Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das man als die Hauptform der europäischen Tabaksbesteuerung betrachten
darf, denn etwa 40 Prozent der Bevölkerung unseres Welttheils leben unter
seinem Walten. Auftauchend schon in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts
hat dies staatliche Regal in sonderbarem Gegensatze zu der Entwicklung staats-
und volkswirtschaftlicher Anschauungen seine Blüthe im neunzehnten Jahr¬
hundert erreicht. Auch wir haben seine Segnungen schon mehrfach gekostet.
Die beiden größten preußischen Regenten haben es zeitweise eingeführt, beide
am Ende ihres Lebens, nachdem ebenso furchtbare wie glorreiche Anstrengungen
die Kräfte ihres armen Landes bis auf den Tod erschöpft hatten und selbst
erleuchtete Aerzte zu verzweifelten Heilmitteln greifen mußten. Der große
Kurfürst hat das Monopol nach elfjährigen Bestände noch kurz vor seinem
Tode selbst aufgehoben; Friedrich der Große hielt es während der letzten
zwanzig Jahre seiner Regierung aufrecht und entfremdete sich durch diese Ma߬
regel mehr, wie durch irgend etwas anderes, die Liebe seiner Unterthanen, so
daß sein unfähiger Nachfolger mit der Aufhebung der Tabaksregie sich sofort
eine immense, freilich nur ephemere Popularität gewann. Röscher urtheilt dar¬
über: "Die Staatsmonopole Friedrich's des Großen sind ein bedauerlicher
Rückfall auf die altabsolutistische Entwicklungsstufe des Regalismus; dieser
Rückfall gehört übrigens nur der letzten fast in jeder Beziehung unerfreulichsten
Periode von Friedrich's Leben an." Ein merkwürdiges Zusammentreffen übri¬
gens; wie nach Fehrbellin, wie nach Leuthen und Roßbach, so taucht das
Tabaksmonopol zum drittenmale in dringlicher und ernsthafter Gestalt nach
Königgrätz und Sedan auf; bis jetzt können wir nur sagen: vostiAa törrorit.
Auch der Hinblick auf die übrigen europäischen Staaten, in denen es besteht,
ist nicht eben ermuthigend; in Oesterreich-Ungarn, Italien, Spanien, Portugal
und Rumänien ist es nur unter dem niederziehenden Drucke einer ungeheuren
Schuldenlast eingeführt worden und seine Erfolge in diesen Ländern spornen
keineswegs zu einer so radikalen Maßregel an; mich das Muster der Liliput-
staaten Lichtenstein und San Marino kann uns schwerlich reizen. Die einzige
Ausnahme bildet Frankreich, das klassische Land des Tabaksmonopols; hier
hat es blendende Lichtseiten entfaltet. Man braucht nur einige Zahlen auf
den Tisch zu werfen, um seine berauschende Wirkung auf alle Finanzkttnstler zu
verstehen. 1874 warf es in Frankreich an Reinertrag 243,854,000, 1875
255,546,000, 1876 262,349,000 Francs ab. Aber man kann nicht scharf
genug betonen, daß wenn die Monopolisten mit diesen freilich gewaltigen
Zahlen alle Einwände der Gegner niederschmettern zu können meinen, sie einen
fundamentalen Unterschied zwischen den Zustünden dies- und jenseits der Vogesen
übersehen. Als Frankreich 1664 zuerst das Monopol einführte, besaß es
Weder eine nennenswerthe Tabaksindustrie noch einen nennenswerthen Tabaks-


das man als die Hauptform der europäischen Tabaksbesteuerung betrachten
darf, denn etwa 40 Prozent der Bevölkerung unseres Welttheils leben unter
seinem Walten. Auftauchend schon in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts
hat dies staatliche Regal in sonderbarem Gegensatze zu der Entwicklung staats-
und volkswirtschaftlicher Anschauungen seine Blüthe im neunzehnten Jahr¬
hundert erreicht. Auch wir haben seine Segnungen schon mehrfach gekostet.
Die beiden größten preußischen Regenten haben es zeitweise eingeführt, beide
am Ende ihres Lebens, nachdem ebenso furchtbare wie glorreiche Anstrengungen
die Kräfte ihres armen Landes bis auf den Tod erschöpft hatten und selbst
erleuchtete Aerzte zu verzweifelten Heilmitteln greifen mußten. Der große
Kurfürst hat das Monopol nach elfjährigen Bestände noch kurz vor seinem
Tode selbst aufgehoben; Friedrich der Große hielt es während der letzten
zwanzig Jahre seiner Regierung aufrecht und entfremdete sich durch diese Ma߬
regel mehr, wie durch irgend etwas anderes, die Liebe seiner Unterthanen, so
daß sein unfähiger Nachfolger mit der Aufhebung der Tabaksregie sich sofort
eine immense, freilich nur ephemere Popularität gewann. Röscher urtheilt dar¬
über: „Die Staatsmonopole Friedrich's des Großen sind ein bedauerlicher
Rückfall auf die altabsolutistische Entwicklungsstufe des Regalismus; dieser
Rückfall gehört übrigens nur der letzten fast in jeder Beziehung unerfreulichsten
Periode von Friedrich's Leben an." Ein merkwürdiges Zusammentreffen übri¬
gens; wie nach Fehrbellin, wie nach Leuthen und Roßbach, so taucht das
Tabaksmonopol zum drittenmale in dringlicher und ernsthafter Gestalt nach
Königgrätz und Sedan auf; bis jetzt können wir nur sagen: vostiAa törrorit.
Auch der Hinblick auf die übrigen europäischen Staaten, in denen es besteht,
ist nicht eben ermuthigend; in Oesterreich-Ungarn, Italien, Spanien, Portugal
und Rumänien ist es nur unter dem niederziehenden Drucke einer ungeheuren
Schuldenlast eingeführt worden und seine Erfolge in diesen Ländern spornen
keineswegs zu einer so radikalen Maßregel an; mich das Muster der Liliput-
staaten Lichtenstein und San Marino kann uns schwerlich reizen. Die einzige
Ausnahme bildet Frankreich, das klassische Land des Tabaksmonopols; hier
hat es blendende Lichtseiten entfaltet. Man braucht nur einige Zahlen auf
den Tisch zu werfen, um seine berauschende Wirkung auf alle Finanzkttnstler zu
verstehen. 1874 warf es in Frankreich an Reinertrag 243,854,000, 1875
255,546,000, 1876 262,349,000 Francs ab. Aber man kann nicht scharf
genug betonen, daß wenn die Monopolisten mit diesen freilich gewaltigen
Zahlen alle Einwände der Gegner niederschmettern zu können meinen, sie einen
fundamentalen Unterschied zwischen den Zustünden dies- und jenseits der Vogesen
übersehen. Als Frankreich 1664 zuerst das Monopol einführte, besaß es
Weder eine nennenswerthe Tabaksindustrie noch einen nennenswerthen Tabaks-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0297" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140118"/>
          <p xml:id="ID_887" prev="#ID_886" next="#ID_888"> das man als die Hauptform der europäischen Tabaksbesteuerung betrachten<lb/>
darf, denn etwa 40 Prozent der Bevölkerung unseres Welttheils leben unter<lb/>
seinem Walten. Auftauchend schon in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts<lb/>
hat dies staatliche Regal in sonderbarem Gegensatze zu der Entwicklung staats-<lb/>
und volkswirtschaftlicher Anschauungen seine Blüthe im neunzehnten Jahr¬<lb/>
hundert erreicht. Auch wir haben seine Segnungen schon mehrfach gekostet.<lb/>
Die beiden größten preußischen Regenten haben es zeitweise eingeführt, beide<lb/>
am Ende ihres Lebens, nachdem ebenso furchtbare wie glorreiche Anstrengungen<lb/>
die Kräfte ihres armen Landes bis auf den Tod erschöpft hatten und selbst<lb/>
erleuchtete Aerzte zu verzweifelten Heilmitteln greifen mußten. Der große<lb/>
Kurfürst hat das Monopol nach elfjährigen Bestände noch kurz vor seinem<lb/>
Tode selbst aufgehoben; Friedrich der Große hielt es während der letzten<lb/>
zwanzig Jahre seiner Regierung aufrecht und entfremdete sich durch diese Ma߬<lb/>
regel mehr, wie durch irgend etwas anderes, die Liebe seiner Unterthanen, so<lb/>
daß sein unfähiger Nachfolger mit der Aufhebung der Tabaksregie sich sofort<lb/>
eine immense, freilich nur ephemere Popularität gewann. Röscher urtheilt dar¬<lb/>
über: &#x201E;Die Staatsmonopole Friedrich's des Großen sind ein bedauerlicher<lb/>
Rückfall auf die altabsolutistische Entwicklungsstufe des Regalismus; dieser<lb/>
Rückfall gehört übrigens nur der letzten fast in jeder Beziehung unerfreulichsten<lb/>
Periode von Friedrich's Leben an." Ein merkwürdiges Zusammentreffen übri¬<lb/>
gens; wie nach Fehrbellin, wie nach Leuthen und Roßbach, so taucht das<lb/>
Tabaksmonopol zum drittenmale in dringlicher und ernsthafter Gestalt nach<lb/>
Königgrätz und Sedan auf; bis jetzt können wir nur sagen: vostiAa törrorit.<lb/>
Auch der Hinblick auf die übrigen europäischen Staaten, in denen es besteht,<lb/>
ist nicht eben ermuthigend; in Oesterreich-Ungarn, Italien, Spanien, Portugal<lb/>
und Rumänien ist es nur unter dem niederziehenden Drucke einer ungeheuren<lb/>
Schuldenlast eingeführt worden und seine Erfolge in diesen Ländern spornen<lb/>
keineswegs zu einer so radikalen Maßregel an; mich das Muster der Liliput-<lb/>
staaten Lichtenstein und San Marino kann uns schwerlich reizen. Die einzige<lb/>
Ausnahme bildet Frankreich, das klassische Land des Tabaksmonopols; hier<lb/>
hat es blendende Lichtseiten entfaltet. Man braucht nur einige Zahlen auf<lb/>
den Tisch zu werfen, um seine berauschende Wirkung auf alle Finanzkttnstler zu<lb/>
verstehen. 1874 warf es in Frankreich an Reinertrag 243,854,000, 1875<lb/>
255,546,000, 1876 262,349,000 Francs ab. Aber man kann nicht scharf<lb/>
genug betonen, daß wenn die Monopolisten mit diesen freilich gewaltigen<lb/>
Zahlen alle Einwände der Gegner niederschmettern zu können meinen, sie einen<lb/>
fundamentalen Unterschied zwischen den Zustünden dies- und jenseits der Vogesen<lb/>
übersehen. Als Frankreich 1664 zuerst das Monopol einführte, besaß es<lb/>
Weder eine nennenswerthe Tabaksindustrie noch einen nennenswerthen Tabaks-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0297] das man als die Hauptform der europäischen Tabaksbesteuerung betrachten darf, denn etwa 40 Prozent der Bevölkerung unseres Welttheils leben unter seinem Walten. Auftauchend schon in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts hat dies staatliche Regal in sonderbarem Gegensatze zu der Entwicklung staats- und volkswirtschaftlicher Anschauungen seine Blüthe im neunzehnten Jahr¬ hundert erreicht. Auch wir haben seine Segnungen schon mehrfach gekostet. Die beiden größten preußischen Regenten haben es zeitweise eingeführt, beide am Ende ihres Lebens, nachdem ebenso furchtbare wie glorreiche Anstrengungen die Kräfte ihres armen Landes bis auf den Tod erschöpft hatten und selbst erleuchtete Aerzte zu verzweifelten Heilmitteln greifen mußten. Der große Kurfürst hat das Monopol nach elfjährigen Bestände noch kurz vor seinem Tode selbst aufgehoben; Friedrich der Große hielt es während der letzten zwanzig Jahre seiner Regierung aufrecht und entfremdete sich durch diese Ma߬ regel mehr, wie durch irgend etwas anderes, die Liebe seiner Unterthanen, so daß sein unfähiger Nachfolger mit der Aufhebung der Tabaksregie sich sofort eine immense, freilich nur ephemere Popularität gewann. Röscher urtheilt dar¬ über: „Die Staatsmonopole Friedrich's des Großen sind ein bedauerlicher Rückfall auf die altabsolutistische Entwicklungsstufe des Regalismus; dieser Rückfall gehört übrigens nur der letzten fast in jeder Beziehung unerfreulichsten Periode von Friedrich's Leben an." Ein merkwürdiges Zusammentreffen übri¬ gens; wie nach Fehrbellin, wie nach Leuthen und Roßbach, so taucht das Tabaksmonopol zum drittenmale in dringlicher und ernsthafter Gestalt nach Königgrätz und Sedan auf; bis jetzt können wir nur sagen: vostiAa törrorit. Auch der Hinblick auf die übrigen europäischen Staaten, in denen es besteht, ist nicht eben ermuthigend; in Oesterreich-Ungarn, Italien, Spanien, Portugal und Rumänien ist es nur unter dem niederziehenden Drucke einer ungeheuren Schuldenlast eingeführt worden und seine Erfolge in diesen Ländern spornen keineswegs zu einer so radikalen Maßregel an; mich das Muster der Liliput- staaten Lichtenstein und San Marino kann uns schwerlich reizen. Die einzige Ausnahme bildet Frankreich, das klassische Land des Tabaksmonopols; hier hat es blendende Lichtseiten entfaltet. Man braucht nur einige Zahlen auf den Tisch zu werfen, um seine berauschende Wirkung auf alle Finanzkttnstler zu verstehen. 1874 warf es in Frankreich an Reinertrag 243,854,000, 1875 255,546,000, 1876 262,349,000 Francs ab. Aber man kann nicht scharf genug betonen, daß wenn die Monopolisten mit diesen freilich gewaltigen Zahlen alle Einwände der Gegner niederschmettern zu können meinen, sie einen fundamentalen Unterschied zwischen den Zustünden dies- und jenseits der Vogesen übersehen. Als Frankreich 1664 zuerst das Monopol einführte, besaß es Weder eine nennenswerthe Tabaksindustrie noch einen nennenswerthen Tabaks-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/297
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/297>, abgerufen am 27.07.2024.