Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band."Wer das Geld gering achtet, der achtet, wenn auch unbewußt, die Gottes- Für Jeden, der die von Herrn Wvrthmann beanstandeten Aufsätze Treitsch- „Wer das Geld gering achtet, der achtet, wenn auch unbewußt, die Gottes- Für Jeden, der die von Herrn Wvrthmann beanstandeten Aufsätze Treitsch- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140017"/> <p xml:id="ID_614"> „Wer das Geld gering achtet, der achtet, wenn auch unbewußt, die Gottes-<lb/> gaben gering, für die es ein Aequivalent ist." Das ist der Schemel, auf welchem Herr<lb/> Dr. Wvrthmann zu höheren Schlußfolgerungen aufsteigt. Wir sahen, wie wack¬<lb/> lig dieser Schemel beschaffen ist. Die Schlußfolgerungen sind von Hause aus<lb/> nicht günstiger veranlagt. „Freilich macht sich Treitschke eine ganz irrige Vor¬<lb/> stellung von dem Maaße dieser Gaben, dessen — Andere bedürfen, um ein<lb/> menschenwürdiges Dasein zu führen", sagt er. „Die Arbeiter, ist seine Meinung,<lb/> überschätzen die materiellen Güter; sie sollten sich an den idealen Gütern<lb/> genügen lassen, die auch der Aermste besitzen und mit denen er^ glücklich sein<lb/> kann: ein reines Gewissen, Liebe und Glaube." Herr Dr. Wvrthmaun<lb/> unterläßt es hier vorstchtigerweise, anzuführen, wo Treitschke diesen albernen<lb/> Satz geschrieben haben soll, den Herr Wvrthmann, nachher (S. 7) für gleich¬<lb/> bedeutend erklärt damit, Treitschke habe „dem deutschen Arbeiter daraus allein,<lb/> daß er eine erhebliche Besserung seiner materiellen Lage eifrigst anstrebt,<lb/> einen Vorwurf gemacht." Da Herr Wvrthmann nur die Aufsätze über deu<lb/> Sozialismus und seine Gönner seiner durch den Doktorgrad der Staats¬<lb/> wirthschaft geschärften Kritik unterzieht, so sehen wir uns in diesen Aufsätzen<lb/> um, wo der aufstrebende Kathedersozialist denn etwa diesen Satz bei Treitschke<lb/> gefunden haben könnte?</p><lb/> <p xml:id="ID_615" next="#ID_616"> Für Jeden, der die von Herrn Wvrthmann beanstandeten Aufsätze Treitsch-<lb/> ke's gelesen hat, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß hier angespielt werden<lb/> soll auf die Ausführungen Treitschke's S. 480 bis 487 der „Zehn Jahre<lb/> deutscher Kämpfe" (ursprünglich abgedruckt in den Preußischen Jahrbüchern<lb/> 1874, 34 Band, S. 89 bis S. 96) — oder, da Herr Wvrthmann diese Aus¬<lb/> führungen nach seinem Citat der Hauptstelle unmöglich gelesen haben kann,<lb/> auf die wenigen Sätze Treitschke's S. 487 der „Zehn Jahre" (S. 96 der<lb/> Preußischen Jahrbücher 1874, 34 Band). Was steht aber hier? „Das wahre<lb/> Glück des Lebens darf nur gesucht werden" — von Jedem, von dem Reichen<lb/> nicht weniger als vom Arbeiter— „in dem, was allen Menschen erreichbar und<lb/> gemeinsam ist. Also nicht im Besitze wirthschaftlicher Güter oder in der poli¬<lb/> tischen Macht, auch nicht in Kunst und Wissenschaft" — die gewiß der „Ar¬<lb/> beiter" zunächst nicht anstrebt — „sondern in der. Welt des Gemüths: in dem<lb/> reinen Gewissen, in der Kraft der Liebe, die den Einfältigen über den Klugen<lb/> emporhebt, und vor allem in der Macht des Glaubens." Und nun führt<lb/> Treitschke in ergreifender Weise aus, daß „dies Menschlichste im Menschen" —<lb/> aller Menschen — „von der Gunst der äußeren Verhältnisse bei Weitem nicht so<lb/> abhängig ist, wie die Gegenwart zu glauben pflegt, daß vielmehr das Gemüth,<lb/> gestärkt dnrch ein reines Gewissen, die Kraft der Liebe und die Macht des<lb/> Glaubens in der bescheidenen Enge des kleinen Lebens eine frische, kernhafte,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0196]
„Wer das Geld gering achtet, der achtet, wenn auch unbewußt, die Gottes-
gaben gering, für die es ein Aequivalent ist." Das ist der Schemel, auf welchem Herr
Dr. Wvrthmann zu höheren Schlußfolgerungen aufsteigt. Wir sahen, wie wack¬
lig dieser Schemel beschaffen ist. Die Schlußfolgerungen sind von Hause aus
nicht günstiger veranlagt. „Freilich macht sich Treitschke eine ganz irrige Vor¬
stellung von dem Maaße dieser Gaben, dessen — Andere bedürfen, um ein
menschenwürdiges Dasein zu führen", sagt er. „Die Arbeiter, ist seine Meinung,
überschätzen die materiellen Güter; sie sollten sich an den idealen Gütern
genügen lassen, die auch der Aermste besitzen und mit denen er^ glücklich sein
kann: ein reines Gewissen, Liebe und Glaube." Herr Dr. Wvrthmaun
unterläßt es hier vorstchtigerweise, anzuführen, wo Treitschke diesen albernen
Satz geschrieben haben soll, den Herr Wvrthmann, nachher (S. 7) für gleich¬
bedeutend erklärt damit, Treitschke habe „dem deutschen Arbeiter daraus allein,
daß er eine erhebliche Besserung seiner materiellen Lage eifrigst anstrebt,
einen Vorwurf gemacht." Da Herr Wvrthmann nur die Aufsätze über deu
Sozialismus und seine Gönner seiner durch den Doktorgrad der Staats¬
wirthschaft geschärften Kritik unterzieht, so sehen wir uns in diesen Aufsätzen
um, wo der aufstrebende Kathedersozialist denn etwa diesen Satz bei Treitschke
gefunden haben könnte?
Für Jeden, der die von Herrn Wvrthmann beanstandeten Aufsätze Treitsch-
ke's gelesen hat, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß hier angespielt werden
soll auf die Ausführungen Treitschke's S. 480 bis 487 der „Zehn Jahre
deutscher Kämpfe" (ursprünglich abgedruckt in den Preußischen Jahrbüchern
1874, 34 Band, S. 89 bis S. 96) — oder, da Herr Wvrthmann diese Aus¬
führungen nach seinem Citat der Hauptstelle unmöglich gelesen haben kann,
auf die wenigen Sätze Treitschke's S. 487 der „Zehn Jahre" (S. 96 der
Preußischen Jahrbücher 1874, 34 Band). Was steht aber hier? „Das wahre
Glück des Lebens darf nur gesucht werden" — von Jedem, von dem Reichen
nicht weniger als vom Arbeiter— „in dem, was allen Menschen erreichbar und
gemeinsam ist. Also nicht im Besitze wirthschaftlicher Güter oder in der poli¬
tischen Macht, auch nicht in Kunst und Wissenschaft" — die gewiß der „Ar¬
beiter" zunächst nicht anstrebt — „sondern in der. Welt des Gemüths: in dem
reinen Gewissen, in der Kraft der Liebe, die den Einfältigen über den Klugen
emporhebt, und vor allem in der Macht des Glaubens." Und nun führt
Treitschke in ergreifender Weise aus, daß „dies Menschlichste im Menschen" —
aller Menschen — „von der Gunst der äußeren Verhältnisse bei Weitem nicht so
abhängig ist, wie die Gegenwart zu glauben pflegt, daß vielmehr das Gemüth,
gestärkt dnrch ein reines Gewissen, die Kraft der Liebe und die Macht des
Glaubens in der bescheidenen Enge des kleinen Lebens eine frische, kernhafte,
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