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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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seines vertraulichen Briefes an Pius IX, ausmacht, erst am Ende unserer
Besprechung kommen, so geschieht es, weil in dem Buche aus leichtbegreiflichen
Gründen dasselbe nur obenhin berührt wird, und weil durch das Vorausge¬
schickte die wahre Bedeutung und Absicht der Vorschläge besser in's Licht gesetzt
wird. Sie sind von der Art, daß sie eben nur dem Gehirn eines Jesuiten
und eines absoluten Gegners und Verkenners aller modernen Entwickelung
entspringen konnten und von vornherein zur Nichtigkeit verurtheilt sind, --
Man höre: Um dem Oberhaupte der Kirche eine wahre Unabhängigkeit, die
nach dem Verschwinden der kleinen Staaten in Italien und nach den allge¬
meinen modernen Eutwickelnngsprinzipien der Nationen nur auf eine bestimmte
Nationalität gestützt werden kann, zu sichern, ist ein Konkordat mit Italien
nöthig. Dies muß drei Hauptpunkte begreifen: Erstens "Allerkennung des
Königs und seiner Dynastie, unter der Bedingung, daß sie christlich
regieren. Zweitens "die Anerkennung des Statut's Carl Alberts, in welchem
jedoch der Artikel Eins") nicht blos eine Realität werden, son¬
dern auch die Norm sein müßte, nach welcher das Uebrige interpretirt und
angewendet und nötigenfalls auch modifizirt wird. Drittens "müßte
über ein so konstituirtes Italien dem Papste eine Souveränetät zustehen, welche
seine volle Unabhängigkeit sicherte, aber eine nicht illusorische, wie die des Garantie¬
gesetzes, sondern vielmehr eine wahre, durchaus reale, wiewohl erhabene,
sehr umfassende und vorzugsweise moralische." -- Die Beschaffenheit der
letzteren in der Praxis müßte natürlich noch studirt und genau präzisirt
werden; doch lassen sich auch für sie schon drei Hauptelemente festsetzen: Bei¬
behaltung des Königs, dem die Autorität als von Gott, nicht vom Volke
gegeben beigelegt wird; Mittel zur wirksamen und gesetzlichen Verhinderung
der der Religion und Moral zuwiderlaufendeu Gesetze; Einrichtung der Ver¬
hältnisse Roms in der Art, daß der Papst dort in würdiger Weise residiren
kann, als Souverän nicht blos von Rom, sondern von Italien.

Erstaunt fragt man, ob solche ungeheuerliche Zumuthungen an eine moderne
Nation ernsthaft gemeint sein können. Sie sind es, und der, welcher sie auf¬
stellt, erklärt fest von ihrer Durchführbarkeit und Heilsamkeit überzeugt zu sein,
so daß man nur noch über die Kluft erstaunen kann, welche das jesuitische
Denken vou dem der modernen Menschheit trennt. Der Pater Curci selbst
hat eine Ahnung von dieser Kluft, und er beeilt sich deshalb, bevor er fort¬
fährt, ein Argument in's Feld zu führen, welches er in seiner Thätigkeit oft
erprobt haben mag: die Furcht vor dem Teufel. Nicht die Kirche ist es, ruft



*) Derselbe besagt, daß die katholische apostolische Religion Staatsreligion und die
anderen Kulte nur geduldet seien.

seines vertraulichen Briefes an Pius IX, ausmacht, erst am Ende unserer
Besprechung kommen, so geschieht es, weil in dem Buche aus leichtbegreiflichen
Gründen dasselbe nur obenhin berührt wird, und weil durch das Vorausge¬
schickte die wahre Bedeutung und Absicht der Vorschläge besser in's Licht gesetzt
wird. Sie sind von der Art, daß sie eben nur dem Gehirn eines Jesuiten
und eines absoluten Gegners und Verkenners aller modernen Entwickelung
entspringen konnten und von vornherein zur Nichtigkeit verurtheilt sind, —
Man höre: Um dem Oberhaupte der Kirche eine wahre Unabhängigkeit, die
nach dem Verschwinden der kleinen Staaten in Italien und nach den allge¬
meinen modernen Eutwickelnngsprinzipien der Nationen nur auf eine bestimmte
Nationalität gestützt werden kann, zu sichern, ist ein Konkordat mit Italien
nöthig. Dies muß drei Hauptpunkte begreifen: Erstens „Allerkennung des
Königs und seiner Dynastie, unter der Bedingung, daß sie christlich
regieren. Zweitens „die Anerkennung des Statut's Carl Alberts, in welchem
jedoch der Artikel Eins") nicht blos eine Realität werden, son¬
dern auch die Norm sein müßte, nach welcher das Uebrige interpretirt und
angewendet und nötigenfalls auch modifizirt wird. Drittens „müßte
über ein so konstituirtes Italien dem Papste eine Souveränetät zustehen, welche
seine volle Unabhängigkeit sicherte, aber eine nicht illusorische, wie die des Garantie¬
gesetzes, sondern vielmehr eine wahre, durchaus reale, wiewohl erhabene,
sehr umfassende und vorzugsweise moralische." — Die Beschaffenheit der
letzteren in der Praxis müßte natürlich noch studirt und genau präzisirt
werden; doch lassen sich auch für sie schon drei Hauptelemente festsetzen: Bei¬
behaltung des Königs, dem die Autorität als von Gott, nicht vom Volke
gegeben beigelegt wird; Mittel zur wirksamen und gesetzlichen Verhinderung
der der Religion und Moral zuwiderlaufendeu Gesetze; Einrichtung der Ver¬
hältnisse Roms in der Art, daß der Papst dort in würdiger Weise residiren
kann, als Souverän nicht blos von Rom, sondern von Italien.

Erstaunt fragt man, ob solche ungeheuerliche Zumuthungen an eine moderne
Nation ernsthaft gemeint sein können. Sie sind es, und der, welcher sie auf¬
stellt, erklärt fest von ihrer Durchführbarkeit und Heilsamkeit überzeugt zu sein,
so daß man nur noch über die Kluft erstaunen kann, welche das jesuitische
Denken vou dem der modernen Menschheit trennt. Der Pater Curci selbst
hat eine Ahnung von dieser Kluft, und er beeilt sich deshalb, bevor er fort¬
fährt, ein Argument in's Feld zu führen, welches er in seiner Thätigkeit oft
erprobt haben mag: die Furcht vor dem Teufel. Nicht die Kirche ist es, ruft



*) Derselbe besagt, daß die katholische apostolische Religion Staatsreligion und die
anderen Kulte nur geduldet seien.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/254>, abgerufen am 27.07.2024.