren am Münchener Hofe gekannt; diese Denkschrift war anch jedenfalls
anderen Höfen nicht verborgen geblieben. Zu allgemeiner Ueberraschung schwieg
aber Baden leider vollständig, auch als diese Denkschrift im Jahre 1852 dem großen
Publikum bekannt gegeben wurde. Aus welchen Gründen, wird später gezeigt
werden. Durch dieses Schweigen vollends gab man der Feuerbach'schen An¬
klage doppeltes Gewicht. „Fortan war es für alle," sagt Mittelstädt treffend,
„welche Neigung oder Interesse antrieb, mit vergifteten Pfeilen gegen das
regierende Hans in Baden zu zielen, die bequemste Methode, die weiten losen
Falten der ehrwürdigen Feuerbach'schen Gewandung um die eigene Armselig¬
keit zu hüllen, und wo der eigene Witz nicht ausreichte, deu Scharfsinn, die
Logik, die Unparteilichkeit der unwiderlegt gebliebenen Denkschrift in's Feld
zu fuhren."

Zu den Verbreitern der Feuerbach'schen Priuzentheorie über Kaspar Hanser
gehört natürlich in erster Linie Herr v^. G. F. Kolb. Wir sagen natürlich,
weil in ihm sich alle persönlichen, politischen und logischen Tugenden vereinigen,
welche zur Erkenntniß, zur Verbreitung und zur fanatischen Vertheidigung
dieser Theorie Vonnöthen sind. Herr Kolb besitzt die Zähigkeit jener alten
Malteserritter, welche sich zuerst auseinander sägen ließe», ehe sie den von ihnen
vertheidigten Platz räumten. Er hat z. B. jahrelang in allen Tonarten für
das Milizfystem gekämpft und wenn er deu Krieg Deutschlands gegen Frank¬
reich im Jahre 1870 überhaupt mit seinem Wohlwollen begleitet hätte, was
nicht der Fall war, so hätte doch schon unsre Verblendung, diesen Krieg mit
geschulten Soldaten zu unternehmen, statt mit Kolb'scheu Stegreifmilizen uns
die Sympathien des „Milizgreises" für immer verscherzen müssen. Herr Kolb
ist jetzt erst recht überzeugt, daß nur sein Milizsystem die deutsche Wehrkraft
entfesseln könne und er wird wohl anch seine Prinzenthevrie über Kaspar
Hauser mit in's Grab nehmen, obwohl auch diese längst ihr Sedan erlitten
hat. Als Herr Kolb freilich 1859 unter dem Namen F. K. Broch seine erste
Broschüre über Kaspar Hauser in Zürich herausgab — auch dieser Cato han¬
delte nach dem Worte „der beste Theil der Tapferkeit ist Vorsicht" — da hielt
die große Menge, Feuerbach blind vertrauend, noch fest an dem badischen
Prinzenthum Kaspar Hauser's. Und in der Hauptsache gab Broch-Kolb nur
Feuerbach mit etwas eigenem genealogischen Gemüse und deu wixsÄ xio16s8


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/391>, abgerufen am 01.09.2024.