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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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mus (!) gehandelt haben, daß die modernen Liberalen, wenn sie ihn kannten,
sich davor bekreuzigen würden." Was die Kirche bekämpft, ist der falsche
moderne Liberalismus, der lächerlicherweise das Volk für die Quelle der Staats¬
hoheit erklärt. "Wer dem entgegen ist und Verstand und einen Weg hat es
zu bessern, der thue es muthig und wirksam, und er wird sich um das moderne
Europa wohl verdient machen, das heutzutage bis zum Bosporus durch diesen
Grundsatz regiert wird. "Denn es muß wahrlich auch der Blinde sehen, welch
unsinniges System der hente geübte Konstitutionalismus ist. Der König ver¬
mag fast gar nichts; der Senat (oder das Oberhaus) sehr wenig; das Mini¬
sterium ist (wenigstens in Italien und England) eine Emanation der Kammer¬
majorität, in welcher letzteren also sowohl die gesetzgebende als die ausführende
Gewalt konzentrirt ist. "Wenn nun diese noch durch jene Enormität,
welche Volkssouveränetät heißt, sintemal das Volk die einzige Quelle
uicht nur der Gesetze, sondern auch der Gerechtigkeitspflege sei, gestärkt wird,
so kann sie zum Werkzeug einer fürchterlichen Tyrannei werden, durch welche
ein Volk ungestraft gemordet wird im Namen und gleichsam im Auftrage des
Volkes selbst, welches man mordet." Das kann, meint Curei, sehr leicht vor¬
kommen, wenn die Regierenden unverständig sind, und dann (hier vergißt er,
daß das Volk sich selbst regiert) sollte das Volk das nicht dulden. "Ist ein
Volk zu diesem Punkte gebracht, von welchem alle seine öffentlichen und ein
großer Theil der Privatinteressen abhängen: die Religion, die Moral, die
Gerechtigkeit, die Familie, die bürgerliche Ruhe im Innern, der Frieden nach
außen, vor allem der Geldbeutel -- und was hängt heilte nicht von den Regie¬
rungen ab bei der Allmacht, die sie sich anmaßen? -- dann, scheint es, müßte
das Volk in solchem Falle sich erheben wie ein Mann (!) um alle seine Kraft
anzuwenden, damit jene große Wahlfrage gelöst werde, gemäß seinem größeren
Interesse in dieser Welt und indirekt auch in der andern."

Der Pater Curei verzichtet darauf, daß sein Wunsch einer Volkserhebung
sür Wiederherstellung der Priesterherrschaft in Erfüllung gehe; denn "so müßte
es zwar fein, wenn die Männer Alle Männer wären; aber das sind sie nicht,
weil der größte Theil Kinder und Halbweiber sind." Die Kirche muß also auf
eine andere Weise zum Ziel zu kommen suchen und zwar am besten mit den
von Curei vorgeschlagenen Mitteln, welche zunächst dazu dienen sollen die
feindseligen Elemente aus dem Wege zu schaffen. Nachdem man gehört hat,
daß zu den feindseligen, ganz unversöhnlichen Elementen nicht weniger als alle
Minister, Volksvertreter und liberalen Wähler gehören, möchte es Manchem
etwas schwierig erscheinen, diese sämmtlich kurzweg "zur Thür hinauszuschicken."
Für den Pater Curei ist die Sache einfach genug, und er glaubt ein unfehl¬
bares Mittel dazu zu besetzen. -- Wenn nur ans dieses Mittel, das den Kern


Grenzboten II. 1378. 22

mus (!) gehandelt haben, daß die modernen Liberalen, wenn sie ihn kannten,
sich davor bekreuzigen würden." Was die Kirche bekämpft, ist der falsche
moderne Liberalismus, der lächerlicherweise das Volk für die Quelle der Staats¬
hoheit erklärt. „Wer dem entgegen ist und Verstand und einen Weg hat es
zu bessern, der thue es muthig und wirksam, und er wird sich um das moderne
Europa wohl verdient machen, das heutzutage bis zum Bosporus durch diesen
Grundsatz regiert wird. „Denn es muß wahrlich auch der Blinde sehen, welch
unsinniges System der hente geübte Konstitutionalismus ist. Der König ver¬
mag fast gar nichts; der Senat (oder das Oberhaus) sehr wenig; das Mini¬
sterium ist (wenigstens in Italien und England) eine Emanation der Kammer¬
majorität, in welcher letzteren also sowohl die gesetzgebende als die ausführende
Gewalt konzentrirt ist. „Wenn nun diese noch durch jene Enormität,
welche Volkssouveränetät heißt, sintemal das Volk die einzige Quelle
uicht nur der Gesetze, sondern auch der Gerechtigkeitspflege sei, gestärkt wird,
so kann sie zum Werkzeug einer fürchterlichen Tyrannei werden, durch welche
ein Volk ungestraft gemordet wird im Namen und gleichsam im Auftrage des
Volkes selbst, welches man mordet." Das kann, meint Curei, sehr leicht vor¬
kommen, wenn die Regierenden unverständig sind, und dann (hier vergißt er,
daß das Volk sich selbst regiert) sollte das Volk das nicht dulden. „Ist ein
Volk zu diesem Punkte gebracht, von welchem alle seine öffentlichen und ein
großer Theil der Privatinteressen abhängen: die Religion, die Moral, die
Gerechtigkeit, die Familie, die bürgerliche Ruhe im Innern, der Frieden nach
außen, vor allem der Geldbeutel — und was hängt heilte nicht von den Regie¬
rungen ab bei der Allmacht, die sie sich anmaßen? — dann, scheint es, müßte
das Volk in solchem Falle sich erheben wie ein Mann (!) um alle seine Kraft
anzuwenden, damit jene große Wahlfrage gelöst werde, gemäß seinem größeren
Interesse in dieser Welt und indirekt auch in der andern."

Der Pater Curei verzichtet darauf, daß sein Wunsch einer Volkserhebung
sür Wiederherstellung der Priesterherrschaft in Erfüllung gehe; denn „so müßte
es zwar fein, wenn die Männer Alle Männer wären; aber das sind sie nicht,
weil der größte Theil Kinder und Halbweiber sind." Die Kirche muß also auf
eine andere Weise zum Ziel zu kommen suchen und zwar am besten mit den
von Curei vorgeschlagenen Mitteln, welche zunächst dazu dienen sollen die
feindseligen Elemente aus dem Wege zu schaffen. Nachdem man gehört hat,
daß zu den feindseligen, ganz unversöhnlichen Elementen nicht weniger als alle
Minister, Volksvertreter und liberalen Wähler gehören, möchte es Manchem
etwas schwierig erscheinen, diese sämmtlich kurzweg „zur Thür hinauszuschicken."
Für den Pater Curei ist die Sache einfach genug, und er glaubt ein unfehl¬
bares Mittel dazu zu besetzen. — Wenn nur ans dieses Mittel, das den Kern


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[0253] mus (!) gehandelt haben, daß die modernen Liberalen, wenn sie ihn kannten, sich davor bekreuzigen würden." Was die Kirche bekämpft, ist der falsche moderne Liberalismus, der lächerlicherweise das Volk für die Quelle der Staats¬ hoheit erklärt. „Wer dem entgegen ist und Verstand und einen Weg hat es zu bessern, der thue es muthig und wirksam, und er wird sich um das moderne Europa wohl verdient machen, das heutzutage bis zum Bosporus durch diesen Grundsatz regiert wird. „Denn es muß wahrlich auch der Blinde sehen, welch unsinniges System der hente geübte Konstitutionalismus ist. Der König ver¬ mag fast gar nichts; der Senat (oder das Oberhaus) sehr wenig; das Mini¬ sterium ist (wenigstens in Italien und England) eine Emanation der Kammer¬ majorität, in welcher letzteren also sowohl die gesetzgebende als die ausführende Gewalt konzentrirt ist. „Wenn nun diese noch durch jene Enormität, welche Volkssouveränetät heißt, sintemal das Volk die einzige Quelle uicht nur der Gesetze, sondern auch der Gerechtigkeitspflege sei, gestärkt wird, so kann sie zum Werkzeug einer fürchterlichen Tyrannei werden, durch welche ein Volk ungestraft gemordet wird im Namen und gleichsam im Auftrage des Volkes selbst, welches man mordet." Das kann, meint Curei, sehr leicht vor¬ kommen, wenn die Regierenden unverständig sind, und dann (hier vergißt er, daß das Volk sich selbst regiert) sollte das Volk das nicht dulden. „Ist ein Volk zu diesem Punkte gebracht, von welchem alle seine öffentlichen und ein großer Theil der Privatinteressen abhängen: die Religion, die Moral, die Gerechtigkeit, die Familie, die bürgerliche Ruhe im Innern, der Frieden nach außen, vor allem der Geldbeutel — und was hängt heilte nicht von den Regie¬ rungen ab bei der Allmacht, die sie sich anmaßen? — dann, scheint es, müßte das Volk in solchem Falle sich erheben wie ein Mann (!) um alle seine Kraft anzuwenden, damit jene große Wahlfrage gelöst werde, gemäß seinem größeren Interesse in dieser Welt und indirekt auch in der andern." Der Pater Curei verzichtet darauf, daß sein Wunsch einer Volkserhebung sür Wiederherstellung der Priesterherrschaft in Erfüllung gehe; denn „so müßte es zwar fein, wenn die Männer Alle Männer wären; aber das sind sie nicht, weil der größte Theil Kinder und Halbweiber sind." Die Kirche muß also auf eine andere Weise zum Ziel zu kommen suchen und zwar am besten mit den von Curei vorgeschlagenen Mitteln, welche zunächst dazu dienen sollen die feindseligen Elemente aus dem Wege zu schaffen. Nachdem man gehört hat, daß zu den feindseligen, ganz unversöhnlichen Elementen nicht weniger als alle Minister, Volksvertreter und liberalen Wähler gehören, möchte es Manchem etwas schwierig erscheinen, diese sämmtlich kurzweg „zur Thür hinauszuschicken." Für den Pater Curei ist die Sache einfach genug, und er glaubt ein unfehl¬ bares Mittel dazu zu besetzen. — Wenn nur ans dieses Mittel, das den Kern Grenzboten II. 1378. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/253>, abgerufen am 27.07.2024.