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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Wie oft Kreistage abgehalten werden sollten, lag hauptsächlich in der Hand
der kreisausschreibenden Fürsten. Hatten diese Streitigkeiten untereinander
oder sollten Sachen zur Verhandlung kommen, die ihnen unbequem waren,
dann wurden, um Zeit zu gewinnen, die Kreistage Jahre lang hinausgeschoben.
In anderen Kreisen wieder, wo das Verfassungswesen fast gänzlich darnieder¬
lag, lohnte es sich kaum der Mühe die Stände zu versammeln. So wurden
im niedersächsischen und Obersächsischen Kreise von den Jahren 1682 resp.
1683 bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts gar keine Kreistage abgehalten,
Es mag hierbei als charakteristisches Kennzeichen für die Zustände im heiligen
römischen Reich erwähnt werden, daß jener letzte Obersächsische Kreistag des¬
wegen unverrichteter Sache wieder auseinander gehen mußte, weil der Sachsen-
Gotha'sche Gesandte gegen das herkömmliche Ceremoniell zur ersten Sitzung
mit sechs Pferden gefahren war, ein Vorrecht, das nach alter Observanz nur
den Kurfürstlichen Gesandten zukam. Es entspann sich darüber ein heftiger
Streit und da der Gesandte mit höchster Autorisation seines Herrn rennend
blieb, so entschloß sich das Direktorium den Konvent bis zu anderer Gelegen¬
heit aufzuheben. "Und so gienge man zu eben der Zeit, da die Türken vor
Wien stunden, -- um welcher gefährlichen Umstände willen auch der Cräys-
Tag angeordnet worden war, -- zum Spott der gantzen Welt auseinander."
So läßt sich ein Zeitgenosse über jenen verunglückten Kreistag vernehmen.
Ans die Befolgung des einmal herkömmlichen Ceremoniels legte man ans den
Kreistagen ein eben solches Gewicht, wie auf den Reichstagen. Jeder Kreis
hatte sein besonderes Kanzlei - Ceremonie! und es ist kaum glaublich, welche
Lappalien Veranlassung zu den heftigsten Streitigkeiten gaben.

Während auf den Kreistagen, wo übrigens sämmtliche Stände, auch die
Grafen und Prälaten, Virilstimmen besaßen, die internen Angelegenheiten der
Kreise zur Verhandlung kamen, sollten auf dem Reichstage zu Regensburg,
dessen Zusammensetzung wir bereits besprachen, die gemeinsamen Interessen des
deutschen Reichs erwogen, über dessen Wohl und Wehe, über Krieg und Frie¬
den entschieden werden. Es war dieser Reichstag das einzige Organ, durch
welches mehrere hundert deutsche Landesherren und Städte ihre konföderativen
Einrichtungen überwachen und weiter entwickeln sollten. Die Aufgabe war
bedeutungsvoll genug und doch glich die Versammlung nichts weniger als einem
ernsten Areopag. Im vorigen Jahrhundertj war das persönliche Erscheinen
der Fürsten auf dem Reichstage längst abgekommen, sie ließen sich durch Ge¬
sandte vertreten.

Friedrich der Große nennt in einer seiner Schriften die Regensburger
Reichstage nur Schattenbilder von dem, was sie ehemals waren und fährt dann
fort: "Es find Versammlungen von Rechtsgelehrten, die mehr auf die Form


Wie oft Kreistage abgehalten werden sollten, lag hauptsächlich in der Hand
der kreisausschreibenden Fürsten. Hatten diese Streitigkeiten untereinander
oder sollten Sachen zur Verhandlung kommen, die ihnen unbequem waren,
dann wurden, um Zeit zu gewinnen, die Kreistage Jahre lang hinausgeschoben.
In anderen Kreisen wieder, wo das Verfassungswesen fast gänzlich darnieder¬
lag, lohnte es sich kaum der Mühe die Stände zu versammeln. So wurden
im niedersächsischen und Obersächsischen Kreise von den Jahren 1682 resp.
1683 bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts gar keine Kreistage abgehalten,
Es mag hierbei als charakteristisches Kennzeichen für die Zustände im heiligen
römischen Reich erwähnt werden, daß jener letzte Obersächsische Kreistag des¬
wegen unverrichteter Sache wieder auseinander gehen mußte, weil der Sachsen-
Gotha'sche Gesandte gegen das herkömmliche Ceremoniell zur ersten Sitzung
mit sechs Pferden gefahren war, ein Vorrecht, das nach alter Observanz nur
den Kurfürstlichen Gesandten zukam. Es entspann sich darüber ein heftiger
Streit und da der Gesandte mit höchster Autorisation seines Herrn rennend
blieb, so entschloß sich das Direktorium den Konvent bis zu anderer Gelegen¬
heit aufzuheben. „Und so gienge man zu eben der Zeit, da die Türken vor
Wien stunden, — um welcher gefährlichen Umstände willen auch der Cräys-
Tag angeordnet worden war, — zum Spott der gantzen Welt auseinander."
So läßt sich ein Zeitgenosse über jenen verunglückten Kreistag vernehmen.
Ans die Befolgung des einmal herkömmlichen Ceremoniels legte man ans den
Kreistagen ein eben solches Gewicht, wie auf den Reichstagen. Jeder Kreis
hatte sein besonderes Kanzlei - Ceremonie! und es ist kaum glaublich, welche
Lappalien Veranlassung zu den heftigsten Streitigkeiten gaben.

Während auf den Kreistagen, wo übrigens sämmtliche Stände, auch die
Grafen und Prälaten, Virilstimmen besaßen, die internen Angelegenheiten der
Kreise zur Verhandlung kamen, sollten auf dem Reichstage zu Regensburg,
dessen Zusammensetzung wir bereits besprachen, die gemeinsamen Interessen des
deutschen Reichs erwogen, über dessen Wohl und Wehe, über Krieg und Frie¬
den entschieden werden. Es war dieser Reichstag das einzige Organ, durch
welches mehrere hundert deutsche Landesherren und Städte ihre konföderativen
Einrichtungen überwachen und weiter entwickeln sollten. Die Aufgabe war
bedeutungsvoll genug und doch glich die Versammlung nichts weniger als einem
ernsten Areopag. Im vorigen Jahrhundertj war das persönliche Erscheinen
der Fürsten auf dem Reichstage längst abgekommen, sie ließen sich durch Ge¬
sandte vertreten.

Friedrich der Große nennt in einer seiner Schriften die Regensburger
Reichstage nur Schattenbilder von dem, was sie ehemals waren und fährt dann
fort: „Es find Versammlungen von Rechtsgelehrten, die mehr auf die Form


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[0329] Wie oft Kreistage abgehalten werden sollten, lag hauptsächlich in der Hand der kreisausschreibenden Fürsten. Hatten diese Streitigkeiten untereinander oder sollten Sachen zur Verhandlung kommen, die ihnen unbequem waren, dann wurden, um Zeit zu gewinnen, die Kreistage Jahre lang hinausgeschoben. In anderen Kreisen wieder, wo das Verfassungswesen fast gänzlich darnieder¬ lag, lohnte es sich kaum der Mühe die Stände zu versammeln. So wurden im niedersächsischen und Obersächsischen Kreise von den Jahren 1682 resp. 1683 bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts gar keine Kreistage abgehalten, Es mag hierbei als charakteristisches Kennzeichen für die Zustände im heiligen römischen Reich erwähnt werden, daß jener letzte Obersächsische Kreistag des¬ wegen unverrichteter Sache wieder auseinander gehen mußte, weil der Sachsen- Gotha'sche Gesandte gegen das herkömmliche Ceremoniell zur ersten Sitzung mit sechs Pferden gefahren war, ein Vorrecht, das nach alter Observanz nur den Kurfürstlichen Gesandten zukam. Es entspann sich darüber ein heftiger Streit und da der Gesandte mit höchster Autorisation seines Herrn rennend blieb, so entschloß sich das Direktorium den Konvent bis zu anderer Gelegen¬ heit aufzuheben. „Und so gienge man zu eben der Zeit, da die Türken vor Wien stunden, — um welcher gefährlichen Umstände willen auch der Cräys- Tag angeordnet worden war, — zum Spott der gantzen Welt auseinander." So läßt sich ein Zeitgenosse über jenen verunglückten Kreistag vernehmen. Ans die Befolgung des einmal herkömmlichen Ceremoniels legte man ans den Kreistagen ein eben solches Gewicht, wie auf den Reichstagen. Jeder Kreis hatte sein besonderes Kanzlei - Ceremonie! und es ist kaum glaublich, welche Lappalien Veranlassung zu den heftigsten Streitigkeiten gaben. Während auf den Kreistagen, wo übrigens sämmtliche Stände, auch die Grafen und Prälaten, Virilstimmen besaßen, die internen Angelegenheiten der Kreise zur Verhandlung kamen, sollten auf dem Reichstage zu Regensburg, dessen Zusammensetzung wir bereits besprachen, die gemeinsamen Interessen des deutschen Reichs erwogen, über dessen Wohl und Wehe, über Krieg und Frie¬ den entschieden werden. Es war dieser Reichstag das einzige Organ, durch welches mehrere hundert deutsche Landesherren und Städte ihre konföderativen Einrichtungen überwachen und weiter entwickeln sollten. Die Aufgabe war bedeutungsvoll genug und doch glich die Versammlung nichts weniger als einem ernsten Areopag. Im vorigen Jahrhundertj war das persönliche Erscheinen der Fürsten auf dem Reichstage längst abgekommen, sie ließen sich durch Ge¬ sandte vertreten. Friedrich der Große nennt in einer seiner Schriften die Regensburger Reichstage nur Schattenbilder von dem, was sie ehemals waren und fährt dann fort: „Es find Versammlungen von Rechtsgelehrten, die mehr auf die Form

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/329>, abgerufen am 27.07.2024.