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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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fcilles im Landtage aber drängt sich der Argwohn auf, als liege System darin,
der Volksvertretung in solcher Weise die Pistole auf die Brust zu setzen. Sei
dieser Argwohn berechtigt, sei er es nicht, nach den in den letzten Monaten
gemachten Erfahrungen, ist kein Zweifel, daß ein ablehnendes Votum über das
Ausnahmegesetz dem Volke gegenüber als sonnenklarer Beweis der Unmöglich¬
keit, mit einem solchen Reichstage weiter zu regieren, ausgebeiltet werden
würde. Und so ist die Besorgniß nur zu sehr berechtigt (? d. Red.), daß dieser
mühsam durch Monate hindurchgeschleppte Reichstag schließlich mit einer
großen parlamentarischen Katastrophe endet.

Trotz alledem, -- handelte es sich wirklich nur um die Bekämpfung der
Sozialdemokratie, so wäre die Lage noch keineswegs trostlos. Von der gebiete¬
rischen Nothwendigkeit dieser Bekämpfung sind Alle überzeugt, welche nicht
selbst an dem radikalen Umsturz der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung
ein Interesse haben; auseinander gehen die Meinungen nur über die Frage
nach dem zweckmäßigsten Wege. Würde hierüber eine Verständigung zwischen
der Regierung und dem jetzigen Reichstage nicht zu erreichen sein, so bliebe
die Berufung an das Volk übrig, und es wäre anzunehmen, daß die Streiten¬
den sich der Entscheidung desselben einfach fügen und damit die Sache abge¬
than sein würde. Aber die gleichzeitig in Preußen ausgebrochene Ministerkrise
zeigt nur zu deutlich, daß es sich um noch ganz andere Dinge handelt Wir
wissen uns frei von Schwarzseherei; dem Ministerwechsel vor zwei Monaten
gegenüber haben wir uns die größte Reserve des Urtheils auferlegt, die Thaten
der neuen Männer geduldig abwartend; die Prophezeiungen von der "großen
Reaktion" schienen uns nicht durch positive Anhaltspunkte begründet, zum min¬
desten stark übertrieben. Das heute dem Kaiser zur Entscheidung vorliegende
Entlassungsgesuch des Kultusministers Falk aber und die daran sich knüpfende
Eventualität des Rücktritts uoch einiger anderer Minister gilt uus allerdings
als das Anzeichen eines sich vorbereitenden verhängnißvollen Umschwungs un¬
serer gesammten inneren Politik. Möchten wir uns täuschen! --

Der Streit über die Tabaksenqnete ist in der abgelaufenen Woche zu einem
ziemlich glimpflichen Austrage 'gekommen. Die Regierung hat sich wohl oder
übel dazu bequemt, den Gesetzentwurf in der von den Nationalliberalen dar¬
gebotenen Fassung anzunehmen. Dadurch ist deun die Enquete ihrer im Grunde
nur auf die Vorbereitung des Tabakmonopols angelegten Tendenz vollständig
entkleidet, und es ist eine rein objective und umfassende Untersuchung uicht
allein über die Tabak-Fabrikation und deu Tabakhandel, sondern auch über den
Tabakbau unter Zuziehung von Sachverständigen an die Stelle getreten. Alle
Zwangs- und alle Strafbestimmungen sind beseitigt. Die Ergebnisse der Unter¬
suchung sollen dem Reichstage vorgelegt werden. Der Präsident des Reichs-


fcilles im Landtage aber drängt sich der Argwohn auf, als liege System darin,
der Volksvertretung in solcher Weise die Pistole auf die Brust zu setzen. Sei
dieser Argwohn berechtigt, sei er es nicht, nach den in den letzten Monaten
gemachten Erfahrungen, ist kein Zweifel, daß ein ablehnendes Votum über das
Ausnahmegesetz dem Volke gegenüber als sonnenklarer Beweis der Unmöglich¬
keit, mit einem solchen Reichstage weiter zu regieren, ausgebeiltet werden
würde. Und so ist die Besorgniß nur zu sehr berechtigt (? d. Red.), daß dieser
mühsam durch Monate hindurchgeschleppte Reichstag schließlich mit einer
großen parlamentarischen Katastrophe endet.

Trotz alledem, — handelte es sich wirklich nur um die Bekämpfung der
Sozialdemokratie, so wäre die Lage noch keineswegs trostlos. Von der gebiete¬
rischen Nothwendigkeit dieser Bekämpfung sind Alle überzeugt, welche nicht
selbst an dem radikalen Umsturz der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung
ein Interesse haben; auseinander gehen die Meinungen nur über die Frage
nach dem zweckmäßigsten Wege. Würde hierüber eine Verständigung zwischen
der Regierung und dem jetzigen Reichstage nicht zu erreichen sein, so bliebe
die Berufung an das Volk übrig, und es wäre anzunehmen, daß die Streiten¬
den sich der Entscheidung desselben einfach fügen und damit die Sache abge¬
than sein würde. Aber die gleichzeitig in Preußen ausgebrochene Ministerkrise
zeigt nur zu deutlich, daß es sich um noch ganz andere Dinge handelt Wir
wissen uns frei von Schwarzseherei; dem Ministerwechsel vor zwei Monaten
gegenüber haben wir uns die größte Reserve des Urtheils auferlegt, die Thaten
der neuen Männer geduldig abwartend; die Prophezeiungen von der „großen
Reaktion" schienen uns nicht durch positive Anhaltspunkte begründet, zum min¬
desten stark übertrieben. Das heute dem Kaiser zur Entscheidung vorliegende
Entlassungsgesuch des Kultusministers Falk aber und die daran sich knüpfende
Eventualität des Rücktritts uoch einiger anderer Minister gilt uus allerdings
als das Anzeichen eines sich vorbereitenden verhängnißvollen Umschwungs un¬
serer gesammten inneren Politik. Möchten wir uns täuschen! —

Der Streit über die Tabaksenqnete ist in der abgelaufenen Woche zu einem
ziemlich glimpflichen Austrage 'gekommen. Die Regierung hat sich wohl oder
übel dazu bequemt, den Gesetzentwurf in der von den Nationalliberalen dar¬
gebotenen Fassung anzunehmen. Dadurch ist deun die Enquete ihrer im Grunde
nur auf die Vorbereitung des Tabakmonopols angelegten Tendenz vollständig
entkleidet, und es ist eine rein objective und umfassende Untersuchung uicht
allein über die Tabak-Fabrikation und deu Tabakhandel, sondern auch über den
Tabakbau unter Zuziehung von Sachverständigen an die Stelle getreten. Alle
Zwangs- und alle Strafbestimmungen sind beseitigt. Die Ergebnisse der Unter¬
suchung sollen dem Reichstage vorgelegt werden. Der Präsident des Reichs-


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[0359] fcilles im Landtage aber drängt sich der Argwohn auf, als liege System darin, der Volksvertretung in solcher Weise die Pistole auf die Brust zu setzen. Sei dieser Argwohn berechtigt, sei er es nicht, nach den in den letzten Monaten gemachten Erfahrungen, ist kein Zweifel, daß ein ablehnendes Votum über das Ausnahmegesetz dem Volke gegenüber als sonnenklarer Beweis der Unmöglich¬ keit, mit einem solchen Reichstage weiter zu regieren, ausgebeiltet werden würde. Und so ist die Besorgniß nur zu sehr berechtigt (? d. Red.), daß dieser mühsam durch Monate hindurchgeschleppte Reichstag schließlich mit einer großen parlamentarischen Katastrophe endet. Trotz alledem, — handelte es sich wirklich nur um die Bekämpfung der Sozialdemokratie, so wäre die Lage noch keineswegs trostlos. Von der gebiete¬ rischen Nothwendigkeit dieser Bekämpfung sind Alle überzeugt, welche nicht selbst an dem radikalen Umsturz der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung ein Interesse haben; auseinander gehen die Meinungen nur über die Frage nach dem zweckmäßigsten Wege. Würde hierüber eine Verständigung zwischen der Regierung und dem jetzigen Reichstage nicht zu erreichen sein, so bliebe die Berufung an das Volk übrig, und es wäre anzunehmen, daß die Streiten¬ den sich der Entscheidung desselben einfach fügen und damit die Sache abge¬ than sein würde. Aber die gleichzeitig in Preußen ausgebrochene Ministerkrise zeigt nur zu deutlich, daß es sich um noch ganz andere Dinge handelt Wir wissen uns frei von Schwarzseherei; dem Ministerwechsel vor zwei Monaten gegenüber haben wir uns die größte Reserve des Urtheils auferlegt, die Thaten der neuen Männer geduldig abwartend; die Prophezeiungen von der „großen Reaktion" schienen uns nicht durch positive Anhaltspunkte begründet, zum min¬ desten stark übertrieben. Das heute dem Kaiser zur Entscheidung vorliegende Entlassungsgesuch des Kultusministers Falk aber und die daran sich knüpfende Eventualität des Rücktritts uoch einiger anderer Minister gilt uus allerdings als das Anzeichen eines sich vorbereitenden verhängnißvollen Umschwungs un¬ serer gesammten inneren Politik. Möchten wir uns täuschen! — Der Streit über die Tabaksenqnete ist in der abgelaufenen Woche zu einem ziemlich glimpflichen Austrage 'gekommen. Die Regierung hat sich wohl oder übel dazu bequemt, den Gesetzentwurf in der von den Nationalliberalen dar¬ gebotenen Fassung anzunehmen. Dadurch ist deun die Enquete ihrer im Grunde nur auf die Vorbereitung des Tabakmonopols angelegten Tendenz vollständig entkleidet, und es ist eine rein objective und umfassende Untersuchung uicht allein über die Tabak-Fabrikation und deu Tabakhandel, sondern auch über den Tabakbau unter Zuziehung von Sachverständigen an die Stelle getreten. Alle Zwangs- und alle Strafbestimmungen sind beseitigt. Die Ergebnisse der Unter¬ suchung sollen dem Reichstage vorgelegt werden. Der Präsident des Reichs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/359>, abgerufen am 06.10.2024.