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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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ihres Geschäfts, welches ihnen erleichtere zu einer selbständigen Stellung zu
gelangen. Unter der heutigen Sozialdemokratie sind die Tabaksarbeiter zwar
in nicht unerheblicher Zahl vertreten, aber sie gehören auch zu den Elementen
der Partei, welche mehr die Wege der Trabes-Univns, als des Chartismus
zu wandeln geneigt sind. Schon gleich nach dem Tode Lassalle's gründeten
sie -- nicht wie es später allgemein geschah, aus agitatorischen Rücksichten,
sondern um ihre gewerblichen Fachinteressen zu fördern -- zum höchsten Aerger
der Herren Schweitzer und Hofstetten einen Gewerkverein, der es zu manchen
bemerkenswerthen Erfolgen brachte; in ihrem Organe, dem "Botschafter", ver¬
baten sie sich 1873 den Abdruck irreligiöser Artikel und ihr spezifischer Führer,
Hr. Fritzsche, war von jeher und ist heute noch der maßvollste und handlichste
unter allen Agitatoren der Partei. Solche Symptome wollen beachtet sein.
Indessen damit nicht genug -- auch für diejenigen Tabaksarbeiter, welche heute
schon im Lohnverhältnisse stehen, hätte das Monopol verhängnißvolle Conse-
quenzen. Sie würden freilich die Möglichkeit haben, in den Reichstabaksfa¬
briken Arbeit zu finden, allein nur für einen Theil von ihnen könnte diese
Möglichkeit zur Wirklichkeit werden. Einerseits würde schou die wenigstens
vorläufig eintretende Abnahme der Konsumtion, andererseits die Verminderung
des Exports eine Masse Arbeitskräfte sparen; dazu kommt wieder die Gro߬
produktion der Regie, welche sich nothgedrungen in einige wenige, große
Fabriken konzentriren muß. In Frankreich giebt es ihrer 16 mit zusammen
etwa 16000 Arbeitern; dagegen halte man die 110000 Arbeiter, welche die
deutsche Tabaksindustrie nach der letzten Gewerbezählung beschäftigt. Es ist
ein sehr billiger Rath, zu sagen, die überschüssigen Arbeiter sollten in den son¬
stigen Industrien ein Unterkommen suchen. Abgesehen davon, daß die nächste
Folge dieser drückenden Konkurrenz ein erhebliches Sinken des Arbeitslohnes
sein müßte, so mag der geneigte Leser selbst beurtheilen, mit welchem Erfolge
unter gegenwärtigen Zeitläuften einfache Arbeiter ohne höhere Bildung, die das
einzige Geschäft, welches sie gelernt haben, aufzugeben gezwungen sind,
auf einem andern Unternehmungsgebiet eine gleichen Gewinn bringende
Thätigkeit suchen werden. Es ist ja sachlich ganz gewiß nicht zutreffend, wenn
das Monopol prinzipiell als erster Schritt zum sozialistischen Staate bekämpft
wird, aber völlig unabhängig davon ist die konkrete Frage, ob es bei den deutschen
Verhältnisse" thatsächlich als Prämie auf ein rapides Wachsthum der Sozial-
demokratie wirken würde und diese Frage muß aller menschlichen Voraussicht
nach mit einem entschiedensten Ja beantwortet werden.

So weit endlich der Tabakshandel in Frage käme, so würde die Regie
ja anch Detailverschleißer gebrauchen und hier könnte ein Theil der bisherigen
Kleinhändler mit Tabak unterkommen; in Frankreich erhalten diese Debitanten


ihres Geschäfts, welches ihnen erleichtere zu einer selbständigen Stellung zu
gelangen. Unter der heutigen Sozialdemokratie sind die Tabaksarbeiter zwar
in nicht unerheblicher Zahl vertreten, aber sie gehören auch zu den Elementen
der Partei, welche mehr die Wege der Trabes-Univns, als des Chartismus
zu wandeln geneigt sind. Schon gleich nach dem Tode Lassalle's gründeten
sie — nicht wie es später allgemein geschah, aus agitatorischen Rücksichten,
sondern um ihre gewerblichen Fachinteressen zu fördern — zum höchsten Aerger
der Herren Schweitzer und Hofstetten einen Gewerkverein, der es zu manchen
bemerkenswerthen Erfolgen brachte; in ihrem Organe, dem „Botschafter", ver¬
baten sie sich 1873 den Abdruck irreligiöser Artikel und ihr spezifischer Führer,
Hr. Fritzsche, war von jeher und ist heute noch der maßvollste und handlichste
unter allen Agitatoren der Partei. Solche Symptome wollen beachtet sein.
Indessen damit nicht genug — auch für diejenigen Tabaksarbeiter, welche heute
schon im Lohnverhältnisse stehen, hätte das Monopol verhängnißvolle Conse-
quenzen. Sie würden freilich die Möglichkeit haben, in den Reichstabaksfa¬
briken Arbeit zu finden, allein nur für einen Theil von ihnen könnte diese
Möglichkeit zur Wirklichkeit werden. Einerseits würde schou die wenigstens
vorläufig eintretende Abnahme der Konsumtion, andererseits die Verminderung
des Exports eine Masse Arbeitskräfte sparen; dazu kommt wieder die Gro߬
produktion der Regie, welche sich nothgedrungen in einige wenige, große
Fabriken konzentriren muß. In Frankreich giebt es ihrer 16 mit zusammen
etwa 16000 Arbeitern; dagegen halte man die 110000 Arbeiter, welche die
deutsche Tabaksindustrie nach der letzten Gewerbezählung beschäftigt. Es ist
ein sehr billiger Rath, zu sagen, die überschüssigen Arbeiter sollten in den son¬
stigen Industrien ein Unterkommen suchen. Abgesehen davon, daß die nächste
Folge dieser drückenden Konkurrenz ein erhebliches Sinken des Arbeitslohnes
sein müßte, so mag der geneigte Leser selbst beurtheilen, mit welchem Erfolge
unter gegenwärtigen Zeitläuften einfache Arbeiter ohne höhere Bildung, die das
einzige Geschäft, welches sie gelernt haben, aufzugeben gezwungen sind,
auf einem andern Unternehmungsgebiet eine gleichen Gewinn bringende
Thätigkeit suchen werden. Es ist ja sachlich ganz gewiß nicht zutreffend, wenn
das Monopol prinzipiell als erster Schritt zum sozialistischen Staate bekämpft
wird, aber völlig unabhängig davon ist die konkrete Frage, ob es bei den deutschen
Verhältnisse» thatsächlich als Prämie auf ein rapides Wachsthum der Sozial-
demokratie wirken würde und diese Frage muß aller menschlichen Voraussicht
nach mit einem entschiedensten Ja beantwortet werden.

So weit endlich der Tabakshandel in Frage käme, so würde die Regie
ja anch Detailverschleißer gebrauchen und hier könnte ein Theil der bisherigen
Kleinhändler mit Tabak unterkommen; in Frankreich erhalten diese Debitanten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/302>, abgerufen am 01.09.2024.