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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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dung der griechischen Eigennamen. Daß wir uns von der lateinischen Schreibung
griechischer Namen mehr und mehr losmachen, ist nur zu billigen. Derartige Ver¬
besserungen müssen sich jedoch nach und nach vollziehen, aber nicht mit Gewalt
und iQÄSss durchgeführt werden. Wir haben vor ein paar Jahrzehnten noch
gelernt: Cimon, Alcibiades, Circe. Heute ist man allgemein gewöhnt zu schreiben
und zu sagen: Kimon, Alkibiades, Kirke; eine "Zirze" klingt unserem Ohre bereits
unausstehlich. Die gänzlich unhomerischen Trojaner sind, ebenso wie die lang-
geschwänzten Bildungen der Athenienser und Carthaginienser, durch die Troer,
Athener und Karthager verdrängt worden und spuken nur ganz vereinzelt noch.
Vor dreißig Jahren horte man noch allgemein: der Peloponnes; hente ist die
weibliche Form die Peloponnes, die auffällig genug war, als sie aufkam, durch¬
gedrungen, und wir haben uns so daran gewöhnt, daß uns bereits die männ¬
liche Form auffällig erscheint. Aber Formen wie Jphigeneia, Kroisos u. a.,
wie sie Wvermcmn braucht, klingen uns hente noch geziert; wir sind zu sehr
an Goethe's "Iphigenie", zu sehr an den sprichwörtlichen Crösus gewöhnt,
als daß die alten liebgewordenen Formen durch die andren, wenn auch echten
und korrekten so bald verdrängt werden könnten. Geradezu abscheulich klingt
Peiraiikos für Piraeims. Derartige Formen werden niemals durchdringen.
Ohne Jnkonsequenzen geht es eben anch hier wie überall in der Sprache nicht
ab. Woermann schreibt Kleonai, aber er denkt nicht daran, Tschai, Thespiai
Delphoi zu schreiben, sondern hier bleibt er doch bei den eingebürgerten
Formen Thebae, Thespiae, Delphi stehen, und auch die Göttin der Weisheit
nennt er nach hergebrachter Weise Athene und nicht, wie sie wirklich im Grie¬
chischen heißt, Athens. Wer keine gelehrte Bildung besitzt, ist so wie so den
antiken Namen gegenüber immer etwas in Verlegenheit und weiß nicht recht,
wie er sie auszusprechen und zu betonen hat. Durch Formen wie die ange¬
führten wird das Publikum vollends verdutzt. Dagegen ist es immer sehr
dankbar dafür, wenn man durch übergesetzte Accente oder dadurch, daß man
die Aussprache in Parenthese hinzufügt, seiner Unsicherheit etwas nachhilft. Und
das hätte auch Woermann getrost gelegentlich thun können, z. B. bei dem
Namen für die berühmten Halle in Delphi, der "Lesche" mit den Wandmalereien
des Polygnot. Unter zehn Lesern werden ganz gewiß neun das Wort falsch
aussprechen.

Eine Glanzseite des Werkes werden die zahlreichen, exakt und stilgetreu
ausgeführten Illustrationen bilden. Die erste Lieferung ist in dieser Beziehung
viel versprechend. Sie allein enthält eine große Anzahl vorzüglicher Holzschnitte,
die meistens nen nach Abbildungen hergestellt sind, welche sich in kostbaren
archäologischen Publikationen befinden und weiteren Kreisen schwerlich zugänglich
sein werden. Auch in dieser Hinsicht also steht die vorliegende Geschichte der


dung der griechischen Eigennamen. Daß wir uns von der lateinischen Schreibung
griechischer Namen mehr und mehr losmachen, ist nur zu billigen. Derartige Ver¬
besserungen müssen sich jedoch nach und nach vollziehen, aber nicht mit Gewalt
und iQÄSss durchgeführt werden. Wir haben vor ein paar Jahrzehnten noch
gelernt: Cimon, Alcibiades, Circe. Heute ist man allgemein gewöhnt zu schreiben
und zu sagen: Kimon, Alkibiades, Kirke; eine „Zirze" klingt unserem Ohre bereits
unausstehlich. Die gänzlich unhomerischen Trojaner sind, ebenso wie die lang-
geschwänzten Bildungen der Athenienser und Carthaginienser, durch die Troer,
Athener und Karthager verdrängt worden und spuken nur ganz vereinzelt noch.
Vor dreißig Jahren horte man noch allgemein: der Peloponnes; hente ist die
weibliche Form die Peloponnes, die auffällig genug war, als sie aufkam, durch¬
gedrungen, und wir haben uns so daran gewöhnt, daß uns bereits die männ¬
liche Form auffällig erscheint. Aber Formen wie Jphigeneia, Kroisos u. a.,
wie sie Wvermcmn braucht, klingen uns hente noch geziert; wir sind zu sehr
an Goethe's „Iphigenie", zu sehr an den sprichwörtlichen Crösus gewöhnt,
als daß die alten liebgewordenen Formen durch die andren, wenn auch echten
und korrekten so bald verdrängt werden könnten. Geradezu abscheulich klingt
Peiraiikos für Piraeims. Derartige Formen werden niemals durchdringen.
Ohne Jnkonsequenzen geht es eben anch hier wie überall in der Sprache nicht
ab. Woermann schreibt Kleonai, aber er denkt nicht daran, Tschai, Thespiai
Delphoi zu schreiben, sondern hier bleibt er doch bei den eingebürgerten
Formen Thebae, Thespiae, Delphi stehen, und auch die Göttin der Weisheit
nennt er nach hergebrachter Weise Athene und nicht, wie sie wirklich im Grie¬
chischen heißt, Athens. Wer keine gelehrte Bildung besitzt, ist so wie so den
antiken Namen gegenüber immer etwas in Verlegenheit und weiß nicht recht,
wie er sie auszusprechen und zu betonen hat. Durch Formen wie die ange¬
führten wird das Publikum vollends verdutzt. Dagegen ist es immer sehr
dankbar dafür, wenn man durch übergesetzte Accente oder dadurch, daß man
die Aussprache in Parenthese hinzufügt, seiner Unsicherheit etwas nachhilft. Und
das hätte auch Woermann getrost gelegentlich thun können, z. B. bei dem
Namen für die berühmten Halle in Delphi, der „Lesche" mit den Wandmalereien
des Polygnot. Unter zehn Lesern werden ganz gewiß neun das Wort falsch
aussprechen.

Eine Glanzseite des Werkes werden die zahlreichen, exakt und stilgetreu
ausgeführten Illustrationen bilden. Die erste Lieferung ist in dieser Beziehung
viel versprechend. Sie allein enthält eine große Anzahl vorzüglicher Holzschnitte,
die meistens nen nach Abbildungen hergestellt sind, welche sich in kostbaren
archäologischen Publikationen befinden und weiteren Kreisen schwerlich zugänglich
sein werden. Auch in dieser Hinsicht also steht die vorliegende Geschichte der


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[0385] dung der griechischen Eigennamen. Daß wir uns von der lateinischen Schreibung griechischer Namen mehr und mehr losmachen, ist nur zu billigen. Derartige Ver¬ besserungen müssen sich jedoch nach und nach vollziehen, aber nicht mit Gewalt und iQÄSss durchgeführt werden. Wir haben vor ein paar Jahrzehnten noch gelernt: Cimon, Alcibiades, Circe. Heute ist man allgemein gewöhnt zu schreiben und zu sagen: Kimon, Alkibiades, Kirke; eine „Zirze" klingt unserem Ohre bereits unausstehlich. Die gänzlich unhomerischen Trojaner sind, ebenso wie die lang- geschwänzten Bildungen der Athenienser und Carthaginienser, durch die Troer, Athener und Karthager verdrängt worden und spuken nur ganz vereinzelt noch. Vor dreißig Jahren horte man noch allgemein: der Peloponnes; hente ist die weibliche Form die Peloponnes, die auffällig genug war, als sie aufkam, durch¬ gedrungen, und wir haben uns so daran gewöhnt, daß uns bereits die männ¬ liche Form auffällig erscheint. Aber Formen wie Jphigeneia, Kroisos u. a., wie sie Wvermcmn braucht, klingen uns hente noch geziert; wir sind zu sehr an Goethe's „Iphigenie", zu sehr an den sprichwörtlichen Crösus gewöhnt, als daß die alten liebgewordenen Formen durch die andren, wenn auch echten und korrekten so bald verdrängt werden könnten. Geradezu abscheulich klingt Peiraiikos für Piraeims. Derartige Formen werden niemals durchdringen. Ohne Jnkonsequenzen geht es eben anch hier wie überall in der Sprache nicht ab. Woermann schreibt Kleonai, aber er denkt nicht daran, Tschai, Thespiai Delphoi zu schreiben, sondern hier bleibt er doch bei den eingebürgerten Formen Thebae, Thespiae, Delphi stehen, und auch die Göttin der Weisheit nennt er nach hergebrachter Weise Athene und nicht, wie sie wirklich im Grie¬ chischen heißt, Athens. Wer keine gelehrte Bildung besitzt, ist so wie so den antiken Namen gegenüber immer etwas in Verlegenheit und weiß nicht recht, wie er sie auszusprechen und zu betonen hat. Durch Formen wie die ange¬ führten wird das Publikum vollends verdutzt. Dagegen ist es immer sehr dankbar dafür, wenn man durch übergesetzte Accente oder dadurch, daß man die Aussprache in Parenthese hinzufügt, seiner Unsicherheit etwas nachhilft. Und das hätte auch Woermann getrost gelegentlich thun können, z. B. bei dem Namen für die berühmten Halle in Delphi, der „Lesche" mit den Wandmalereien des Polygnot. Unter zehn Lesern werden ganz gewiß neun das Wort falsch aussprechen. Eine Glanzseite des Werkes werden die zahlreichen, exakt und stilgetreu ausgeführten Illustrationen bilden. Die erste Lieferung ist in dieser Beziehung viel versprechend. Sie allein enthält eine große Anzahl vorzüglicher Holzschnitte, die meistens nen nach Abbildungen hergestellt sind, welche sich in kostbaren archäologischen Publikationen befinden und weiteren Kreisen schwerlich zugänglich sein werden. Auch in dieser Hinsicht also steht die vorliegende Geschichte der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/385>, abgerufen am 01.09.2024.