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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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selbst ein "venig zu lang vorkommen sollten, der mag überlegen, daß die Ge¬
legenheiten aus jenem in dieses Leben sehr rar sind, und mau also den Mangel
des öftern Schreibens durch viel Schreiben ersetzen muß."

In dem "Gesicht von einer Welt unschuldiger Meuschen" wimmelt es
von Seraphim, die den Amouretten ausnehmend ähnlich sehen: "ihr gelbes
Haupthaar war mit Rosen durchflochten, ihre Schönheit glich der Morgen¬
röthe, wenn sie ihre frische Rosenfarbe über erwachte Hügel verbreitet; jede lächelte
die andere voll Liebe an und schien sich ihrer eigenen Liebenwiirdigkeit nicht
bewußt zu sein." In dies Paradies wurde die nackte Seele durch die Harmonie
einer silbernen Laute eingeführt.

Indeß hat sich Sophie vermählt, Hr. v. Laroche meldet es in einem
verbindlichen Schreiben. "Ich liebte diese werthe Abtrünnige", erwidert Wieland
19. März 1754, "(verzeihen Sie mir diesen Ausdruck!) so uneigennützig als
es in diesem irdischen Gewand möglich ist." -- Und an Frau von Laroche:
"erinnern Sie sich, daß ich den Besitz ihres Herzens (nicht Ihrer Person) für
meine süßeste Glückseligkeit hielt. Ich will mich immer mit der Hoffnung er¬
muntern, daß eine andere Welt mir Gerechtigkeit wird widerfahren lassen.

Nun findet Sophie schicklich, der Sache eine interessantere Wendung zu
geben: man läßt etwas von Zwang und Mißverständnissen merken. "Nun,"
schreibt Wie land 2. Juni an Bodmer, "habe ich die sicherste Hoffnung, diese
Seele, die unsrer Natur Ehre macht, in der Ewigkeit mit der vollsten Zu¬
friedenheit wiederzusehen."

Klopstock wartete mit seiner Hochzeit, bis seine ehemalige Geliebte (23 I.)
ihm vorausging; es geschah 14. Jan. 1754 in Eisenach; sie lebte 45 I. in
einer glücklichen und gesegneten Ehe.

31 Jahre später meldete er seiner alten Geliebten, er wolle die Oden an
Fanny neu herausgeben. "Ich muß nothwendig im Vorbericht etwas sagen,
nicht allein von den Oden, sondern auch von der, an die sie gemacht wurden.
Ich kenne Fanny nicht genug. Aber kein Zweifel wird mir übrig sein, wenn
Sie mir offen sagen, wie Sie damals, als ich Sie so sehr liebte, gegen mich
gesinnt waren. . . Den Gebrauch, den ich davon machen werde, wird sich allein
in meinem Urtheil von Ihrer Empfindungsart zeigen. Ich möchte nur be¬
stimmen können, in welchem Grad die liebenswürdig war, die ich so sehr und
so lange liebte."

Die alte Dame, die übrigens nie gegen Jemand ihr Verhältniß zu dem
berühmten Dichter erwähnt hatte, erwiderte, sie könne ihm von ihren ehemaligen
Empfindungen nicht mehr genau Rechenschaft geben; gewiß sei ihr seine Liebe
sehr schmeichelhaft gewesen. "Ihr Wunsch, mich glücklich zu sehn, ist, soweit
es in diesem Erdenleben möglich, schon in Erfüllung gegangen."


selbst ein »venig zu lang vorkommen sollten, der mag überlegen, daß die Ge¬
legenheiten aus jenem in dieses Leben sehr rar sind, und mau also den Mangel
des öftern Schreibens durch viel Schreiben ersetzen muß."

In dem „Gesicht von einer Welt unschuldiger Meuschen" wimmelt es
von Seraphim, die den Amouretten ausnehmend ähnlich sehen: „ihr gelbes
Haupthaar war mit Rosen durchflochten, ihre Schönheit glich der Morgen¬
röthe, wenn sie ihre frische Rosenfarbe über erwachte Hügel verbreitet; jede lächelte
die andere voll Liebe an und schien sich ihrer eigenen Liebenwiirdigkeit nicht
bewußt zu sein." In dies Paradies wurde die nackte Seele durch die Harmonie
einer silbernen Laute eingeführt.

Indeß hat sich Sophie vermählt, Hr. v. Laroche meldet es in einem
verbindlichen Schreiben. „Ich liebte diese werthe Abtrünnige", erwidert Wieland
19. März 1754, „(verzeihen Sie mir diesen Ausdruck!) so uneigennützig als
es in diesem irdischen Gewand möglich ist." — Und an Frau von Laroche:
„erinnern Sie sich, daß ich den Besitz ihres Herzens (nicht Ihrer Person) für
meine süßeste Glückseligkeit hielt. Ich will mich immer mit der Hoffnung er¬
muntern, daß eine andere Welt mir Gerechtigkeit wird widerfahren lassen.

Nun findet Sophie schicklich, der Sache eine interessantere Wendung zu
geben: man läßt etwas von Zwang und Mißverständnissen merken. „Nun,"
schreibt Wie land 2. Juni an Bodmer, „habe ich die sicherste Hoffnung, diese
Seele, die unsrer Natur Ehre macht, in der Ewigkeit mit der vollsten Zu¬
friedenheit wiederzusehen."

Klopstock wartete mit seiner Hochzeit, bis seine ehemalige Geliebte (23 I.)
ihm vorausging; es geschah 14. Jan. 1754 in Eisenach; sie lebte 45 I. in
einer glücklichen und gesegneten Ehe.

31 Jahre später meldete er seiner alten Geliebten, er wolle die Oden an
Fanny neu herausgeben. „Ich muß nothwendig im Vorbericht etwas sagen,
nicht allein von den Oden, sondern auch von der, an die sie gemacht wurden.
Ich kenne Fanny nicht genug. Aber kein Zweifel wird mir übrig sein, wenn
Sie mir offen sagen, wie Sie damals, als ich Sie so sehr liebte, gegen mich
gesinnt waren. . . Den Gebrauch, den ich davon machen werde, wird sich allein
in meinem Urtheil von Ihrer Empfindungsart zeigen. Ich möchte nur be¬
stimmen können, in welchem Grad die liebenswürdig war, die ich so sehr und
so lange liebte."

Die alte Dame, die übrigens nie gegen Jemand ihr Verhältniß zu dem
berühmten Dichter erwähnt hatte, erwiderte, sie könne ihm von ihren ehemaligen
Empfindungen nicht mehr genau Rechenschaft geben; gewiß sei ihr seine Liebe
sehr schmeichelhaft gewesen. „Ihr Wunsch, mich glücklich zu sehn, ist, soweit
es in diesem Erdenleben möglich, schon in Erfüllung gegangen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/25>, abgerufen am 09.11.2024.