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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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anthun, wieder mit und unter euch zu wirken. Sie wird euch Ungerechte,
Ränber, Verbrecher, Tempelschänder nennen und euch so behandeln, aber sie
wird euch zur Neue und Buße zu bringen suchen und euch sobald ihr zu
Kreuze kriecht, Alles verzeihen. Ihr könnt nicht mehr verlangen von der milden
Mutter und ihren liebevollen Dienern. Es ist nicht der Rede werth, daß sie
inzwischen euch gewnltthätige Usurpation, Seelenverführung, Gottlosigkeit u. s. w.
vorwerfen. Sie haben euch lieb; darum züchtigen sie euch. --

Für Curei steht es nach S. Thomas und S. Augustinus fest, daß keine
weltliche Gewalt da ist, außer vou Gott, und daß kein weltliches Gesetz gerecht
und giltig ist, wenn es nicht mit den göttlichen Gesetzen im Einklang steht. Dar¬
aus folgt mit der wünschenswerthesten Einfachheit die Maxime Gregor's VII.,
daß die Kirche als verordnete Hüterin der göttlichen Gesetze über aller welt¬
lichen Macht steht und nnr diejenigen staatlichen Gesetze und Zustände als be¬
rechtigt anzuerkennen hat, die mit den ihrigen im Einklang sind. Der heilige
Augustin sagt es deutlich (vo lidsro M'ditrlo, >it. I., eax. 6): "Im
Weltlichen Gesetz ist nichts gerecht und legitim, was die Menschen nicht ans
dem ewigen Gesetz hergeleitet haben." Daß dabei nicht an ein ewiges Natur¬
gesetz zu denken sei, versteht sich bei S. Augustin von selbst. Cnrei unterläßt
aber uicht dies noch zu verdeutlichen, indem er hinzufügt: "Es ist also gar
nicht zu denken an jene Chimäre des natürlichen, primitiven und gesetzlosen
Zustandes, über welchem die aus der Reformation hervorgegangenen Publicisten
soviel gefaselt haben (also die protestantische Wissenschaft!), als wenn die
Menschen die bürgerliche Gesellschaft mit dem eigenen Verstände erfunden und
nach eigenem Plane irgend eine Autorität eingesetzt hätten, woraus das selt¬
same Paradoxon (!) folgen würde, daß die Meuschen seit unvordenklicher Zeit
auf einem von ihnen erfundenen, ihrer Natur zuwiderlaufenden (!) Gebäude
leben." -- Also daß Staaten sich konstituirt haben und, z. B. in Amerika,
noch immer nach freier menschlicher Entschließung sich konstituiren; daß Nationen
ihre Regierungen gewählt und geändert haben, davon will der gelehrte Jesuiten¬
pater nichts wissen; oder meint er, daß bei sämmtlichen Verfassungsänderungen
und Umwälzungen der heilige Geist mitgewirkt habe; das darf er nicht be¬
haupten, weil er damit die göttliche Einsetzung anch der jetzigen Regierung
Italiens zugeben würde. Böses Dilemma, in dem seit des heiligen Thomas
Zeit alle Scholastiker stecken und immer stecken werden und das die Armen zu
den halsbrecherischsten logischen Sprüngen und den kläglichsten Vcrstandesver-
renkungen nöthigt! "Die Wahrheit ist also -- nach Cnrei --, daß die bürger¬
liche Gesellschaft und die zu ihrer Leitung verordnete Gewalt abstrakt betrachtet
(eine Redensart, welche das Dilemma verdecken soll) strikt von göttlicher Ein¬
setzung sind" und überirdische, göttliche Zwecke haben. Ans diese Zwecke müssen


anthun, wieder mit und unter euch zu wirken. Sie wird euch Ungerechte,
Ränber, Verbrecher, Tempelschänder nennen und euch so behandeln, aber sie
wird euch zur Neue und Buße zu bringen suchen und euch sobald ihr zu
Kreuze kriecht, Alles verzeihen. Ihr könnt nicht mehr verlangen von der milden
Mutter und ihren liebevollen Dienern. Es ist nicht der Rede werth, daß sie
inzwischen euch gewnltthätige Usurpation, Seelenverführung, Gottlosigkeit u. s. w.
vorwerfen. Sie haben euch lieb; darum züchtigen sie euch. —

Für Curei steht es nach S. Thomas und S. Augustinus fest, daß keine
weltliche Gewalt da ist, außer vou Gott, und daß kein weltliches Gesetz gerecht
und giltig ist, wenn es nicht mit den göttlichen Gesetzen im Einklang steht. Dar¬
aus folgt mit der wünschenswerthesten Einfachheit die Maxime Gregor's VII.,
daß die Kirche als verordnete Hüterin der göttlichen Gesetze über aller welt¬
lichen Macht steht und nnr diejenigen staatlichen Gesetze und Zustände als be¬
rechtigt anzuerkennen hat, die mit den ihrigen im Einklang sind. Der heilige
Augustin sagt es deutlich (vo lidsro M'ditrlo, >it. I., eax. 6): „Im
Weltlichen Gesetz ist nichts gerecht und legitim, was die Menschen nicht ans
dem ewigen Gesetz hergeleitet haben." Daß dabei nicht an ein ewiges Natur¬
gesetz zu denken sei, versteht sich bei S. Augustin von selbst. Cnrei unterläßt
aber uicht dies noch zu verdeutlichen, indem er hinzufügt: „Es ist also gar
nicht zu denken an jene Chimäre des natürlichen, primitiven und gesetzlosen
Zustandes, über welchem die aus der Reformation hervorgegangenen Publicisten
soviel gefaselt haben (also die protestantische Wissenschaft!), als wenn die
Menschen die bürgerliche Gesellschaft mit dem eigenen Verstände erfunden und
nach eigenem Plane irgend eine Autorität eingesetzt hätten, woraus das selt¬
same Paradoxon (!) folgen würde, daß die Meuschen seit unvordenklicher Zeit
auf einem von ihnen erfundenen, ihrer Natur zuwiderlaufenden (!) Gebäude
leben." — Also daß Staaten sich konstituirt haben und, z. B. in Amerika,
noch immer nach freier menschlicher Entschließung sich konstituiren; daß Nationen
ihre Regierungen gewählt und geändert haben, davon will der gelehrte Jesuiten¬
pater nichts wissen; oder meint er, daß bei sämmtlichen Verfassungsänderungen
und Umwälzungen der heilige Geist mitgewirkt habe; das darf er nicht be¬
haupten, weil er damit die göttliche Einsetzung anch der jetzigen Regierung
Italiens zugeben würde. Böses Dilemma, in dem seit des heiligen Thomas
Zeit alle Scholastiker stecken und immer stecken werden und das die Armen zu
den halsbrecherischsten logischen Sprüngen und den kläglichsten Vcrstandesver-
renkungen nöthigt! „Die Wahrheit ist also — nach Cnrei —, daß die bürger¬
liche Gesellschaft und die zu ihrer Leitung verordnete Gewalt abstrakt betrachtet
(eine Redensart, welche das Dilemma verdecken soll) strikt von göttlicher Ein¬
setzung sind" und überirdische, göttliche Zwecke haben. Ans diese Zwecke müssen


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[0249] anthun, wieder mit und unter euch zu wirken. Sie wird euch Ungerechte, Ränber, Verbrecher, Tempelschänder nennen und euch so behandeln, aber sie wird euch zur Neue und Buße zu bringen suchen und euch sobald ihr zu Kreuze kriecht, Alles verzeihen. Ihr könnt nicht mehr verlangen von der milden Mutter und ihren liebevollen Dienern. Es ist nicht der Rede werth, daß sie inzwischen euch gewnltthätige Usurpation, Seelenverführung, Gottlosigkeit u. s. w. vorwerfen. Sie haben euch lieb; darum züchtigen sie euch. — Für Curei steht es nach S. Thomas und S. Augustinus fest, daß keine weltliche Gewalt da ist, außer vou Gott, und daß kein weltliches Gesetz gerecht und giltig ist, wenn es nicht mit den göttlichen Gesetzen im Einklang steht. Dar¬ aus folgt mit der wünschenswerthesten Einfachheit die Maxime Gregor's VII., daß die Kirche als verordnete Hüterin der göttlichen Gesetze über aller welt¬ lichen Macht steht und nnr diejenigen staatlichen Gesetze und Zustände als be¬ rechtigt anzuerkennen hat, die mit den ihrigen im Einklang sind. Der heilige Augustin sagt es deutlich (vo lidsro M'ditrlo, >it. I., eax. 6): „Im Weltlichen Gesetz ist nichts gerecht und legitim, was die Menschen nicht ans dem ewigen Gesetz hergeleitet haben." Daß dabei nicht an ein ewiges Natur¬ gesetz zu denken sei, versteht sich bei S. Augustin von selbst. Cnrei unterläßt aber uicht dies noch zu verdeutlichen, indem er hinzufügt: „Es ist also gar nicht zu denken an jene Chimäre des natürlichen, primitiven und gesetzlosen Zustandes, über welchem die aus der Reformation hervorgegangenen Publicisten soviel gefaselt haben (also die protestantische Wissenschaft!), als wenn die Menschen die bürgerliche Gesellschaft mit dem eigenen Verstände erfunden und nach eigenem Plane irgend eine Autorität eingesetzt hätten, woraus das selt¬ same Paradoxon (!) folgen würde, daß die Meuschen seit unvordenklicher Zeit auf einem von ihnen erfundenen, ihrer Natur zuwiderlaufenden (!) Gebäude leben." — Also daß Staaten sich konstituirt haben und, z. B. in Amerika, noch immer nach freier menschlicher Entschließung sich konstituiren; daß Nationen ihre Regierungen gewählt und geändert haben, davon will der gelehrte Jesuiten¬ pater nichts wissen; oder meint er, daß bei sämmtlichen Verfassungsänderungen und Umwälzungen der heilige Geist mitgewirkt habe; das darf er nicht be¬ haupten, weil er damit die göttliche Einsetzung anch der jetzigen Regierung Italiens zugeben würde. Böses Dilemma, in dem seit des heiligen Thomas Zeit alle Scholastiker stecken und immer stecken werden und das die Armen zu den halsbrecherischsten logischen Sprüngen und den kläglichsten Vcrstandesver- renkungen nöthigt! „Die Wahrheit ist also — nach Cnrei —, daß die bürger¬ liche Gesellschaft und die zu ihrer Leitung verordnete Gewalt abstrakt betrachtet (eine Redensart, welche das Dilemma verdecken soll) strikt von göttlicher Ein¬ setzung sind" und überirdische, göttliche Zwecke haben. Ans diese Zwecke müssen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/249>, abgerufen am 01.09.2024.