Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Befragte mußte ein gutes Gedächtniß haben. Denn diese Phrase
hatte der General schon im Februar 1848 gebraucht. Nach der Februarrevo¬
lution hatte er an die damaligen republikanische" Machthaber folgendes Meister¬
werk rückhaltloser Naivetät in Briefform gerichtet: "Ich wünsche, an irgend
eine bedrohte Grenze gesendet werden. Ich habe Erfahrungen, die dnrch ernste
Studien gesteigert siud, einen lebhaften Durst nach Ruhm und die Gewohnheit
zu siegen." Diese Gewohnheit hatte sich der bescheidene Feldherr mit bemerkens¬
werter Leichtigkeit, nämlich schon nach einer einzigen Waffenthat angeeignet.
Er hatte nämlich 1836 als Major eine kleine Jnfanterieabtheilung, die zum
Nachtrab der Armee des Marschalls Clausel gehörte, bei dem Rückzug von
Konstantine gegen die nachrückenden Araber gut geführt und den mehr unge¬
stümen als nachhaltigen Reitersturm des Feindes abgewiesen. Vorher hatte
er zu seinen Truppen mit wahrhaft napoleonischer Pose das große Wort ge¬
lassen ausgesprochen: "Sie sind 6000, wir 300, die Partie ist also gleich."
Diese Waffenthat, die der Militair von Fach etwa als Scharmützel bezeichnen
würde, trug im Munde und der Erinnerung des Generals Changarnier immer
nur den stolzen Namen der großen "Schlacht bei Constantine" und stellte
sich seinem Geiste als eine der größten und ruhmreichsten Kriegsthaten aller
Zeiten dar. "Wenn man von der Größe eines Hannibal, Cäsar, Napoleon
und so weiter sprach, war er im Stande eine abwehrende Handbewegung
von süperber Bescheidenheit zu machen." Weniger bescheiden war er gelegent¬
lich Vorgesetzten oder Rivalen in der Volksgunst gegenüber. So fiel er kurze
Zeit nach der Schlacht von Constantine dem kommandirenden General Bugeaud,
der Chaugarnier gegenüber seine Befehle mit erläuternden Bemerkungen be¬
gleitete, ungeduldig in's Wort mit der Bemerkung: Ich glaube, ich habe lange
genug Krieg gesehen, um zu wissen, wie man ihn macht." Bugeaud lächelte
gutmüthig und sagte: "Das beweist nichts, lieber General. Sehen Sie, der
Marschall von Sachsen besaß einen Packesel, der alle seine Feldzüge mitgemacht
hatte; ich habe aber nicht gehört, daß er sich darum sonderlich auf das Kriegs¬
wesen verstanden hätte." Bei einer andern Gelegenheit rächte sich Changarnier
in der französischen Nationalversammlung an der steigenden Popularität des
Vertheidigers von Belfort, des Oberst Denfert, -- dessen Tod die neuesten Zei¬
tungen melden -- durch hämische Bemerkungen über den glücklicheren Liebling
des Volkes. Da riefen ihm die Republikaner zu: "Wir heißen Belfort und
Ihr, Ihr heißt Metz und Sedan." "Ich" erwiderte der General mit einer
sublimen Handbewegung, die ihm nicht einmal der große Komiker Got maje¬
stätisch genug nachmachen konnte, "ich heiße bescheiden Changarnier."

Wäre Changarnier nicht Soldat gewesen, er hätte sich vor dem Fluch der
Lächerlichkeit, der seinem ganzen Treiben anhaftete, nicht retten können. Aber


Der Befragte mußte ein gutes Gedächtniß haben. Denn diese Phrase
hatte der General schon im Februar 1848 gebraucht. Nach der Februarrevo¬
lution hatte er an die damaligen republikanische» Machthaber folgendes Meister¬
werk rückhaltloser Naivetät in Briefform gerichtet: „Ich wünsche, an irgend
eine bedrohte Grenze gesendet werden. Ich habe Erfahrungen, die dnrch ernste
Studien gesteigert siud, einen lebhaften Durst nach Ruhm und die Gewohnheit
zu siegen." Diese Gewohnheit hatte sich der bescheidene Feldherr mit bemerkens¬
werter Leichtigkeit, nämlich schon nach einer einzigen Waffenthat angeeignet.
Er hatte nämlich 1836 als Major eine kleine Jnfanterieabtheilung, die zum
Nachtrab der Armee des Marschalls Clausel gehörte, bei dem Rückzug von
Konstantine gegen die nachrückenden Araber gut geführt und den mehr unge¬
stümen als nachhaltigen Reitersturm des Feindes abgewiesen. Vorher hatte
er zu seinen Truppen mit wahrhaft napoleonischer Pose das große Wort ge¬
lassen ausgesprochen: „Sie sind 6000, wir 300, die Partie ist also gleich."
Diese Waffenthat, die der Militair von Fach etwa als Scharmützel bezeichnen
würde, trug im Munde und der Erinnerung des Generals Changarnier immer
nur den stolzen Namen der großen „Schlacht bei Constantine" und stellte
sich seinem Geiste als eine der größten und ruhmreichsten Kriegsthaten aller
Zeiten dar. „Wenn man von der Größe eines Hannibal, Cäsar, Napoleon
und so weiter sprach, war er im Stande eine abwehrende Handbewegung
von süperber Bescheidenheit zu machen." Weniger bescheiden war er gelegent¬
lich Vorgesetzten oder Rivalen in der Volksgunst gegenüber. So fiel er kurze
Zeit nach der Schlacht von Constantine dem kommandirenden General Bugeaud,
der Chaugarnier gegenüber seine Befehle mit erläuternden Bemerkungen be¬
gleitete, ungeduldig in's Wort mit der Bemerkung: Ich glaube, ich habe lange
genug Krieg gesehen, um zu wissen, wie man ihn macht." Bugeaud lächelte
gutmüthig und sagte: „Das beweist nichts, lieber General. Sehen Sie, der
Marschall von Sachsen besaß einen Packesel, der alle seine Feldzüge mitgemacht
hatte; ich habe aber nicht gehört, daß er sich darum sonderlich auf das Kriegs¬
wesen verstanden hätte." Bei einer andern Gelegenheit rächte sich Changarnier
in der französischen Nationalversammlung an der steigenden Popularität des
Vertheidigers von Belfort, des Oberst Denfert, — dessen Tod die neuesten Zei¬
tungen melden — durch hämische Bemerkungen über den glücklicheren Liebling
des Volkes. Da riefen ihm die Republikaner zu: „Wir heißen Belfort und
Ihr, Ihr heißt Metz und Sedan." „Ich" erwiderte der General mit einer
sublimen Handbewegung, die ihm nicht einmal der große Komiker Got maje¬
stätisch genug nachmachen konnte, „ich heiße bescheiden Changarnier."

Wäre Changarnier nicht Soldat gewesen, er hätte sich vor dem Fluch der
Lächerlichkeit, der seinem ganzen Treiben anhaftete, nicht retten können. Aber


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0342" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140163"/>
          <p xml:id="ID_1003"> Der Befragte mußte ein gutes Gedächtniß haben. Denn diese Phrase<lb/>
hatte der General schon im Februar 1848 gebraucht. Nach der Februarrevo¬<lb/>
lution hatte er an die damaligen republikanische» Machthaber folgendes Meister¬<lb/>
werk rückhaltloser Naivetät in Briefform gerichtet: &#x201E;Ich wünsche, an irgend<lb/>
eine bedrohte Grenze gesendet werden. Ich habe Erfahrungen, die dnrch ernste<lb/>
Studien gesteigert siud, einen lebhaften Durst nach Ruhm und die Gewohnheit<lb/>
zu siegen." Diese Gewohnheit hatte sich der bescheidene Feldherr mit bemerkens¬<lb/>
werter Leichtigkeit, nämlich schon nach einer einzigen Waffenthat angeeignet.<lb/>
Er hatte nämlich 1836 als Major eine kleine Jnfanterieabtheilung, die zum<lb/>
Nachtrab der Armee des Marschalls Clausel gehörte, bei dem Rückzug von<lb/>
Konstantine gegen die nachrückenden Araber gut geführt und den mehr unge¬<lb/>
stümen als nachhaltigen Reitersturm des Feindes abgewiesen. Vorher hatte<lb/>
er zu seinen Truppen mit wahrhaft napoleonischer Pose das große Wort ge¬<lb/>
lassen ausgesprochen: &#x201E;Sie sind 6000, wir 300, die Partie ist also gleich."<lb/>
Diese Waffenthat, die der Militair von Fach etwa als Scharmützel bezeichnen<lb/>
würde, trug im Munde und der Erinnerung des Generals Changarnier immer<lb/>
nur den stolzen Namen der großen &#x201E;Schlacht bei Constantine" und stellte<lb/>
sich seinem Geiste als eine der größten und ruhmreichsten Kriegsthaten aller<lb/>
Zeiten dar. &#x201E;Wenn man von der Größe eines Hannibal, Cäsar, Napoleon<lb/>
und so weiter sprach, war er im Stande eine abwehrende Handbewegung<lb/>
von süperber Bescheidenheit zu machen." Weniger bescheiden war er gelegent¬<lb/>
lich Vorgesetzten oder Rivalen in der Volksgunst gegenüber. So fiel er kurze<lb/>
Zeit nach der Schlacht von Constantine dem kommandirenden General Bugeaud,<lb/>
der Chaugarnier gegenüber seine Befehle mit erläuternden Bemerkungen be¬<lb/>
gleitete, ungeduldig in's Wort mit der Bemerkung: Ich glaube, ich habe lange<lb/>
genug Krieg gesehen, um zu wissen, wie man ihn macht." Bugeaud lächelte<lb/>
gutmüthig und sagte: &#x201E;Das beweist nichts, lieber General. Sehen Sie, der<lb/>
Marschall von Sachsen besaß einen Packesel, der alle seine Feldzüge mitgemacht<lb/>
hatte; ich habe aber nicht gehört, daß er sich darum sonderlich auf das Kriegs¬<lb/>
wesen verstanden hätte." Bei einer andern Gelegenheit rächte sich Changarnier<lb/>
in der französischen Nationalversammlung an der steigenden Popularität des<lb/>
Vertheidigers von Belfort, des Oberst Denfert, &#x2014; dessen Tod die neuesten Zei¬<lb/>
tungen melden &#x2014; durch hämische Bemerkungen über den glücklicheren Liebling<lb/>
des Volkes. Da riefen ihm die Republikaner zu: &#x201E;Wir heißen Belfort und<lb/>
Ihr, Ihr heißt Metz und Sedan." &#x201E;Ich" erwiderte der General mit einer<lb/>
sublimen Handbewegung, die ihm nicht einmal der große Komiker Got maje¬<lb/>
stätisch genug nachmachen konnte, &#x201E;ich heiße bescheiden Changarnier."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1004" next="#ID_1005"> Wäre Changarnier nicht Soldat gewesen, er hätte sich vor dem Fluch der<lb/>
Lächerlichkeit, der seinem ganzen Treiben anhaftete, nicht retten können. Aber</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0342] Der Befragte mußte ein gutes Gedächtniß haben. Denn diese Phrase hatte der General schon im Februar 1848 gebraucht. Nach der Februarrevo¬ lution hatte er an die damaligen republikanische» Machthaber folgendes Meister¬ werk rückhaltloser Naivetät in Briefform gerichtet: „Ich wünsche, an irgend eine bedrohte Grenze gesendet werden. Ich habe Erfahrungen, die dnrch ernste Studien gesteigert siud, einen lebhaften Durst nach Ruhm und die Gewohnheit zu siegen." Diese Gewohnheit hatte sich der bescheidene Feldherr mit bemerkens¬ werter Leichtigkeit, nämlich schon nach einer einzigen Waffenthat angeeignet. Er hatte nämlich 1836 als Major eine kleine Jnfanterieabtheilung, die zum Nachtrab der Armee des Marschalls Clausel gehörte, bei dem Rückzug von Konstantine gegen die nachrückenden Araber gut geführt und den mehr unge¬ stümen als nachhaltigen Reitersturm des Feindes abgewiesen. Vorher hatte er zu seinen Truppen mit wahrhaft napoleonischer Pose das große Wort ge¬ lassen ausgesprochen: „Sie sind 6000, wir 300, die Partie ist also gleich." Diese Waffenthat, die der Militair von Fach etwa als Scharmützel bezeichnen würde, trug im Munde und der Erinnerung des Generals Changarnier immer nur den stolzen Namen der großen „Schlacht bei Constantine" und stellte sich seinem Geiste als eine der größten und ruhmreichsten Kriegsthaten aller Zeiten dar. „Wenn man von der Größe eines Hannibal, Cäsar, Napoleon und so weiter sprach, war er im Stande eine abwehrende Handbewegung von süperber Bescheidenheit zu machen." Weniger bescheiden war er gelegent¬ lich Vorgesetzten oder Rivalen in der Volksgunst gegenüber. So fiel er kurze Zeit nach der Schlacht von Constantine dem kommandirenden General Bugeaud, der Chaugarnier gegenüber seine Befehle mit erläuternden Bemerkungen be¬ gleitete, ungeduldig in's Wort mit der Bemerkung: Ich glaube, ich habe lange genug Krieg gesehen, um zu wissen, wie man ihn macht." Bugeaud lächelte gutmüthig und sagte: „Das beweist nichts, lieber General. Sehen Sie, der Marschall von Sachsen besaß einen Packesel, der alle seine Feldzüge mitgemacht hatte; ich habe aber nicht gehört, daß er sich darum sonderlich auf das Kriegs¬ wesen verstanden hätte." Bei einer andern Gelegenheit rächte sich Changarnier in der französischen Nationalversammlung an der steigenden Popularität des Vertheidigers von Belfort, des Oberst Denfert, — dessen Tod die neuesten Zei¬ tungen melden — durch hämische Bemerkungen über den glücklicheren Liebling des Volkes. Da riefen ihm die Republikaner zu: „Wir heißen Belfort und Ihr, Ihr heißt Metz und Sedan." „Ich" erwiderte der General mit einer sublimen Handbewegung, die ihm nicht einmal der große Komiker Got maje¬ stätisch genug nachmachen konnte, „ich heiße bescheiden Changarnier." Wäre Changarnier nicht Soldat gewesen, er hätte sich vor dem Fluch der Lächerlichkeit, der seinem ganzen Treiben anhaftete, nicht retten können. Aber

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/342
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/342>, abgerufen am 01.09.2024.