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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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zunächst sind diese elegant ausgestatteten zwei Bände weit besser und lnhalt
reicher als ihr bizarrer Titel verräth. Man könnte nämlich nach dein Titel
annehmen, diese Arbeit sei nur eine tendenziöse Gegenschrift, ein Werk der
"Gegenrevauche" wider das berufene Pamphlet des französischen Schweizers
Herrn Tissot, die "Reise im Milliardenlande". Leider hat der Verfasser dem
Zauber dieses geschmackvollen Titels nicht widerstehen können. Aber er selbst
weist die Tendenz zurück, die man darunter suchen könnte. "Da er sowohl Frank¬
reich als auch Deutschland aus eigener, mehrjähriger, gewissenhafter Beobachtung
kennt, da er speziell in Paris als Arzt seit fast drei Jahren in der Intimität
zahlreicher Franzosen lebt, hat er angesichts der Ungerechtigkeiten des Tissot'-
schen Buches, die um so odioser sind, als Herr Tissot, der Schweizer, nicht die
Entschuldigung patriotischen Grolls für seine Feindseligkeit hat, und angesichts
der stereotypen Lobhudeleien, zu denen sich seit Jahrhunderten jeder Schilderer
von Paris verpflichtet glaubt, dem vom simpelste:? Gerechtigkeitsgefühle einge¬
gebenen Drange nicht widerstehen können---- Der Verfasser war bemüht,
ebenso objektiv und unparteiisch zu bleiben, als Herr Tissot voreingenommen
und gehässig war, und hofft, daß sein Buch nicht verbitternd, sondern aussöhnend
wirken werde."

Diese Hoffnung ist gewiß berechtigt, wenn sie anch für denjenigen, der vom
unparteiischen Beobachter nur die Ergebnisse seiner Studien verlangt, schon zu
vielversprechend ist. Mehr aber, als daß er sirnz 3tcräic> (d. h. ohne Tendenz)
und Lins Ira beobachtet habe, will im Gründe der Verfasser auch nicht sagen.
Und sein Werk beweist das. Freilich werden, andere Mängel desselben dem
deutschen Leser kaum entgehen, den Eindruck eines vollendet harmonischen Ge¬
nusses trüben. Wir stellen den Tadel, den wir aussprechen müssen, an die
Spitze, weil er in unsern Augen die guten Seiten des Werkes nicht überwiegt,
und um uus im Folgenden vorzugsweise mit dies eil beschäftigen zu können.
Tadelnswerth finden wir vor allen Dingen Stil und Sprache. Freilich ein
"deutschschreibeuder Ungar" hat das Buch verfaßt. Aber schmerzlich genug be¬
rührt uns trotzdem alle Augenblicke die harte Behandlung unsrer Sprache.
Schon das k. k. österreichische Schriftdeutsch wird uns Deutschen draußen im
Reich recht sauer. Aber vollends dieses transleithanische Deutsch der Stephans¬
krone ist stellenweise kaum zu ertragen. Zahllose Beispiele könnten ans diesem
Buche gegeben werden, in denen Wort- und Satzbildung absolut falsch ist,
eoutrv I" A<ziüö as 1^ lanZus wie der Franzose in solchen Füllen vernichtend
urtheilt. Wenn das Werk, wie wir ihm aufrichtig wünschen, mehrfache Auflage
erlebt, muß es die erste Sorge des Verfassers und der Verleger sein, in dieser
Hinsicht Wandel zu schaffen. Man mag sich hier ja nicht auf das abgestumpfte
Sprachgefühl der großen Masse berufen, die mit ihrer täglichen Zeitungslektüre


Grenzboten II. 1878. 33

zunächst sind diese elegant ausgestatteten zwei Bände weit besser und lnhalt
reicher als ihr bizarrer Titel verräth. Man könnte nämlich nach dein Titel
annehmen, diese Arbeit sei nur eine tendenziöse Gegenschrift, ein Werk der
„Gegenrevauche" wider das berufene Pamphlet des französischen Schweizers
Herrn Tissot, die „Reise im Milliardenlande". Leider hat der Verfasser dem
Zauber dieses geschmackvollen Titels nicht widerstehen können. Aber er selbst
weist die Tendenz zurück, die man darunter suchen könnte. „Da er sowohl Frank¬
reich als auch Deutschland aus eigener, mehrjähriger, gewissenhafter Beobachtung
kennt, da er speziell in Paris als Arzt seit fast drei Jahren in der Intimität
zahlreicher Franzosen lebt, hat er angesichts der Ungerechtigkeiten des Tissot'-
schen Buches, die um so odioser sind, als Herr Tissot, der Schweizer, nicht die
Entschuldigung patriotischen Grolls für seine Feindseligkeit hat, und angesichts
der stereotypen Lobhudeleien, zu denen sich seit Jahrhunderten jeder Schilderer
von Paris verpflichtet glaubt, dem vom simpelste:? Gerechtigkeitsgefühle einge¬
gebenen Drange nicht widerstehen können---- Der Verfasser war bemüht,
ebenso objektiv und unparteiisch zu bleiben, als Herr Tissot voreingenommen
und gehässig war, und hofft, daß sein Buch nicht verbitternd, sondern aussöhnend
wirken werde."

Diese Hoffnung ist gewiß berechtigt, wenn sie anch für denjenigen, der vom
unparteiischen Beobachter nur die Ergebnisse seiner Studien verlangt, schon zu
vielversprechend ist. Mehr aber, als daß er sirnz 3tcräic> (d. h. ohne Tendenz)
und Lins Ira beobachtet habe, will im Gründe der Verfasser auch nicht sagen.
Und sein Werk beweist das. Freilich werden, andere Mängel desselben dem
deutschen Leser kaum entgehen, den Eindruck eines vollendet harmonischen Ge¬
nusses trüben. Wir stellen den Tadel, den wir aussprechen müssen, an die
Spitze, weil er in unsern Augen die guten Seiten des Werkes nicht überwiegt,
und um uus im Folgenden vorzugsweise mit dies eil beschäftigen zu können.
Tadelnswerth finden wir vor allen Dingen Stil und Sprache. Freilich ein
„deutschschreibeuder Ungar" hat das Buch verfaßt. Aber schmerzlich genug be¬
rührt uns trotzdem alle Augenblicke die harte Behandlung unsrer Sprache.
Schon das k. k. österreichische Schriftdeutsch wird uns Deutschen draußen im
Reich recht sauer. Aber vollends dieses transleithanische Deutsch der Stephans¬
krone ist stellenweise kaum zu ertragen. Zahllose Beispiele könnten ans diesem
Buche gegeben werden, in denen Wort- und Satzbildung absolut falsch ist,
eoutrv I« A<ziüö as 1^ lanZus wie der Franzose in solchen Füllen vernichtend
urtheilt. Wenn das Werk, wie wir ihm aufrichtig wünschen, mehrfache Auflage
erlebt, muß es die erste Sorge des Verfassers und der Verleger sein, in dieser
Hinsicht Wandel zu schaffen. Man mag sich hier ja nicht auf das abgestumpfte
Sprachgefühl der großen Masse berufen, die mit ihrer täglichen Zeitungslektüre


Grenzboten II. 1878. 33
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/261>, abgerufen am 06.10.2024.