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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Entschädigung können die Betroffenen nicht erheben, aber wenn das Reich nicht
den Schein eines geradezu räuberischen Verfahrens ans sich laden will, muß
es gebieterische Billigkeitsgründe berücksichtigen. Allein darüber sind Freunde
und Gegner des Monopols einig, daß wenn nicht sein finanzieller Erfolg
gänzlich in Frage gestellt werden solle, von einer Entschädigung höchstens
für die erste jener drei Kategorien und anch sür sie nur in minimalen Grenzen
die Rede sein kann. Wenn Delbrück, der besonnenste Gegner und G. Mayer,
der besonnenste Vertheidiger des Monopols, eine einmalige Abfindung von
durchschnittlich 2400 Mk. auf jede mit den nöthigen Räumen und Vor¬
richtungen für eiuen größeren Betrieb versehene Fabrik rechnen, so karrikirt
diese Bagatelle doch vielmehr den Begriff einer Entschädigung, als daß sie ihn
erfüllt. Die Hausindustrie und der Kleinbetrieb gingen ganz leer ans, diese
radikale Ausrottung eines blühenden Zwerggewerbes zu Gunsten einer Gro߬
industrie im strengsten Sinne des Worts wäre gleichbedeutend mit einer gewalt¬
samen Deklassirung einer erheblichen Bevölkernngsschicht, die einen Ueberschwang
von Groll und Haß gegen das Reich erregen würde und von allen Gesichts¬
punkten einer gesunden Sozialpolitik aus nur die schärfste Verurteilung finden
kann. In einer Reihe von Industrien ist die Entwickelung des Großbetriebes
ebenso unaufhaltsam, wie sie segensreich ist; sie hat nur die dunkle Kehrseite,
daß sie die Aussichten des Hilfsarbeiters auf eine selbständige Existenz ver¬
mindert. In dieser unbestreitbaren Thatsache sprudelt eine Hauptquelle der
sozialdemokratischen Agitation; es giebt gar kein Schlagwort, das sie häufiger
und lieber verwendet, als die düstere Prophezeiung, in absehbarer Zeit müßten
die wirtschaftlichen Zustände der modernen Gesellschaft zu eiuer abgrundtiefen
Scheidung der Nation in zwei tvdfeindliche Lager führen, in eine winzige
Minderheit von Milliardeuren und die zahllos wimmelnden Millionen des
Proletariats. Soll nun der Schatten von Wahrheit in dieser demagogischen
Phrase nicht nur nicht erheblich verstärkt, soll in der That eine Unzahl kleiner,
aber selbständiger Existenzen in die ungleich hoffnungslosere Klassenlage des
Proletariats hinabgeworfen werden? Es wäre geradezu ein selbstmörderischer
Akt, diese Vernichtung einer blühenden und umfangreichen Industrie, die wesent¬
lich im Kleinbetriebe wurzelt und durch ihn zu hoher Prosperität gelangt ist
viel mehr sollten wir darauf Bedacht nehmen, diejenigen Industriezweige zu
fördern und zu Pflegen, welche wie die Tabaksfabrilativn jedem fleißigen und
tüchtigen Arbeiter die begründete Aussicht eröffnen, einmal ans eigenen Füßen
stehen zu können. Schon vor zwanzig Jahren rühmt eine Denkschrift zoll-
vereinsländischer Fabrikanten und Händler in Hannover den Tabakscirbeitern
nach, daß sie sich 1848 mit wenigen Ausnahmen durch Arbeitsamkeit und ruhiges
Verhalten ausgezeichnet haben und erklärt diese Thatsache aus dem Wesen


Grenzbote" II. 1878. S3

Entschädigung können die Betroffenen nicht erheben, aber wenn das Reich nicht
den Schein eines geradezu räuberischen Verfahrens ans sich laden will, muß
es gebieterische Billigkeitsgründe berücksichtigen. Allein darüber sind Freunde
und Gegner des Monopols einig, daß wenn nicht sein finanzieller Erfolg
gänzlich in Frage gestellt werden solle, von einer Entschädigung höchstens
für die erste jener drei Kategorien und anch sür sie nur in minimalen Grenzen
die Rede sein kann. Wenn Delbrück, der besonnenste Gegner und G. Mayer,
der besonnenste Vertheidiger des Monopols, eine einmalige Abfindung von
durchschnittlich 2400 Mk. auf jede mit den nöthigen Räumen und Vor¬
richtungen für eiuen größeren Betrieb versehene Fabrik rechnen, so karrikirt
diese Bagatelle doch vielmehr den Begriff einer Entschädigung, als daß sie ihn
erfüllt. Die Hausindustrie und der Kleinbetrieb gingen ganz leer ans, diese
radikale Ausrottung eines blühenden Zwerggewerbes zu Gunsten einer Gro߬
industrie im strengsten Sinne des Worts wäre gleichbedeutend mit einer gewalt¬
samen Deklassirung einer erheblichen Bevölkernngsschicht, die einen Ueberschwang
von Groll und Haß gegen das Reich erregen würde und von allen Gesichts¬
punkten einer gesunden Sozialpolitik aus nur die schärfste Verurteilung finden
kann. In einer Reihe von Industrien ist die Entwickelung des Großbetriebes
ebenso unaufhaltsam, wie sie segensreich ist; sie hat nur die dunkle Kehrseite,
daß sie die Aussichten des Hilfsarbeiters auf eine selbständige Existenz ver¬
mindert. In dieser unbestreitbaren Thatsache sprudelt eine Hauptquelle der
sozialdemokratischen Agitation; es giebt gar kein Schlagwort, das sie häufiger
und lieber verwendet, als die düstere Prophezeiung, in absehbarer Zeit müßten
die wirtschaftlichen Zustände der modernen Gesellschaft zu eiuer abgrundtiefen
Scheidung der Nation in zwei tvdfeindliche Lager führen, in eine winzige
Minderheit von Milliardeuren und die zahllos wimmelnden Millionen des
Proletariats. Soll nun der Schatten von Wahrheit in dieser demagogischen
Phrase nicht nur nicht erheblich verstärkt, soll in der That eine Unzahl kleiner,
aber selbständiger Existenzen in die ungleich hoffnungslosere Klassenlage des
Proletariats hinabgeworfen werden? Es wäre geradezu ein selbstmörderischer
Akt, diese Vernichtung einer blühenden und umfangreichen Industrie, die wesent¬
lich im Kleinbetriebe wurzelt und durch ihn zu hoher Prosperität gelangt ist
viel mehr sollten wir darauf Bedacht nehmen, diejenigen Industriezweige zu
fördern und zu Pflegen, welche wie die Tabaksfabrilativn jedem fleißigen und
tüchtigen Arbeiter die begründete Aussicht eröffnen, einmal ans eigenen Füßen
stehen zu können. Schon vor zwanzig Jahren rühmt eine Denkschrift zoll-
vereinsländischer Fabrikanten und Händler in Hannover den Tabakscirbeitern
nach, daß sie sich 1848 mit wenigen Ausnahmen durch Arbeitsamkeit und ruhiges
Verhalten ausgezeichnet haben und erklärt diese Thatsache aus dem Wesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/301>, abgerufen am 01.09.2024.