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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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schöne Anstrengungen machte, Beiträge von bleibendem Werth zur Beurtheilung
der französischen Hauptstadt zu liefern. Wie lange kann im günstigsten Falle
der Ruhm der gefallsüchtigen Minimum dauern -- Künstlerinnen wäre ein
zu großes Wort --, die Herr Offenbach da und dort aufgelesen, um sie seinein
Triumphwagen vorzuspannen?

Dagegen soll mit Freuden anerkannt werden, daß Nordan unter den
"Portraits und Chargen" einige gezeichnet hat, die vorzüglich gelungen sind, und
als national-französische Typen von besonders kräftiger und eigenthüm¬
licher Prägung auch immer ihr Interesse bewahren werden. Dahin
gehört zunächst der "Ex-Pere Hyacinthe", etwa der französische Ab¬
raham a Santa Clara aus unsern Tagen. Das deutsche Original hat
freilich vor dem französischen Seitenstück trotz seiner Derbheit noch viel voraus:
den naturwüchsigen, man kann wohl sagen unsterblichen Humor, dem die sü߬
liche wortreiche Sentimentalität des französischen Kanzelredners nicht entfernt
nahe kommt, und dann die Hauptsache, die großartige Aufopferungsfähigkeit
seines geistlichen Berufes während der Pest, die seine Gemeinde heimsuchte;
auch diese höchste christlich-priesterliche Pflichterfüllung wird das weltlich ge¬
wordene Franzosenkind wohl kaum prästiren. Gleichwohl aber ist die Cha¬
rakterzeichnung Nordau's vom Pore Hyacinthe sehr lesenswerth. Im Jahre
1866 war dieser als unbekannter Mönch auf der Kanzel der Notre-Dame-Kirche
erschienen und hatte gepredigt -- und wenige Stunden darauf sprach ganz
Paris von nichts Anderem. Die Tagesblätter schlugen Lärm, in den Salons
und Cafes sprach man von nichts als von ihm, höchstens noch von der Chan¬
sonettensängerin Theresa. Am nächsten Sonntag machten die Damen des
kaiserlichen Hofes Queue vor der Pforte der Notre-Dame-Kirche, um Pater
Hyacinthe zu hören. Warum? Er hatte gepredigt von der Liebe des Mannes
zum Weibe, von nichts Anderem. Und er fuhr fort auf dem Wege, den er
betreten hatte. Das konnte die stumpfen Nerven noch in Schwingungen ver¬
setzen. "Der Mönch hatte seine eigene, unsäglich prickelnde Manier, mit einer
athemranbenden Kühnheit auf ein geradezu unnahbares Ziel direkt loszugehen und
plötzlich innezuhalten, wenn schon die aufgeregten ZuHörerinnen die Augen schlossen,
um wenigstens nicht zu sehen, wie sich der Prediger kopfüber in den Abgrund eines
cynischen Gedankens oder einer derbfleischlichen Situation stürzen werde; er verstand
meisterhaft, ganz knapp an der Grenze eines verbotenen Geheges umherzustreifen,
so daß er immer mit dem Fuße an den Zaun stieß; die Dinge anzudeuten,
aber nicht auszusprechen; hinter einem Nebel mystischer Worte eine Gruppe
von Gelüsten in deutlichen Umrissen sehen zu lassen.... Ein Wort, das fast
harmlos ist, wenn es ans der Bühne von den Lippen eines Schauspielers stillt,
ladet sich mit Elektricität, wenn ein Mönch es unter den hohen Bogen einer


schöne Anstrengungen machte, Beiträge von bleibendem Werth zur Beurtheilung
der französischen Hauptstadt zu liefern. Wie lange kann im günstigsten Falle
der Ruhm der gefallsüchtigen Minimum dauern — Künstlerinnen wäre ein
zu großes Wort —, die Herr Offenbach da und dort aufgelesen, um sie seinein
Triumphwagen vorzuspannen?

Dagegen soll mit Freuden anerkannt werden, daß Nordan unter den
„Portraits und Chargen" einige gezeichnet hat, die vorzüglich gelungen sind, und
als national-französische Typen von besonders kräftiger und eigenthüm¬
licher Prägung auch immer ihr Interesse bewahren werden. Dahin
gehört zunächst der „Ex-Pere Hyacinthe", etwa der französische Ab¬
raham a Santa Clara aus unsern Tagen. Das deutsche Original hat
freilich vor dem französischen Seitenstück trotz seiner Derbheit noch viel voraus:
den naturwüchsigen, man kann wohl sagen unsterblichen Humor, dem die sü߬
liche wortreiche Sentimentalität des französischen Kanzelredners nicht entfernt
nahe kommt, und dann die Hauptsache, die großartige Aufopferungsfähigkeit
seines geistlichen Berufes während der Pest, die seine Gemeinde heimsuchte;
auch diese höchste christlich-priesterliche Pflichterfüllung wird das weltlich ge¬
wordene Franzosenkind wohl kaum prästiren. Gleichwohl aber ist die Cha¬
rakterzeichnung Nordau's vom Pore Hyacinthe sehr lesenswerth. Im Jahre
1866 war dieser als unbekannter Mönch auf der Kanzel der Notre-Dame-Kirche
erschienen und hatte gepredigt — und wenige Stunden darauf sprach ganz
Paris von nichts Anderem. Die Tagesblätter schlugen Lärm, in den Salons
und Cafes sprach man von nichts als von ihm, höchstens noch von der Chan¬
sonettensängerin Theresa. Am nächsten Sonntag machten die Damen des
kaiserlichen Hofes Queue vor der Pforte der Notre-Dame-Kirche, um Pater
Hyacinthe zu hören. Warum? Er hatte gepredigt von der Liebe des Mannes
zum Weibe, von nichts Anderem. Und er fuhr fort auf dem Wege, den er
betreten hatte. Das konnte die stumpfen Nerven noch in Schwingungen ver¬
setzen. „Der Mönch hatte seine eigene, unsäglich prickelnde Manier, mit einer
athemranbenden Kühnheit auf ein geradezu unnahbares Ziel direkt loszugehen und
plötzlich innezuhalten, wenn schon die aufgeregten ZuHörerinnen die Augen schlossen,
um wenigstens nicht zu sehen, wie sich der Prediger kopfüber in den Abgrund eines
cynischen Gedankens oder einer derbfleischlichen Situation stürzen werde; er verstand
meisterhaft, ganz knapp an der Grenze eines verbotenen Geheges umherzustreifen,
so daß er immer mit dem Fuße an den Zaun stieß; die Dinge anzudeuten,
aber nicht auszusprechen; hinter einem Nebel mystischer Worte eine Gruppe
von Gelüsten in deutlichen Umrissen sehen zu lassen.... Ein Wort, das fast
harmlos ist, wenn es ans der Bühne von den Lippen eines Schauspielers stillt,
ladet sich mit Elektricität, wenn ein Mönch es unter den hohen Bogen einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/340>, abgerufen am 27.07.2024.