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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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der Garnier-Henneuhoser'schen Velleitäten. In einer Reihe von Feuilleton-
Artikeln der "Frankfurter Zeitung" vom Juli 1868 wiederholte Herr Kolb
unter eigenem Namen den Inhalt seiner Broschüre kürzer vor einem deutschen
Publikum. Das Thema war damals sehr zeitgemäß, denn das verhaßte
Baden hatte am 3. Februar seinen besten Staatsmann verloren und schien sich
erdreisten zu wollen, dem hübschen Süddeutschen Bund, welcher damals nach
dem Wiener Schützenfest am Horizont der Frankfurter Zeitung dämmerte, nicht
beitreten zu wollen, sondern eher dem Nordbund zuzustreben. Da mußte Herr
Kolb die heilige Pflicht erfüllen, Baden an das alte furchtbare Verbrechen zu
erinnern.

Dieser behaglichen Skandalmacherei, an welcher alle Feinde Badens wohl
lebten, wurde freilich in den Augen der Urteilsfähigen schon jeder gute Glaube
entzogen, als 1872 Dr. Julius Meyer "Authentische Mittheilungen über
Kaspar Hauser, aus den Gerichts- und Administrativakten zusammengestellt"
veröffentlichte.") Der Verfasser war der Sohn des Lehrers und Erziehers
Hanser's. Seinen Vater zu rechtfertige" gegenüber den zahlreichen Schmäh¬
ungen, welche die Kaspar-Hauser-Schwärmer auf dessen Namen häuften, war
das Motiv zu dieser Arbeit. Angeregt bei Dr. Meyer war die Arbeit durch
den Bezirksgcrichts-Direktor Schmauß in Nürnberg, früher Staatsanwalt in
Ansbach. Dem Verfasser waren alle Kaspar-Hauser-Akten und Urkunden
in seiner amtlichen Stellung in: Originale zugänglich und er lieferte
aus diesem Material eine Arbeit, die nach dem kundigen Arbeite Mittel-
städt's "an Echtheit und Vollständigkeit des urkundlichen Materials bei
weitem das Werthvollste enthält, was über Kaspar Hnuser von Berufenen
und Unberufenen im Laufe der Jahrzehnte zusammengeschrieben wurde." Der
Fehler des Buches war uur die Tendenz: Die Tendenz Kaspar Hanser als
Betrüger hinzustellen. Dieser Beweis ist dem Verfasser zwar bis zu einem
gewissen Grade gelungen; Dr. Meyer hatte ja auch in dieser Hinsicht die ur¬
theilsfähigsten und Hauser freundlichst gesinnten Zeitgenossen des Findlings
auf seiner Seite.Indessen diese Frage berührt nicht den Kern des Ge¬
heimnisses dieses Meuscheu. Das größte Räthsel seines Lebens war seine Geburt,
seine Herkunft, der Name seiner Eltern, der Grund seiner Aussetzung in Nürn¬
berg. Zur Lösung dieses Räthsels wäre die von Dr. Julins Meyer in den




") Ansbach, 1872. 611 Seiten.
"Der unten noch öfter zu erwähnende Gendarmerieoffizier Hickcl, Lord Stanhove,
Häuser's Lehrer Meyer, der Untersuchungsrichter, der Gerichtsarzt, selbst Anselm v. Feuer-
vach, waren zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenem Grade durch die sich steigernde
Verlogenheit Hanser's und den wachsenden Berg der objektiven Widersprüche zu der An¬
nahme der Simulation und plnumnsiigcr Täuschung hingedrängt worden." Mittelstädt,
S. 17--13.

der Garnier-Henneuhoser'schen Velleitäten. In einer Reihe von Feuilleton-
Artikeln der „Frankfurter Zeitung" vom Juli 1868 wiederholte Herr Kolb
unter eigenem Namen den Inhalt seiner Broschüre kürzer vor einem deutschen
Publikum. Das Thema war damals sehr zeitgemäß, denn das verhaßte
Baden hatte am 3. Februar seinen besten Staatsmann verloren und schien sich
erdreisten zu wollen, dem hübschen Süddeutschen Bund, welcher damals nach
dem Wiener Schützenfest am Horizont der Frankfurter Zeitung dämmerte, nicht
beitreten zu wollen, sondern eher dem Nordbund zuzustreben. Da mußte Herr
Kolb die heilige Pflicht erfüllen, Baden an das alte furchtbare Verbrechen zu
erinnern.

Dieser behaglichen Skandalmacherei, an welcher alle Feinde Badens wohl
lebten, wurde freilich in den Augen der Urteilsfähigen schon jeder gute Glaube
entzogen, als 1872 Dr. Julius Meyer „Authentische Mittheilungen über
Kaspar Hauser, aus den Gerichts- und Administrativakten zusammengestellt"
veröffentlichte.") Der Verfasser war der Sohn des Lehrers und Erziehers
Hanser's. Seinen Vater zu rechtfertige« gegenüber den zahlreichen Schmäh¬
ungen, welche die Kaspar-Hauser-Schwärmer auf dessen Namen häuften, war
das Motiv zu dieser Arbeit. Angeregt bei Dr. Meyer war die Arbeit durch
den Bezirksgcrichts-Direktor Schmauß in Nürnberg, früher Staatsanwalt in
Ansbach. Dem Verfasser waren alle Kaspar-Hauser-Akten und Urkunden
in seiner amtlichen Stellung in: Originale zugänglich und er lieferte
aus diesem Material eine Arbeit, die nach dem kundigen Arbeite Mittel-
städt's „an Echtheit und Vollständigkeit des urkundlichen Materials bei
weitem das Werthvollste enthält, was über Kaspar Hnuser von Berufenen
und Unberufenen im Laufe der Jahrzehnte zusammengeschrieben wurde." Der
Fehler des Buches war uur die Tendenz: Die Tendenz Kaspar Hanser als
Betrüger hinzustellen. Dieser Beweis ist dem Verfasser zwar bis zu einem
gewissen Grade gelungen; Dr. Meyer hatte ja auch in dieser Hinsicht die ur¬
theilsfähigsten und Hauser freundlichst gesinnten Zeitgenossen des Findlings
auf seiner Seite.Indessen diese Frage berührt nicht den Kern des Ge¬
heimnisses dieses Meuscheu. Das größte Räthsel seines Lebens war seine Geburt,
seine Herkunft, der Name seiner Eltern, der Grund seiner Aussetzung in Nürn¬
berg. Zur Lösung dieses Räthsels wäre die von Dr. Julins Meyer in den




") Ansbach, 1872. 611 Seiten.
„Der unten noch öfter zu erwähnende Gendarmerieoffizier Hickcl, Lord Stanhove,
Häuser's Lehrer Meyer, der Untersuchungsrichter, der Gerichtsarzt, selbst Anselm v. Feuer-
vach, waren zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenem Grade durch die sich steigernde
Verlogenheit Hanser's und den wachsenden Berg der objektiven Widersprüche zu der An¬
nahme der Simulation und plnumnsiigcr Täuschung hingedrängt worden." Mittelstädt,
S. 17—13.
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[0392] der Garnier-Henneuhoser'schen Velleitäten. In einer Reihe von Feuilleton- Artikeln der „Frankfurter Zeitung" vom Juli 1868 wiederholte Herr Kolb unter eigenem Namen den Inhalt seiner Broschüre kürzer vor einem deutschen Publikum. Das Thema war damals sehr zeitgemäß, denn das verhaßte Baden hatte am 3. Februar seinen besten Staatsmann verloren und schien sich erdreisten zu wollen, dem hübschen Süddeutschen Bund, welcher damals nach dem Wiener Schützenfest am Horizont der Frankfurter Zeitung dämmerte, nicht beitreten zu wollen, sondern eher dem Nordbund zuzustreben. Da mußte Herr Kolb die heilige Pflicht erfüllen, Baden an das alte furchtbare Verbrechen zu erinnern. Dieser behaglichen Skandalmacherei, an welcher alle Feinde Badens wohl lebten, wurde freilich in den Augen der Urteilsfähigen schon jeder gute Glaube entzogen, als 1872 Dr. Julius Meyer „Authentische Mittheilungen über Kaspar Hauser, aus den Gerichts- und Administrativakten zusammengestellt" veröffentlichte.") Der Verfasser war der Sohn des Lehrers und Erziehers Hanser's. Seinen Vater zu rechtfertige« gegenüber den zahlreichen Schmäh¬ ungen, welche die Kaspar-Hauser-Schwärmer auf dessen Namen häuften, war das Motiv zu dieser Arbeit. Angeregt bei Dr. Meyer war die Arbeit durch den Bezirksgcrichts-Direktor Schmauß in Nürnberg, früher Staatsanwalt in Ansbach. Dem Verfasser waren alle Kaspar-Hauser-Akten und Urkunden in seiner amtlichen Stellung in: Originale zugänglich und er lieferte aus diesem Material eine Arbeit, die nach dem kundigen Arbeite Mittel- städt's „an Echtheit und Vollständigkeit des urkundlichen Materials bei weitem das Werthvollste enthält, was über Kaspar Hnuser von Berufenen und Unberufenen im Laufe der Jahrzehnte zusammengeschrieben wurde." Der Fehler des Buches war uur die Tendenz: Die Tendenz Kaspar Hanser als Betrüger hinzustellen. Dieser Beweis ist dem Verfasser zwar bis zu einem gewissen Grade gelungen; Dr. Meyer hatte ja auch in dieser Hinsicht die ur¬ theilsfähigsten und Hauser freundlichst gesinnten Zeitgenossen des Findlings auf seiner Seite.Indessen diese Frage berührt nicht den Kern des Ge¬ heimnisses dieses Meuscheu. Das größte Räthsel seines Lebens war seine Geburt, seine Herkunft, der Name seiner Eltern, der Grund seiner Aussetzung in Nürn¬ berg. Zur Lösung dieses Räthsels wäre die von Dr. Julins Meyer in den ") Ansbach, 1872. 611 Seiten. „Der unten noch öfter zu erwähnende Gendarmerieoffizier Hickcl, Lord Stanhove, Häuser's Lehrer Meyer, der Untersuchungsrichter, der Gerichtsarzt, selbst Anselm v. Feuer- vach, waren zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenem Grade durch die sich steigernde Verlogenheit Hanser's und den wachsenden Berg der objektiven Widersprüche zu der An¬ nahme der Simulation und plnumnsiigcr Täuschung hingedrängt worden." Mittelstädt, S. 17—13.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/392>, abgerufen am 27.07.2024.