Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.Seiler nur die Ahnungen als Beweismittel haben, die er auf das Treiben Faßt man die ganze bis zum Jahr 1848 reichende Literatur dieser Art Die Veröffentlichung dieser geheimen Denkschrift gab natürlich den bisher Seiler nur die Ahnungen als Beweismittel haben, die er auf das Treiben Faßt man die ganze bis zum Jahr 1848 reichende Literatur dieser Art Die Veröffentlichung dieser geheimen Denkschrift gab natürlich den bisher <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0390" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140211"/> <p xml:id="ID_1138" prev="#ID_1137"> Seiler nur die Ahnungen als Beweismittel haben, die er auf das Treiben<lb/> Hennenhofer's setzte, und diese waren, wie wir zeigten, absolut trügerisch. Für<lb/> das gute Gewissen des Verfassers und seiner Helfershelfer ist übrigens die<lb/> Thatsache sehr lehrreich, daß 1840 der Züricher Verleger und ein Aargauer<lb/> Blatt (welches die Reklame der Seiler'schen Schrift besorgte), an die badische<lb/> Regierung das verständliche Anerbieten stellen ließen, gegen 1700 si,, 1500 si.,<lb/> ja schon 24 Lonisd'or unverbrüchliches Stillschweigen beobachten zu wollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1139"> Faßt man die ganze bis zum Jahr 1848 reichende Literatur dieser Art<lb/> zusammen, so wird man zugestehen müssen, daß Mittelstadt recht hat, wenn er<lb/> (S. 13) sagt: „Niemals ist mit dreisterer Stirn ans elenderen Motiven ein<lb/> abenteuerlicheres Gewebe von Lügen, Erfindungen, bewußten Verleumdungen<lb/> als beglaubigte historische Thatsache in die Welt gesetzt und von ernsthaften<lb/> Leuten mit dem Anspruch gewissenhafter Forschung als Grundlage willkür¬<lb/> licher Hypothesen ausgebeutet worden!" Wäre irgend ein Fllukchen Wahrheit<lb/> an diesen Märchen und Gerüchten vom Prinzenthnm Hauser's gewesen, so<lb/> würde sicher gerade das Revolutionsjahr 1848 das Geheimniß enthüllt haben.<lb/> Richtete sich doch damals zweimal eine bewaffnete Erhebung gegen das Haus Baden.<lb/> schaltete doch eine Zeitlang die Empörung siegreich in der Residenz der<lb/> badischen Herrscher. Und trotzdem ist das Revolutiousjahr vollständig schweigsam<lb/> über den Kaspar-Hauser-Mythus. Und für immer würde das sinnlose Gerede<lb/> verstummt sein, wenn nicht im Jahr 1852 von Ludwig Feuerbach im zweiten Bande<lb/> der nachgelassenen Schriften seines Vaters Anselm von Feuerbach ein<lb/> geheimes „Memoire über Kaspar Hauser" veröffentlicht worden wäre, das der<lb/> berühmte Kriminalist im Februar oder Mürz 1832 auf wiederholte Allerhöchste<lb/> Anregung an die Königin Karoline von Baiern, die Schwester des Großherzogs<lb/> Karl von Baden, gerichtet hätte. In dieser geheimen Denkschrift bezeichnete der ge¬<lb/> feierte Gelehrte die Identität Kaspar Hauser's mit dem im Jahre 1812<lb/> geborenen Erbprinzen von Baden „als eine starke menschliche Vermuthung, wo<lb/> nicht vollständige moralische Gewißheit."</p><lb/> <p xml:id="ID_1140" next="#ID_1141"> Die Veröffentlichung dieser geheimen Denkschrift gab natürlich den bisher<lb/> gegen Baden gerichteten Verdächtigungen eine durchaus veränderte Bedeutung.<lb/> Einer der hervorragendsten Vertreter der deutschen Strafrechtswissenschaft,<lb/> einer der höchsten Beamten Baierns jener Tage, ein Mann, der mit der ge¬<lb/> nauesten Kenntniß der Akten zugleich die wohlwollendste Theilnahme für<lb/> Kaspar Hauser in sich vereinigte, diesen selbst lange beobachtet hatte, faßte<lb/> das Ergebniß seiner Forschung über den räthselhaften Fall dahin zusammen,<lb/> daß ein schweres Verbrechen gewisser Mitglieder des badischen Fürstenhauses<lb/> hier vorliege! Daß dieß zugleich die letzte Meinung gewesen, die Anselm von<lb/> Feuerbach über Kaspar Hauser gewonnen, und mit sich in's Grab genommen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0390]
Seiler nur die Ahnungen als Beweismittel haben, die er auf das Treiben
Hennenhofer's setzte, und diese waren, wie wir zeigten, absolut trügerisch. Für
das gute Gewissen des Verfassers und seiner Helfershelfer ist übrigens die
Thatsache sehr lehrreich, daß 1840 der Züricher Verleger und ein Aargauer
Blatt (welches die Reklame der Seiler'schen Schrift besorgte), an die badische
Regierung das verständliche Anerbieten stellen ließen, gegen 1700 si,, 1500 si.,
ja schon 24 Lonisd'or unverbrüchliches Stillschweigen beobachten zu wollen.
Faßt man die ganze bis zum Jahr 1848 reichende Literatur dieser Art
zusammen, so wird man zugestehen müssen, daß Mittelstadt recht hat, wenn er
(S. 13) sagt: „Niemals ist mit dreisterer Stirn ans elenderen Motiven ein
abenteuerlicheres Gewebe von Lügen, Erfindungen, bewußten Verleumdungen
als beglaubigte historische Thatsache in die Welt gesetzt und von ernsthaften
Leuten mit dem Anspruch gewissenhafter Forschung als Grundlage willkür¬
licher Hypothesen ausgebeutet worden!" Wäre irgend ein Fllukchen Wahrheit
an diesen Märchen und Gerüchten vom Prinzenthnm Hauser's gewesen, so
würde sicher gerade das Revolutionsjahr 1848 das Geheimniß enthüllt haben.
Richtete sich doch damals zweimal eine bewaffnete Erhebung gegen das Haus Baden.
schaltete doch eine Zeitlang die Empörung siegreich in der Residenz der
badischen Herrscher. Und trotzdem ist das Revolutiousjahr vollständig schweigsam
über den Kaspar-Hauser-Mythus. Und für immer würde das sinnlose Gerede
verstummt sein, wenn nicht im Jahr 1852 von Ludwig Feuerbach im zweiten Bande
der nachgelassenen Schriften seines Vaters Anselm von Feuerbach ein
geheimes „Memoire über Kaspar Hauser" veröffentlicht worden wäre, das der
berühmte Kriminalist im Februar oder Mürz 1832 auf wiederholte Allerhöchste
Anregung an die Königin Karoline von Baiern, die Schwester des Großherzogs
Karl von Baden, gerichtet hätte. In dieser geheimen Denkschrift bezeichnete der ge¬
feierte Gelehrte die Identität Kaspar Hauser's mit dem im Jahre 1812
geborenen Erbprinzen von Baden „als eine starke menschliche Vermuthung, wo
nicht vollständige moralische Gewißheit."
Die Veröffentlichung dieser geheimen Denkschrift gab natürlich den bisher
gegen Baden gerichteten Verdächtigungen eine durchaus veränderte Bedeutung.
Einer der hervorragendsten Vertreter der deutschen Strafrechtswissenschaft,
einer der höchsten Beamten Baierns jener Tage, ein Mann, der mit der ge¬
nauesten Kenntniß der Akten zugleich die wohlwollendste Theilnahme für
Kaspar Hauser in sich vereinigte, diesen selbst lange beobachtet hatte, faßte
das Ergebniß seiner Forschung über den räthselhaften Fall dahin zusammen,
daß ein schweres Verbrechen gewisser Mitglieder des badischen Fürstenhauses
hier vorliege! Daß dieß zugleich die letzte Meinung gewesen, die Anselm von
Feuerbach über Kaspar Hauser gewonnen, und mit sich in's Grab genommen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |