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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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gothischen Kathedrale ausspricht. In der Kirche sah man sast nnr Damen"
Pater Hyacinthe sah seinen Ruhm von Tag zu Tag steigen. Der Papst sandte
ihm seinen Segen, Napoleon und sein Hof ließen sich von ihm in der Kapelle
zu Compiegne Privatissima predigen. Man sprach davon, ihn zum Bischof zu
ernennen, da heirathete plötzlich der Karmelitermönch eine amerikanische Wittwe,
die er zur alleinseligmachenden Kirche bekehrt, und nun wurde er der einfache
Wanderredner Herr Lvyson, der den ganz natürlichen und ehrenwerthen Grund
seines Auftrittes ans dem Kloster in heuchlerischer und scheinheiliger Weise
dadurch zu verhüllen suchte, daß er vorgab, das Dogma der Unfehlbarkeit habe
ihm uicht gepaßt. Dadurch hoffte er bei seinen Landsleuten in den besondern
Geruch eines Märtyrers zu kommen, und bis heute ist ihm der Unsinn auch
theilweise gelungen!

Ein noch lustigeres Charakterbild, unseres Erachtens das beste im ganzen
Buche, hat unfreiwillig der General Changarnier geliefert. Denn der Pariser
"Papst der Civilisation", Herr Gagne, kann sich an europäischer und typischer Be¬
rühmtheit bei weitem nicht mit dem Helden der "Schlacht von Constantine"
messen, so hübsch ihn der Verfasser auch geschildert hat. Selbst Raspail, der
"Kamphermann im Pfeffer", den Levysoyn in seinem Büchlein "Aus einer
Kaiserzeit" der Vergessenheit entrissen hat, steht an historischer Bedeutung noch
über Gagne. Aber der General Changarnier ist im eigentlichsten Sinne des
Wortes der moderne französische alios Aloriosn8, und als solcher in einem
Volke, das den Ruhm so sehr zu den nothwendigsten Lebensbedürfnissen zählt,
wie das französische, eine ebenso typische wie unausrottbare Figur. Jm Februar
1875 hat der Verfasser den General Changarnier zum ersten Mal gesehen,
ohne zu wissen, wer er sei. In der französischen Nationalversammlung saß ein
uralter Greis von mindestens achtzig Jahren mit glattrasirten Kinn, einem Schnurr¬
bart in Zahnbttrstensvrmat, einer dichtbehaarten Perrttcke, in der die dunkeln
Töne vorherrschten und einer Toilette, welche einen starken Begriff von der
Sorgfalt gab, welche aus dieselbe verwendet worden sein mußte. Er trug
winzige Lackstiefelchen, ein perlgraues, nach unten trichterförmig erweitertes
Beinkleid und einen dunkelbraunen Ueberrock, der in der Taille unmäßig zu¬
sammengepreßt war, während er in den Schultern so weit auseinandertrat,
daß mau glauben konnte, er wolle sich zu einem Flügelpaar entwickeln. Dazu
pflaumenblaue Handschuhe, ein feines Ebenholzstöckchen und ein keck ausge¬
schweifter Cylinder von jugendlichster Modeform. Diese Erscheinung erweckte im
Munde Nordau's die natürliche Frage an dessen Nachbar: "Wer ist denn der
Don Juan in der grauen Perrücke da unten?"

"Das ist der General Changarnier," lautet die Antwort, "der gewohnt ist,
zu siegen."


Grenzwtm II. 1878. 43

gothischen Kathedrale ausspricht. In der Kirche sah man sast nnr Damen"
Pater Hyacinthe sah seinen Ruhm von Tag zu Tag steigen. Der Papst sandte
ihm seinen Segen, Napoleon und sein Hof ließen sich von ihm in der Kapelle
zu Compiegne Privatissima predigen. Man sprach davon, ihn zum Bischof zu
ernennen, da heirathete plötzlich der Karmelitermönch eine amerikanische Wittwe,
die er zur alleinseligmachenden Kirche bekehrt, und nun wurde er der einfache
Wanderredner Herr Lvyson, der den ganz natürlichen und ehrenwerthen Grund
seines Auftrittes ans dem Kloster in heuchlerischer und scheinheiliger Weise
dadurch zu verhüllen suchte, daß er vorgab, das Dogma der Unfehlbarkeit habe
ihm uicht gepaßt. Dadurch hoffte er bei seinen Landsleuten in den besondern
Geruch eines Märtyrers zu kommen, und bis heute ist ihm der Unsinn auch
theilweise gelungen!

Ein noch lustigeres Charakterbild, unseres Erachtens das beste im ganzen
Buche, hat unfreiwillig der General Changarnier geliefert. Denn der Pariser
„Papst der Civilisation", Herr Gagne, kann sich an europäischer und typischer Be¬
rühmtheit bei weitem nicht mit dem Helden der „Schlacht von Constantine"
messen, so hübsch ihn der Verfasser auch geschildert hat. Selbst Raspail, der
„Kamphermann im Pfeffer", den Levysoyn in seinem Büchlein „Aus einer
Kaiserzeit" der Vergessenheit entrissen hat, steht an historischer Bedeutung noch
über Gagne. Aber der General Changarnier ist im eigentlichsten Sinne des
Wortes der moderne französische alios Aloriosn8, und als solcher in einem
Volke, das den Ruhm so sehr zu den nothwendigsten Lebensbedürfnissen zählt,
wie das französische, eine ebenso typische wie unausrottbare Figur. Jm Februar
1875 hat der Verfasser den General Changarnier zum ersten Mal gesehen,
ohne zu wissen, wer er sei. In der französischen Nationalversammlung saß ein
uralter Greis von mindestens achtzig Jahren mit glattrasirten Kinn, einem Schnurr¬
bart in Zahnbttrstensvrmat, einer dichtbehaarten Perrttcke, in der die dunkeln
Töne vorherrschten und einer Toilette, welche einen starken Begriff von der
Sorgfalt gab, welche aus dieselbe verwendet worden sein mußte. Er trug
winzige Lackstiefelchen, ein perlgraues, nach unten trichterförmig erweitertes
Beinkleid und einen dunkelbraunen Ueberrock, der in der Taille unmäßig zu¬
sammengepreßt war, während er in den Schultern so weit auseinandertrat,
daß mau glauben konnte, er wolle sich zu einem Flügelpaar entwickeln. Dazu
pflaumenblaue Handschuhe, ein feines Ebenholzstöckchen und ein keck ausge¬
schweifter Cylinder von jugendlichster Modeform. Diese Erscheinung erweckte im
Munde Nordau's die natürliche Frage an dessen Nachbar: „Wer ist denn der
Don Juan in der grauen Perrücke da unten?"

„Das ist der General Changarnier," lautet die Antwort, „der gewohnt ist,
zu siegen."


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[0341] gothischen Kathedrale ausspricht. In der Kirche sah man sast nnr Damen" Pater Hyacinthe sah seinen Ruhm von Tag zu Tag steigen. Der Papst sandte ihm seinen Segen, Napoleon und sein Hof ließen sich von ihm in der Kapelle zu Compiegne Privatissima predigen. Man sprach davon, ihn zum Bischof zu ernennen, da heirathete plötzlich der Karmelitermönch eine amerikanische Wittwe, die er zur alleinseligmachenden Kirche bekehrt, und nun wurde er der einfache Wanderredner Herr Lvyson, der den ganz natürlichen und ehrenwerthen Grund seines Auftrittes ans dem Kloster in heuchlerischer und scheinheiliger Weise dadurch zu verhüllen suchte, daß er vorgab, das Dogma der Unfehlbarkeit habe ihm uicht gepaßt. Dadurch hoffte er bei seinen Landsleuten in den besondern Geruch eines Märtyrers zu kommen, und bis heute ist ihm der Unsinn auch theilweise gelungen! Ein noch lustigeres Charakterbild, unseres Erachtens das beste im ganzen Buche, hat unfreiwillig der General Changarnier geliefert. Denn der Pariser „Papst der Civilisation", Herr Gagne, kann sich an europäischer und typischer Be¬ rühmtheit bei weitem nicht mit dem Helden der „Schlacht von Constantine" messen, so hübsch ihn der Verfasser auch geschildert hat. Selbst Raspail, der „Kamphermann im Pfeffer", den Levysoyn in seinem Büchlein „Aus einer Kaiserzeit" der Vergessenheit entrissen hat, steht an historischer Bedeutung noch über Gagne. Aber der General Changarnier ist im eigentlichsten Sinne des Wortes der moderne französische alios Aloriosn8, und als solcher in einem Volke, das den Ruhm so sehr zu den nothwendigsten Lebensbedürfnissen zählt, wie das französische, eine ebenso typische wie unausrottbare Figur. Jm Februar 1875 hat der Verfasser den General Changarnier zum ersten Mal gesehen, ohne zu wissen, wer er sei. In der französischen Nationalversammlung saß ein uralter Greis von mindestens achtzig Jahren mit glattrasirten Kinn, einem Schnurr¬ bart in Zahnbttrstensvrmat, einer dichtbehaarten Perrttcke, in der die dunkeln Töne vorherrschten und einer Toilette, welche einen starken Begriff von der Sorgfalt gab, welche aus dieselbe verwendet worden sein mußte. Er trug winzige Lackstiefelchen, ein perlgraues, nach unten trichterförmig erweitertes Beinkleid und einen dunkelbraunen Ueberrock, der in der Taille unmäßig zu¬ sammengepreßt war, während er in den Schultern so weit auseinandertrat, daß mau glauben konnte, er wolle sich zu einem Flügelpaar entwickeln. Dazu pflaumenblaue Handschuhe, ein feines Ebenholzstöckchen und ein keck ausge¬ schweifter Cylinder von jugendlichster Modeform. Diese Erscheinung erweckte im Munde Nordau's die natürliche Frage an dessen Nachbar: „Wer ist denn der Don Juan in der grauen Perrücke da unten?" „Das ist der General Changarnier," lautet die Antwort, „der gewohnt ist, zu siegen." Grenzwtm II. 1878. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/341>, abgerufen am 27.07.2024.