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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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o wie bereu' ich jetzt die Sünden meiner Jugend, o wie bereu' ich sie mein
Leben lang! denn welch ein Thor war ich: ich sang der Schönen Lob in un-
erfahrner Jugend, pries ihre Küss' und ihre Tugend, und kannte Kuß und
Tugend nicht! -- Gieb Jugend, gieb den Liedern, den Sirenen, die ich dir
sang, gieb ihnen kein Gehör! Sophie liebte mich, seitdem kenn' ich die
Schönen, seitdem befing' ich sie nicht mehr!"

Noch denselben Herbst resolvirte er sich, nahm seine Nichte zu sich, führte
mit ihr eine lustige Junggesellenwirthschaft bis an sein Ende, und fuhr fort,
der Mädchen Küsse und Tugend zu besingen.

Eine nicht geringere Kränkung mußte Wieland erleben. Seit dem Herbst
1753 blieben Sophien's Briefe aus, nach einigen Wochen schickte ihm die
Stiefmutter ein an sie gerichtetes Schreiben, worin Sophie sich als die Ver¬
lobte eines Herrn v. Laroche meldete, mit der Erklärung, Wieland habe das
Band zerrissen.

"Erlauben Sie mir," schreibt der betrübte Jüngling 12. Dezember 1753
an die alte Geliebte, "Sie zu erinnern, daß wir uns tausendmal im Angesicht
Gottes zugesagt haben, uns so lauge zu lieben, als wir die Tugend lieben
würden. Sollte Ihre neue Verbindung die zärtliche Zuneigung unsrer Seelen
hinwegnehmen? Lassen Sie uns denen, welche sich nach ihrer niedrigen Art
zu denken, einbilden, unsre Liebe höre jetzt auf, ein thätliches Dementi geben,
und ungeachtet wir uns, wie ich hoffe, in dieser Welt nimmer sehn werden,
mit dem Herzen und durch unsre gemeinschaftliche Liebe zur Tugend vereinigt
bleiben, damit wir uns in jenen seligen Gefilden wiedersehn mögen, in denen
Ihre Seele sich selber und mich wiedererkennen, und wenn Engel weinen
können, noch alsdann eine zärtliche Thräne weinen wird, daß Sie Ihrer Be¬
stimmung in dieser Welt unvorsichtiger Weise ausgewichen.

Durch Bodmer verführt, der eine Patriarchade nach der andern zu Stande
brachte, versuchte sich Wieland nun auch in dieser Gattung: "der geprüfte
Abraham." -- Noch wunderlicher gebärdete er sich in den "Briefen Verstor¬
bener an hinterlassene Freunde." -- "Freund! der Vorhang ist weg, die Nacht
ist vom Tage verschlungen, Dein Theagenes sieht! Die Wahrheit, unter den
Menschen kaum im Bilde bekannt, die himmlische Göttin der Schönheit, giebt
sich mir willig zu sehn; ich schaue die ewigen Ideen!" u. s. w. -- Theotima,
von Myriaden verklärter Melinden umgeben, schildert einen in der Milchstraße
befindlichen Planeten, der von unschuldigen Menschen bewohnt wird, u. s. w.

"Es sind neun Briefe", schreibt Lessing 25. Dezember 1753, "alle voller
Seligkeit, Tugend und Freundschaft, so daß schon der Inhalt uns mit Achtung
davon zu reden bewegt. Ueberall herrscht die feinste der seinen Empfindungen,
und die Nachrichten vom Himmel sind neu und kurios. Wem die Briefe


o wie bereu' ich jetzt die Sünden meiner Jugend, o wie bereu' ich sie mein
Leben lang! denn welch ein Thor war ich: ich sang der Schönen Lob in un-
erfahrner Jugend, pries ihre Küss' und ihre Tugend, und kannte Kuß und
Tugend nicht! — Gieb Jugend, gieb den Liedern, den Sirenen, die ich dir
sang, gieb ihnen kein Gehör! Sophie liebte mich, seitdem kenn' ich die
Schönen, seitdem befing' ich sie nicht mehr!"

Noch denselben Herbst resolvirte er sich, nahm seine Nichte zu sich, führte
mit ihr eine lustige Junggesellenwirthschaft bis an sein Ende, und fuhr fort,
der Mädchen Küsse und Tugend zu besingen.

Eine nicht geringere Kränkung mußte Wieland erleben. Seit dem Herbst
1753 blieben Sophien's Briefe aus, nach einigen Wochen schickte ihm die
Stiefmutter ein an sie gerichtetes Schreiben, worin Sophie sich als die Ver¬
lobte eines Herrn v. Laroche meldete, mit der Erklärung, Wieland habe das
Band zerrissen.

„Erlauben Sie mir," schreibt der betrübte Jüngling 12. Dezember 1753
an die alte Geliebte, „Sie zu erinnern, daß wir uns tausendmal im Angesicht
Gottes zugesagt haben, uns so lauge zu lieben, als wir die Tugend lieben
würden. Sollte Ihre neue Verbindung die zärtliche Zuneigung unsrer Seelen
hinwegnehmen? Lassen Sie uns denen, welche sich nach ihrer niedrigen Art
zu denken, einbilden, unsre Liebe höre jetzt auf, ein thätliches Dementi geben,
und ungeachtet wir uns, wie ich hoffe, in dieser Welt nimmer sehn werden,
mit dem Herzen und durch unsre gemeinschaftliche Liebe zur Tugend vereinigt
bleiben, damit wir uns in jenen seligen Gefilden wiedersehn mögen, in denen
Ihre Seele sich selber und mich wiedererkennen, und wenn Engel weinen
können, noch alsdann eine zärtliche Thräne weinen wird, daß Sie Ihrer Be¬
stimmung in dieser Welt unvorsichtiger Weise ausgewichen.

Durch Bodmer verführt, der eine Patriarchade nach der andern zu Stande
brachte, versuchte sich Wieland nun auch in dieser Gattung: „der geprüfte
Abraham." — Noch wunderlicher gebärdete er sich in den „Briefen Verstor¬
bener an hinterlassene Freunde." — „Freund! der Vorhang ist weg, die Nacht
ist vom Tage verschlungen, Dein Theagenes sieht! Die Wahrheit, unter den
Menschen kaum im Bilde bekannt, die himmlische Göttin der Schönheit, giebt
sich mir willig zu sehn; ich schaue die ewigen Ideen!" u. s. w. — Theotima,
von Myriaden verklärter Melinden umgeben, schildert einen in der Milchstraße
befindlichen Planeten, der von unschuldigen Menschen bewohnt wird, u. s. w.

„Es sind neun Briefe", schreibt Lessing 25. Dezember 1753, „alle voller
Seligkeit, Tugend und Freundschaft, so daß schon der Inhalt uns mit Achtung
davon zu reden bewegt. Ueberall herrscht die feinste der seinen Empfindungen,
und die Nachrichten vom Himmel sind neu und kurios. Wem die Briefe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/24>, abgerufen am 09.11.2024.