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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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kam auf eine umsichtige und wohlerwogene Benutzung des "veitschichtigen vor¬
handenen Materials, auf übersichtliche Gruppirung und anregende, geschmack¬
volle Darstellung an, und diese Forderungen erfüllt Woermann's Arbeit in
hohem Maße. Daneben tritt das Streben nach möglichster Prägnanz, wie es
die Einfügung und Unterordnung seiner Arbeit in den Rahmen eines
Handbuchs erfordert, überall zu Tage. Den Abschnitt, welcher die Geschichte
der Maler enthält, mochte man sogar hier und da etwas ausführlicher wün¬
schen. Setzen wir den Fall, daß ein urtheilsloser Leser etwa von einem popu¬
lären Buche trivialsten Schlages, wie Göll's "Künstlern und Dichtern des
Alterthums" hinweg sich zu Woermann's Darstellung wendete, um sich dort
nun über die paar griechischen Maler, von denen ihm Göll erzählt hat, etwas
gründlicher zu informiren, so könnte es vorkommen, daß er Woermann's Buch
geradezu unbefriedigt wieder ans der Hand legte, weil es weniger Detail ent¬
hält, als das Göll'sche Opus. Mit etwas mehr Fleisch und Blut hätten die
Künstlerbilder immerhin umkleidet werden können; es wäre deshalb nicht nöthig
gewesen, seiue Zuflucht zu Künstleranekdoten zu nehmen.

Das Hauptverdienst von Woermann's Buch und dasjenige, wofür das
größere Publikum dem Verfasser nicht dankbar genug sein kann, liegt unbe¬
dingt in den Abschnitten über die erhaltenen Denkmäler. In zweckmäßigerer
Weise können der Sache fernerstehende über die antike Vasen- und Wandmalerei,
ihre Geschichte, ihre Stilarten, ihre Technik, die wechselnden Lieblingsgegen¬
stände ihrer Darstellung nicht orientirt werden, als es hier geschieht, und die
Abschnitte über die etruskischen Spiegel, die pränestinischen Cisten, die römi¬
schen Mosaiken sind unsres Wissens überhaupt noch nie und nirgends so wie
hier für weitere Kreise behandelt worden. Wünschenswert!) wäre es, daß der
Verfasser ans die Gegenstände der abgebildeten Vasen- und Wandgemälde ?c.
etwas näher eingegangen wäre. Diese sind in der Regel mit ein oder zwei
Worten abgethan. Das größere Publikum fragt erfahrungsmäßig, wenn es
eine Illustration aufschlägt, stets zuerst nach dem "Was" der Darstellung;
stilistische Fragen interessiren es erst in zweiter Linie. Und da sich's hier
meist um Mythen handelt, die dem Laien heutzutage keineswegs so sehr ge¬
läufig sind - ja, Wenn's Lohengrin oder Tristan, Brünnhilde, Floßhilde oder
Wellgunde wären! -- so müßten die Abbildungen überall mit einigen Worten
erklärt sein.

Woermann's Darstellung ist frei von allem gelehrten Ballast und liest sich
gut. Wer tiefer auf Einzelheiten einzugehen Neigung und Befähigung hat,
findet in den Anmerkungen überall die nöthige Spezialliteratnr nachgewiesen.
Eine Aeußerlichkeit, mit der wir uns nicht befreunden können, ist die vom Ver¬
fasser konsequent -- oder nein, doch nicht konsequent -- durchgeführte Schrei-


kam auf eine umsichtige und wohlerwogene Benutzung des »veitschichtigen vor¬
handenen Materials, auf übersichtliche Gruppirung und anregende, geschmack¬
volle Darstellung an, und diese Forderungen erfüllt Woermann's Arbeit in
hohem Maße. Daneben tritt das Streben nach möglichster Prägnanz, wie es
die Einfügung und Unterordnung seiner Arbeit in den Rahmen eines
Handbuchs erfordert, überall zu Tage. Den Abschnitt, welcher die Geschichte
der Maler enthält, mochte man sogar hier und da etwas ausführlicher wün¬
schen. Setzen wir den Fall, daß ein urtheilsloser Leser etwa von einem popu¬
lären Buche trivialsten Schlages, wie Göll's „Künstlern und Dichtern des
Alterthums" hinweg sich zu Woermann's Darstellung wendete, um sich dort
nun über die paar griechischen Maler, von denen ihm Göll erzählt hat, etwas
gründlicher zu informiren, so könnte es vorkommen, daß er Woermann's Buch
geradezu unbefriedigt wieder ans der Hand legte, weil es weniger Detail ent¬
hält, als das Göll'sche Opus. Mit etwas mehr Fleisch und Blut hätten die
Künstlerbilder immerhin umkleidet werden können; es wäre deshalb nicht nöthig
gewesen, seiue Zuflucht zu Künstleranekdoten zu nehmen.

Das Hauptverdienst von Woermann's Buch und dasjenige, wofür das
größere Publikum dem Verfasser nicht dankbar genug sein kann, liegt unbe¬
dingt in den Abschnitten über die erhaltenen Denkmäler. In zweckmäßigerer
Weise können der Sache fernerstehende über die antike Vasen- und Wandmalerei,
ihre Geschichte, ihre Stilarten, ihre Technik, die wechselnden Lieblingsgegen¬
stände ihrer Darstellung nicht orientirt werden, als es hier geschieht, und die
Abschnitte über die etruskischen Spiegel, die pränestinischen Cisten, die römi¬
schen Mosaiken sind unsres Wissens überhaupt noch nie und nirgends so wie
hier für weitere Kreise behandelt worden. Wünschenswert!) wäre es, daß der
Verfasser ans die Gegenstände der abgebildeten Vasen- und Wandgemälde ?c.
etwas näher eingegangen wäre. Diese sind in der Regel mit ein oder zwei
Worten abgethan. Das größere Publikum fragt erfahrungsmäßig, wenn es
eine Illustration aufschlägt, stets zuerst nach dem „Was" der Darstellung;
stilistische Fragen interessiren es erst in zweiter Linie. Und da sich's hier
meist um Mythen handelt, die dem Laien heutzutage keineswegs so sehr ge¬
läufig sind - ja, Wenn's Lohengrin oder Tristan, Brünnhilde, Floßhilde oder
Wellgunde wären! — so müßten die Abbildungen überall mit einigen Worten
erklärt sein.

Woermann's Darstellung ist frei von allem gelehrten Ballast und liest sich
gut. Wer tiefer auf Einzelheiten einzugehen Neigung und Befähigung hat,
findet in den Anmerkungen überall die nöthige Spezialliteratnr nachgewiesen.
Eine Aeußerlichkeit, mit der wir uns nicht befreunden können, ist die vom Ver¬
fasser konsequent — oder nein, doch nicht konsequent — durchgeführte Schrei-


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[0384] kam auf eine umsichtige und wohlerwogene Benutzung des »veitschichtigen vor¬ handenen Materials, auf übersichtliche Gruppirung und anregende, geschmack¬ volle Darstellung an, und diese Forderungen erfüllt Woermann's Arbeit in hohem Maße. Daneben tritt das Streben nach möglichster Prägnanz, wie es die Einfügung und Unterordnung seiner Arbeit in den Rahmen eines Handbuchs erfordert, überall zu Tage. Den Abschnitt, welcher die Geschichte der Maler enthält, mochte man sogar hier und da etwas ausführlicher wün¬ schen. Setzen wir den Fall, daß ein urtheilsloser Leser etwa von einem popu¬ lären Buche trivialsten Schlages, wie Göll's „Künstlern und Dichtern des Alterthums" hinweg sich zu Woermann's Darstellung wendete, um sich dort nun über die paar griechischen Maler, von denen ihm Göll erzählt hat, etwas gründlicher zu informiren, so könnte es vorkommen, daß er Woermann's Buch geradezu unbefriedigt wieder ans der Hand legte, weil es weniger Detail ent¬ hält, als das Göll'sche Opus. Mit etwas mehr Fleisch und Blut hätten die Künstlerbilder immerhin umkleidet werden können; es wäre deshalb nicht nöthig gewesen, seiue Zuflucht zu Künstleranekdoten zu nehmen. Das Hauptverdienst von Woermann's Buch und dasjenige, wofür das größere Publikum dem Verfasser nicht dankbar genug sein kann, liegt unbe¬ dingt in den Abschnitten über die erhaltenen Denkmäler. In zweckmäßigerer Weise können der Sache fernerstehende über die antike Vasen- und Wandmalerei, ihre Geschichte, ihre Stilarten, ihre Technik, die wechselnden Lieblingsgegen¬ stände ihrer Darstellung nicht orientirt werden, als es hier geschieht, und die Abschnitte über die etruskischen Spiegel, die pränestinischen Cisten, die römi¬ schen Mosaiken sind unsres Wissens überhaupt noch nie und nirgends so wie hier für weitere Kreise behandelt worden. Wünschenswert!) wäre es, daß der Verfasser ans die Gegenstände der abgebildeten Vasen- und Wandgemälde ?c. etwas näher eingegangen wäre. Diese sind in der Regel mit ein oder zwei Worten abgethan. Das größere Publikum fragt erfahrungsmäßig, wenn es eine Illustration aufschlägt, stets zuerst nach dem „Was" der Darstellung; stilistische Fragen interessiren es erst in zweiter Linie. Und da sich's hier meist um Mythen handelt, die dem Laien heutzutage keineswegs so sehr ge¬ läufig sind - ja, Wenn's Lohengrin oder Tristan, Brünnhilde, Floßhilde oder Wellgunde wären! — so müßten die Abbildungen überall mit einigen Worten erklärt sein. Woermann's Darstellung ist frei von allem gelehrten Ballast und liest sich gut. Wer tiefer auf Einzelheiten einzugehen Neigung und Befähigung hat, findet in den Anmerkungen überall die nöthige Spezialliteratnr nachgewiesen. Eine Aeußerlichkeit, mit der wir uns nicht befreunden können, ist die vom Ver¬ fasser konsequent — oder nein, doch nicht konsequent — durchgeführte Schrei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/384>, abgerufen am 27.07.2024.