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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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daher auch alle Einrichtungen der Gesellschaft gerichtet sein, und letztere sind
falsch und verwerflich, wenn dies nicht der Fall ist. -- Die Entscheidung dar¬
über kann natürlich uur bei der Kirche, der Depositaren der göttlichen Offen¬
barung und Dolmetscherin des heiligen Geistes, sein. Die Kirche erkennt die
verschiedenen Staatsformen, Verfassungen, Gesetze und Zustände an, soweit sie
ihr jenen hohen Zwecken zu entsprechen scheinen, und es giebt nichts im ganzen
Umfang des menschlichen Lebens, was nicht unter ihren Richterspruch fiele.
Sie beschränkt sich also auch keineswegs auf das sogenannte geistliche Gebiet,
sondern beaufsichtigt Alles, entscheidet Alles, beherrscht Alles.

Mehr soll sie nach Cnrci's "Versöhnungs"-Projekt auch im jetzigen
Italien nicht beanspruchen. Ja sie läßt sich dazu herbei scheinbar und sür
den Anfang nicht einmal soviel zu verlangen und vorläufig uur schweigend
ihre Rechte zu reserviren. An denselben festhalten aber wird sie immer, da sie
auf göttlicher Verleihung beruhen und demgemäß unveräußerlich sind. Vor
dem gewöhnlichen Menschenverstande und dem nationale" Herkommen ist
freilich das Recht der Kirche auf den Kirchenstaat von dem der italienischen
Krone auf die Stadt Rom durchaus nicht verschieden. Aber der heilige Stuhl
hat eine andere Meinung darüber und betrachtet seine Erwerbungen als ewig
unantastbar und legitim, die Anderer als Raub und Judaslohn. Ihnen den
Raub wieder abzunehmen ist also das volle Recht der Kirche; doch muß sie
so klug sein, darauf zu verzichte", so lauge sie keine Macht hat. "Wenn ein
Anderer," belehrt Curei, "gewaltthätig in euer Haus oder Landgut eindringt
und sich dessen bemächtigt, so bleibt ihr immer der einzige und rechtmäßige
Besitzer, und abgesehen von den durch Verjährung erworbenen Rechten werden
desgleichen eure Erben durch Jahrhunderte, so lange ihr welche habt, die Be¬
sitzer sein; und ihr und sie können immer, sobald es euch beliebt, mit Gewalt
das Eurige wiedernehmen, selbst auf die Gefahr hiu es zu beschädigen, selbst
auf die Gewißheit hin Alles zum Teufel zu schicken, das Gut zu Grunde zu
richten und das Haus zu verbrennen. Wie? Ist das etwa nicht euer Eigen¬
thum, einzig und allein zu eurem Nutzen bestimmt? Und was wäre dagegen
zu sagen, wenn es jetzt nach eurem Geschmack wäre, daß weder ihr noch der
unrechtmäßige Eindringling es besitze? Ich sage nicht, daß ihr in jeder Be¬
ziehung wohl thun würdet; aber sicherlich würdet ihr das Recht haben es zu
thun und würdet damit Niemand Unrecht thun. -- Jetzt frage ich: Kann
man etwas Anderes sagen von der politischen Oberherrschaft?"
Das ist doch klar genug: Auch wenn Jahrzehnte und Jahrhunderte vergehen
sollten, der Papst wird Italien immer als Räuber seines Eigenthums betrachten.
Auch wenn das ganze Vaterland darüber zu Grunde gehen sollte, er hat immer
das Recht dessen Einheit wieder zu zertrümmern, um sich den Fetzen Land


daher auch alle Einrichtungen der Gesellschaft gerichtet sein, und letztere sind
falsch und verwerflich, wenn dies nicht der Fall ist. — Die Entscheidung dar¬
über kann natürlich uur bei der Kirche, der Depositaren der göttlichen Offen¬
barung und Dolmetscherin des heiligen Geistes, sein. Die Kirche erkennt die
verschiedenen Staatsformen, Verfassungen, Gesetze und Zustände an, soweit sie
ihr jenen hohen Zwecken zu entsprechen scheinen, und es giebt nichts im ganzen
Umfang des menschlichen Lebens, was nicht unter ihren Richterspruch fiele.
Sie beschränkt sich also auch keineswegs auf das sogenannte geistliche Gebiet,
sondern beaufsichtigt Alles, entscheidet Alles, beherrscht Alles.

Mehr soll sie nach Cnrci's „Versöhnungs"-Projekt auch im jetzigen
Italien nicht beanspruchen. Ja sie läßt sich dazu herbei scheinbar und sür
den Anfang nicht einmal soviel zu verlangen und vorläufig uur schweigend
ihre Rechte zu reserviren. An denselben festhalten aber wird sie immer, da sie
auf göttlicher Verleihung beruhen und demgemäß unveräußerlich sind. Vor
dem gewöhnlichen Menschenverstande und dem nationale« Herkommen ist
freilich das Recht der Kirche auf den Kirchenstaat von dem der italienischen
Krone auf die Stadt Rom durchaus nicht verschieden. Aber der heilige Stuhl
hat eine andere Meinung darüber und betrachtet seine Erwerbungen als ewig
unantastbar und legitim, die Anderer als Raub und Judaslohn. Ihnen den
Raub wieder abzunehmen ist also das volle Recht der Kirche; doch muß sie
so klug sein, darauf zu verzichte», so lauge sie keine Macht hat. „Wenn ein
Anderer," belehrt Curei, „gewaltthätig in euer Haus oder Landgut eindringt
und sich dessen bemächtigt, so bleibt ihr immer der einzige und rechtmäßige
Besitzer, und abgesehen von den durch Verjährung erworbenen Rechten werden
desgleichen eure Erben durch Jahrhunderte, so lange ihr welche habt, die Be¬
sitzer sein; und ihr und sie können immer, sobald es euch beliebt, mit Gewalt
das Eurige wiedernehmen, selbst auf die Gefahr hiu es zu beschädigen, selbst
auf die Gewißheit hin Alles zum Teufel zu schicken, das Gut zu Grunde zu
richten und das Haus zu verbrennen. Wie? Ist das etwa nicht euer Eigen¬
thum, einzig und allein zu eurem Nutzen bestimmt? Und was wäre dagegen
zu sagen, wenn es jetzt nach eurem Geschmack wäre, daß weder ihr noch der
unrechtmäßige Eindringling es besitze? Ich sage nicht, daß ihr in jeder Be¬
ziehung wohl thun würdet; aber sicherlich würdet ihr das Recht haben es zu
thun und würdet damit Niemand Unrecht thun. — Jetzt frage ich: Kann
man etwas Anderes sagen von der politischen Oberherrschaft?"
Das ist doch klar genug: Auch wenn Jahrzehnte und Jahrhunderte vergehen
sollten, der Papst wird Italien immer als Räuber seines Eigenthums betrachten.
Auch wenn das ganze Vaterland darüber zu Grunde gehen sollte, er hat immer
das Recht dessen Einheit wieder zu zertrümmern, um sich den Fetzen Land


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[0250] daher auch alle Einrichtungen der Gesellschaft gerichtet sein, und letztere sind falsch und verwerflich, wenn dies nicht der Fall ist. — Die Entscheidung dar¬ über kann natürlich uur bei der Kirche, der Depositaren der göttlichen Offen¬ barung und Dolmetscherin des heiligen Geistes, sein. Die Kirche erkennt die verschiedenen Staatsformen, Verfassungen, Gesetze und Zustände an, soweit sie ihr jenen hohen Zwecken zu entsprechen scheinen, und es giebt nichts im ganzen Umfang des menschlichen Lebens, was nicht unter ihren Richterspruch fiele. Sie beschränkt sich also auch keineswegs auf das sogenannte geistliche Gebiet, sondern beaufsichtigt Alles, entscheidet Alles, beherrscht Alles. Mehr soll sie nach Cnrci's „Versöhnungs"-Projekt auch im jetzigen Italien nicht beanspruchen. Ja sie läßt sich dazu herbei scheinbar und sür den Anfang nicht einmal soviel zu verlangen und vorläufig uur schweigend ihre Rechte zu reserviren. An denselben festhalten aber wird sie immer, da sie auf göttlicher Verleihung beruhen und demgemäß unveräußerlich sind. Vor dem gewöhnlichen Menschenverstande und dem nationale« Herkommen ist freilich das Recht der Kirche auf den Kirchenstaat von dem der italienischen Krone auf die Stadt Rom durchaus nicht verschieden. Aber der heilige Stuhl hat eine andere Meinung darüber und betrachtet seine Erwerbungen als ewig unantastbar und legitim, die Anderer als Raub und Judaslohn. Ihnen den Raub wieder abzunehmen ist also das volle Recht der Kirche; doch muß sie so klug sein, darauf zu verzichte», so lauge sie keine Macht hat. „Wenn ein Anderer," belehrt Curei, „gewaltthätig in euer Haus oder Landgut eindringt und sich dessen bemächtigt, so bleibt ihr immer der einzige und rechtmäßige Besitzer, und abgesehen von den durch Verjährung erworbenen Rechten werden desgleichen eure Erben durch Jahrhunderte, so lange ihr welche habt, die Be¬ sitzer sein; und ihr und sie können immer, sobald es euch beliebt, mit Gewalt das Eurige wiedernehmen, selbst auf die Gefahr hiu es zu beschädigen, selbst auf die Gewißheit hin Alles zum Teufel zu schicken, das Gut zu Grunde zu richten und das Haus zu verbrennen. Wie? Ist das etwa nicht euer Eigen¬ thum, einzig und allein zu eurem Nutzen bestimmt? Und was wäre dagegen zu sagen, wenn es jetzt nach eurem Geschmack wäre, daß weder ihr noch der unrechtmäßige Eindringling es besitze? Ich sage nicht, daß ihr in jeder Be¬ ziehung wohl thun würdet; aber sicherlich würdet ihr das Recht haben es zu thun und würdet damit Niemand Unrecht thun. — Jetzt frage ich: Kann man etwas Anderes sagen von der politischen Oberherrschaft?" Das ist doch klar genug: Auch wenn Jahrzehnte und Jahrhunderte vergehen sollten, der Papst wird Italien immer als Räuber seines Eigenthums betrachten. Auch wenn das ganze Vaterland darüber zu Grunde gehen sollte, er hat immer das Recht dessen Einheit wieder zu zertrümmern, um sich den Fetzen Land

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/250>, abgerufen am 27.07.2024.