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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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als auf die Sache selber sehen. Ein Minister, der von seinem Herrn zu jenen
Versammlungen geschickt wird, hat grade so viel zu bedeuten, wie ein Hofhund,
der den Mond anbellt." Betrachtet man die Geschäfte, welche den Reichstag
während des vorigen Jahrhunderts in Anspruch nahmen, so wird man mit
Ekel und Widerwillen erfüllt. Er vertrödelte seine Zeit mit Lappalien, und
lange Streitigkeiten über eitles Ceremonie! füllten die Sitzungen aus. Welche
Gesandte sich bei den Berathungen rother oder grüner Sessel bedienen, auf
einem Teppich oder nur auf dessen Franzen sitzen dürften, in welcher Reihen¬
folge die Einladungen beim Kaiserlichen Prinzipal-Kommissarius zu erfolgen
hätten, wie die Damen der Gesandten bei Tafel zu placiren und die Gesund¬
heiten auszubringen seien, das waren die großen Fragen, welche die Gemüther
aufregten. Recht charakteristisch für die Zeit ist es, daß diese Streitigkeiten
nicht auf den Reichstag beschränkt blieben, sondern daß sich Juristen und
Staatsrechtslehrer ernstlich damit beschäftigten. Ueber einen einzigen dergleichen
Fall kamen noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts nicht weniger als
zehn Staatsschriften ins Publikum*). Bei solcher unausgesetzten ernsten Be¬
handlung von Erbärmlichkeiten mußten schließlich auch die Besseren unter den
Gesandten zu Thoren werden. Kam wirklich einmal ein Reichsschlnß von
einiger Bedeutung zu Stande, so war es längst Reichsherkommen geworden,
die Reichsgesetze entweder gar nicht zu befolgen oder ihre Befolgung doch nur
als einen Akt der Gnade zu betrachten.

Konnte nun bei solcher Verkommenheit und Machtlosigkeit des Reichstages,
des einzigen Organs, um den konföderirten Willen zum Ausdruck zu bringen,
von einer politischen Einheit des deutschen Reichs überhaupt noch die Rede
sein? Alle Zweifel wegen Beantwortung dieser Frage werden schwinden, wenn
wir noch diejenigen Institutionen einer kurzen Betrachtung unterziehen, deren
Gemeinsamkeit einer Konföderation zunächst den staatlichen Charakter ausdrückt:
wir meinen das Justiz-, Finanz- und Militärwesen.

Nur das im Jahre 1495 ins Leben gerufene Reichskammergericht und
der wenige Jahre darauf entstandene Reichshofrath, als die beiden obersten
Gerichtshöfe des deutschen Reichs, deuteten wenigstens auf eine gewisse Ge¬
meinsamkeit im Justizwesen hin, denn im übrigen hatte seit dem westphälischen
Frieden unzweifelhaft jeder Territorialherr das Recht, seine eigene Justizver¬
fassung aufzurichten. Das Reichskammergericht wurde der persönlichen Ein¬
wirkung des Kaisers sast gänzlich entzogen. Er behielt nur das Recht den
Kammerrichter und seinen Stellvertreter nebst einem Beisitzer zu ernennen und
zu den Kammergerichtsvisitationen auch seinerseits Kommissarien zu senden.



*) Das Nähere ist zu ersehen in Fabers Staatscanzley.

als auf die Sache selber sehen. Ein Minister, der von seinem Herrn zu jenen
Versammlungen geschickt wird, hat grade so viel zu bedeuten, wie ein Hofhund,
der den Mond anbellt." Betrachtet man die Geschäfte, welche den Reichstag
während des vorigen Jahrhunderts in Anspruch nahmen, so wird man mit
Ekel und Widerwillen erfüllt. Er vertrödelte seine Zeit mit Lappalien, und
lange Streitigkeiten über eitles Ceremonie! füllten die Sitzungen aus. Welche
Gesandte sich bei den Berathungen rother oder grüner Sessel bedienen, auf
einem Teppich oder nur auf dessen Franzen sitzen dürften, in welcher Reihen¬
folge die Einladungen beim Kaiserlichen Prinzipal-Kommissarius zu erfolgen
hätten, wie die Damen der Gesandten bei Tafel zu placiren und die Gesund¬
heiten auszubringen seien, das waren die großen Fragen, welche die Gemüther
aufregten. Recht charakteristisch für die Zeit ist es, daß diese Streitigkeiten
nicht auf den Reichstag beschränkt blieben, sondern daß sich Juristen und
Staatsrechtslehrer ernstlich damit beschäftigten. Ueber einen einzigen dergleichen
Fall kamen noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts nicht weniger als
zehn Staatsschriften ins Publikum*). Bei solcher unausgesetzten ernsten Be¬
handlung von Erbärmlichkeiten mußten schließlich auch die Besseren unter den
Gesandten zu Thoren werden. Kam wirklich einmal ein Reichsschlnß von
einiger Bedeutung zu Stande, so war es längst Reichsherkommen geworden,
die Reichsgesetze entweder gar nicht zu befolgen oder ihre Befolgung doch nur
als einen Akt der Gnade zu betrachten.

Konnte nun bei solcher Verkommenheit und Machtlosigkeit des Reichstages,
des einzigen Organs, um den konföderirten Willen zum Ausdruck zu bringen,
von einer politischen Einheit des deutschen Reichs überhaupt noch die Rede
sein? Alle Zweifel wegen Beantwortung dieser Frage werden schwinden, wenn
wir noch diejenigen Institutionen einer kurzen Betrachtung unterziehen, deren
Gemeinsamkeit einer Konföderation zunächst den staatlichen Charakter ausdrückt:
wir meinen das Justiz-, Finanz- und Militärwesen.

Nur das im Jahre 1495 ins Leben gerufene Reichskammergericht und
der wenige Jahre darauf entstandene Reichshofrath, als die beiden obersten
Gerichtshöfe des deutschen Reichs, deuteten wenigstens auf eine gewisse Ge¬
meinsamkeit im Justizwesen hin, denn im übrigen hatte seit dem westphälischen
Frieden unzweifelhaft jeder Territorialherr das Recht, seine eigene Justizver¬
fassung aufzurichten. Das Reichskammergericht wurde der persönlichen Ein¬
wirkung des Kaisers sast gänzlich entzogen. Er behielt nur das Recht den
Kammerrichter und seinen Stellvertreter nebst einem Beisitzer zu ernennen und
zu den Kammergerichtsvisitationen auch seinerseits Kommissarien zu senden.



*) Das Nähere ist zu ersehen in Fabers Staatscanzley.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/330>, abgerufen am 27.07.2024.