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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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schwungen hatte, mit dem Tode Ludwig's aber vom badischen Hofe entfernt
worden war, bei der Beseitigung des badischen Erbprinzen und der Ermor¬
dung Kaspar Hauser's die Hand im Spiele gehabt habe. Dieser seltsame
Mensch, für den 1823 der Minister v. Verstett eine kleine Gehaltszulage er¬
beten, als er damals in untergeordneter Stellung im Ministerium arbeitete*)
und der 1834 jedenfalls außer jeder einflußreichen Verbindung mit der Regie¬
rung und dem Regenten stand, ließ sich nach der Entlassung Garnier's aus
dem Gefängnisse mit diesem und seinen Freunden (Seiler, Meffenbach, Singer
u. ni.) in eine Reihe von Zwischenträgereien, Heimlichkeiten, Geldversprechungen,
Korrespondenzen der verschiedensten Art ein, offenbar nur zu dem Zwecke, das
Treiben der Gesellschaft auszuspähen, die Flüchtlinge zum Schweigen zu brin¬
gen, vielleicht anch um sich in Karlsruhe durch diese Spioneudienste wieder zu
insiuuiren, oder um weitere unliebsame Brandschristen über seine eigene Ver¬
gangenheit zu verhindern. Mit keinem Worte aber deutete er in allen diesen
Korrespondenzen an, daß er jemals mit dem Schicksal Kaspar Hauser's in
irgend welcher Verbindung gestanden. Zudem liegt sei" gesammter handschrift¬
licher Nachlaß, seit seinem Tode im Jahr 1850 versiegelt, bis ihn Mittelstadt einsah,
im Karlsruher Archiv. Und auch in diesem Nachlaß hat sich nie etwas be¬
funden, was auf eine Beziehung Heunenhofer's zu Kaspar Hauser hindeutete.
Vielmehr weist Hennenhofer jeden derartigen Verdacht mit Entrüstung zurück."*)

Es war aber beinahe natürlich, daß die Flüchtlingschaft von 1834 die
Korrespondenz, zu der sich der Major Hennenhofer mit ihr herbeiließ, als ein
Zugeständniß deutete, daß er der Hauptverbrecher sei, der für Alles verant¬
wortlich gemacht werden könne, was von 1812 bis 1833 dem Hanse Baden,
namentlich an Todesfällen, Böses widerfahren sei. Ein im Aargau sich um¬
hertreibender, aus dem preußischen Justizdienst entfernter Snbalternbeamter,
Sebastian Seiler, beeilte sich, in diesem Sinne die Kaspar-Hauser-Legende
"veiter zu spinnen. Er gab 1840 in Zürich in erster Auflage, 1844 oder 1847
mit dem falschen Druckort Paris in zweiter oder dritter Auflage, eine Broschüre
heraus, in der ausgeführt wurde: der im Jahr 1812 geborene Erbprinz von
Baden sei durch die Reichsgräfin Hochberg, den Major Hennenhofer und einen
Kammerdiener des Markgrafen Ludwig (der auch mit im Komplott gewesen),
mit Unterschiebung eines todten Kindes, aus dem großherzoglichen Schlosse
seinen Eltern entführt, anfangs einige Zeit in benachbarten Schlössern erzogen
worden, dann habe man den Prinzen weiter fortschaffen und in irgend welchen
Händen gefangen halten lassen. Für alle diese Insinuationen konnte Herr




*) Mittelstadt, ni, ni, O. S. 10. Note 2.
A. -,. O. S. 13.
Grenzlivten II. 1873.->i"

schwungen hatte, mit dem Tode Ludwig's aber vom badischen Hofe entfernt
worden war, bei der Beseitigung des badischen Erbprinzen und der Ermor¬
dung Kaspar Hauser's die Hand im Spiele gehabt habe. Dieser seltsame
Mensch, für den 1823 der Minister v. Verstett eine kleine Gehaltszulage er¬
beten, als er damals in untergeordneter Stellung im Ministerium arbeitete*)
und der 1834 jedenfalls außer jeder einflußreichen Verbindung mit der Regie¬
rung und dem Regenten stand, ließ sich nach der Entlassung Garnier's aus
dem Gefängnisse mit diesem und seinen Freunden (Seiler, Meffenbach, Singer
u. ni.) in eine Reihe von Zwischenträgereien, Heimlichkeiten, Geldversprechungen,
Korrespondenzen der verschiedensten Art ein, offenbar nur zu dem Zwecke, das
Treiben der Gesellschaft auszuspähen, die Flüchtlinge zum Schweigen zu brin¬
gen, vielleicht anch um sich in Karlsruhe durch diese Spioneudienste wieder zu
insiuuiren, oder um weitere unliebsame Brandschristen über seine eigene Ver¬
gangenheit zu verhindern. Mit keinem Worte aber deutete er in allen diesen
Korrespondenzen an, daß er jemals mit dem Schicksal Kaspar Hauser's in
irgend welcher Verbindung gestanden. Zudem liegt sei» gesammter handschrift¬
licher Nachlaß, seit seinem Tode im Jahr 1850 versiegelt, bis ihn Mittelstadt einsah,
im Karlsruher Archiv. Und auch in diesem Nachlaß hat sich nie etwas be¬
funden, was auf eine Beziehung Heunenhofer's zu Kaspar Hauser hindeutete.
Vielmehr weist Hennenhofer jeden derartigen Verdacht mit Entrüstung zurück."*)

Es war aber beinahe natürlich, daß die Flüchtlingschaft von 1834 die
Korrespondenz, zu der sich der Major Hennenhofer mit ihr herbeiließ, als ein
Zugeständniß deutete, daß er der Hauptverbrecher sei, der für Alles verant¬
wortlich gemacht werden könne, was von 1812 bis 1833 dem Hanse Baden,
namentlich an Todesfällen, Böses widerfahren sei. Ein im Aargau sich um¬
hertreibender, aus dem preußischen Justizdienst entfernter Snbalternbeamter,
Sebastian Seiler, beeilte sich, in diesem Sinne die Kaspar-Hauser-Legende
»veiter zu spinnen. Er gab 1840 in Zürich in erster Auflage, 1844 oder 1847
mit dem falschen Druckort Paris in zweiter oder dritter Auflage, eine Broschüre
heraus, in der ausgeführt wurde: der im Jahr 1812 geborene Erbprinz von
Baden sei durch die Reichsgräfin Hochberg, den Major Hennenhofer und einen
Kammerdiener des Markgrafen Ludwig (der auch mit im Komplott gewesen),
mit Unterschiebung eines todten Kindes, aus dem großherzoglichen Schlosse
seinen Eltern entführt, anfangs einige Zeit in benachbarten Schlössern erzogen
worden, dann habe man den Prinzen weiter fortschaffen und in irgend welchen
Händen gefangen halten lassen. Für alle diese Insinuationen konnte Herr




*) Mittelstadt, ni, ni, O. S. 10. Note 2.
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[0389] schwungen hatte, mit dem Tode Ludwig's aber vom badischen Hofe entfernt worden war, bei der Beseitigung des badischen Erbprinzen und der Ermor¬ dung Kaspar Hauser's die Hand im Spiele gehabt habe. Dieser seltsame Mensch, für den 1823 der Minister v. Verstett eine kleine Gehaltszulage er¬ beten, als er damals in untergeordneter Stellung im Ministerium arbeitete*) und der 1834 jedenfalls außer jeder einflußreichen Verbindung mit der Regie¬ rung und dem Regenten stand, ließ sich nach der Entlassung Garnier's aus dem Gefängnisse mit diesem und seinen Freunden (Seiler, Meffenbach, Singer u. ni.) in eine Reihe von Zwischenträgereien, Heimlichkeiten, Geldversprechungen, Korrespondenzen der verschiedensten Art ein, offenbar nur zu dem Zwecke, das Treiben der Gesellschaft auszuspähen, die Flüchtlinge zum Schweigen zu brin¬ gen, vielleicht anch um sich in Karlsruhe durch diese Spioneudienste wieder zu insiuuiren, oder um weitere unliebsame Brandschristen über seine eigene Ver¬ gangenheit zu verhindern. Mit keinem Worte aber deutete er in allen diesen Korrespondenzen an, daß er jemals mit dem Schicksal Kaspar Hauser's in irgend welcher Verbindung gestanden. Zudem liegt sei» gesammter handschrift¬ licher Nachlaß, seit seinem Tode im Jahr 1850 versiegelt, bis ihn Mittelstadt einsah, im Karlsruher Archiv. Und auch in diesem Nachlaß hat sich nie etwas be¬ funden, was auf eine Beziehung Heunenhofer's zu Kaspar Hauser hindeutete. Vielmehr weist Hennenhofer jeden derartigen Verdacht mit Entrüstung zurück."*) Es war aber beinahe natürlich, daß die Flüchtlingschaft von 1834 die Korrespondenz, zu der sich der Major Hennenhofer mit ihr herbeiließ, als ein Zugeständniß deutete, daß er der Hauptverbrecher sei, der für Alles verant¬ wortlich gemacht werden könne, was von 1812 bis 1833 dem Hanse Baden, namentlich an Todesfällen, Böses widerfahren sei. Ein im Aargau sich um¬ hertreibender, aus dem preußischen Justizdienst entfernter Snbalternbeamter, Sebastian Seiler, beeilte sich, in diesem Sinne die Kaspar-Hauser-Legende »veiter zu spinnen. Er gab 1840 in Zürich in erster Auflage, 1844 oder 1847 mit dem falschen Druckort Paris in zweiter oder dritter Auflage, eine Broschüre heraus, in der ausgeführt wurde: der im Jahr 1812 geborene Erbprinz von Baden sei durch die Reichsgräfin Hochberg, den Major Hennenhofer und einen Kammerdiener des Markgrafen Ludwig (der auch mit im Komplott gewesen), mit Unterschiebung eines todten Kindes, aus dem großherzoglichen Schlosse seinen Eltern entführt, anfangs einige Zeit in benachbarten Schlössern erzogen worden, dann habe man den Prinzen weiter fortschaffen und in irgend welchen Händen gefangen halten lassen. Für alle diese Insinuationen konnte Herr *) Mittelstadt, ni, ni, O. S. 10. Note 2. A. -,. O. S. 13. Grenzlivten II. 1873.->i«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/389>, abgerufen am 27.07.2024.