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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Persönliche Berührungen zwischen beiden Theilen haben, so viel bekannt,
niemals bestanden. Erst Ende 1862 vermittelte Lothar Bucher, der sowohl
Lassalle wie Rvdbertus nahe befreundet war, die Bekanntschaft wenigstens die¬
ser beiden Männer. Lassalle stand damals an dem verhängnißvollen Scheide¬
wege seines Lebens. Vergebens hatte er die Fortschrittspartei zu einer conse-
quenteren, energischeren, und wenn einmal radicale Oppositionspolitik getrieben
werden sollte, auch aussichtsvolleren Haltung in der Verfassungscvnflictssrage
anzuspornen gesucht-, mit Hohn und Spott heimgeschickt, von brennendem
Rachedurste gepeinigt, sann er darauf, die Arbeiter als Partei zu organisiren,
die Fortschrittler politisch zu überflügeln und aufzurollen. Man muß, um
nicht irre zu gehen, diesen Punkt scharf im Auge behalten, daß es ein von
persönlichem Ehrgeize und Zorne stark gefärbtes politisches Motiv war, wel¬
ches Lassalle in das größte Abenteuer seines Lebens warf. Es isolirte ihn
vollkommen innerhalb der Vertreter des wissenschaftlichen Socialismus. Einer¬
seits trennte es ihn von Engels und Marx, mit denen gemeinsam er 1848
und 184K im Rheinlande socialistisch agitirt hatte, denn diese Londoner Emigran¬
ten wollten bei ihrem fanatischen Preußenhasse nichts von der Bildung einer
Arbeiterpartei wissen, deren politische Voraussetzung bei allem Radicalismus
doch eben nur die Existenz des preußischen Staates war; andererseits schied
es ihn von Rodbertus, der die revolutionäre Aufregung der Arbeiter gegen die
bestehende Staatsgewalt verwarf, überhaupt eine politische Organisation der
arbeitenden Klassen perhorrescirte. Indem Lassalle als das Feldgeschrei seiner
Agitation die Forderung des allgemeinen Stimmrechts behufs Durchsetzung
von Produktivassoeiationen mit Staatscredit proclamirte, beging er eine Halb¬
heit, eine innere Unwahrheit und was das Schlimmste war, Niemand war sich
dessen mehr bewußt, als er selbst.

Die historisch-politische Bedeutung seines nunmehr veröffentlichten Brief¬
wechsels mit Rodbertus beruht darin, daß durch diese Dokumente zum ersten
Male volles Licht verbreitet wird über die Motive, die ihn bei seiner Agitation
leiteten. Mit Engels und Marx scheint er, so weit das bisher vorliegende
Material urtheilen läßt, gar nicht über seine Absicht correspondirt zu haben;
er mochte diese langjährigen Genossen zu geuau kennen, um hier nicht jeden
Verständigungsversuch von vorneherein als aussichtslos aufzugeben. Um so eifriger
Ward er um Rodbertus und er hat Nichts unterlassen, um diese Autorität für sich
Zu erobern. Er wird nicht müde, zu erklären, daß er die Produetivassociationen
mit Staatscredit, die er den Arbeitern so pomphaft als das einzig mögliche
Mittel zur Hebung ihrer Classenlage anzupreisen pflegte, nnr proclamire, um
ihnen "etwas ganz Bestimmtes, Greifbares" zu bieten, was absolut nöthig sei,
wenn man sie "interessiren" wolle; er erklärt sich mit Freuden bereit, dies
Mittel "fahren zu lassen", sobald Rodbertns ein anderes, gleich wirksames


Persönliche Berührungen zwischen beiden Theilen haben, so viel bekannt,
niemals bestanden. Erst Ende 1862 vermittelte Lothar Bucher, der sowohl
Lassalle wie Rvdbertus nahe befreundet war, die Bekanntschaft wenigstens die¬
ser beiden Männer. Lassalle stand damals an dem verhängnißvollen Scheide¬
wege seines Lebens. Vergebens hatte er die Fortschrittspartei zu einer conse-
quenteren, energischeren, und wenn einmal radicale Oppositionspolitik getrieben
werden sollte, auch aussichtsvolleren Haltung in der Verfassungscvnflictssrage
anzuspornen gesucht-, mit Hohn und Spott heimgeschickt, von brennendem
Rachedurste gepeinigt, sann er darauf, die Arbeiter als Partei zu organisiren,
die Fortschrittler politisch zu überflügeln und aufzurollen. Man muß, um
nicht irre zu gehen, diesen Punkt scharf im Auge behalten, daß es ein von
persönlichem Ehrgeize und Zorne stark gefärbtes politisches Motiv war, wel¬
ches Lassalle in das größte Abenteuer seines Lebens warf. Es isolirte ihn
vollkommen innerhalb der Vertreter des wissenschaftlichen Socialismus. Einer¬
seits trennte es ihn von Engels und Marx, mit denen gemeinsam er 1848
und 184K im Rheinlande socialistisch agitirt hatte, denn diese Londoner Emigran¬
ten wollten bei ihrem fanatischen Preußenhasse nichts von der Bildung einer
Arbeiterpartei wissen, deren politische Voraussetzung bei allem Radicalismus
doch eben nur die Existenz des preußischen Staates war; andererseits schied
es ihn von Rodbertus, der die revolutionäre Aufregung der Arbeiter gegen die
bestehende Staatsgewalt verwarf, überhaupt eine politische Organisation der
arbeitenden Klassen perhorrescirte. Indem Lassalle als das Feldgeschrei seiner
Agitation die Forderung des allgemeinen Stimmrechts behufs Durchsetzung
von Produktivassoeiationen mit Staatscredit proclamirte, beging er eine Halb¬
heit, eine innere Unwahrheit und was das Schlimmste war, Niemand war sich
dessen mehr bewußt, als er selbst.

Die historisch-politische Bedeutung seines nunmehr veröffentlichten Brief¬
wechsels mit Rodbertus beruht darin, daß durch diese Dokumente zum ersten
Male volles Licht verbreitet wird über die Motive, die ihn bei seiner Agitation
leiteten. Mit Engels und Marx scheint er, so weit das bisher vorliegende
Material urtheilen läßt, gar nicht über seine Absicht correspondirt zu haben;
er mochte diese langjährigen Genossen zu geuau kennen, um hier nicht jeden
Verständigungsversuch von vorneherein als aussichtslos aufzugeben. Um so eifriger
Ward er um Rodbertus und er hat Nichts unterlassen, um diese Autorität für sich
Zu erobern. Er wird nicht müde, zu erklären, daß er die Produetivassociationen
mit Staatscredit, die er den Arbeitern so pomphaft als das einzig mögliche
Mittel zur Hebung ihrer Classenlage anzupreisen pflegte, nnr proclamire, um
ihnen „etwas ganz Bestimmtes, Greifbares" zu bieten, was absolut nöthig sei,
wenn man sie „interessiren" wolle; er erklärt sich mit Freuden bereit, dies
Mittel „fahren zu lassen", sobald Rodbertns ein anderes, gleich wirksames


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[0179] Persönliche Berührungen zwischen beiden Theilen haben, so viel bekannt, niemals bestanden. Erst Ende 1862 vermittelte Lothar Bucher, der sowohl Lassalle wie Rvdbertus nahe befreundet war, die Bekanntschaft wenigstens die¬ ser beiden Männer. Lassalle stand damals an dem verhängnißvollen Scheide¬ wege seines Lebens. Vergebens hatte er die Fortschrittspartei zu einer conse- quenteren, energischeren, und wenn einmal radicale Oppositionspolitik getrieben werden sollte, auch aussichtsvolleren Haltung in der Verfassungscvnflictssrage anzuspornen gesucht-, mit Hohn und Spott heimgeschickt, von brennendem Rachedurste gepeinigt, sann er darauf, die Arbeiter als Partei zu organisiren, die Fortschrittler politisch zu überflügeln und aufzurollen. Man muß, um nicht irre zu gehen, diesen Punkt scharf im Auge behalten, daß es ein von persönlichem Ehrgeize und Zorne stark gefärbtes politisches Motiv war, wel¬ ches Lassalle in das größte Abenteuer seines Lebens warf. Es isolirte ihn vollkommen innerhalb der Vertreter des wissenschaftlichen Socialismus. Einer¬ seits trennte es ihn von Engels und Marx, mit denen gemeinsam er 1848 und 184K im Rheinlande socialistisch agitirt hatte, denn diese Londoner Emigran¬ ten wollten bei ihrem fanatischen Preußenhasse nichts von der Bildung einer Arbeiterpartei wissen, deren politische Voraussetzung bei allem Radicalismus doch eben nur die Existenz des preußischen Staates war; andererseits schied es ihn von Rodbertus, der die revolutionäre Aufregung der Arbeiter gegen die bestehende Staatsgewalt verwarf, überhaupt eine politische Organisation der arbeitenden Klassen perhorrescirte. Indem Lassalle als das Feldgeschrei seiner Agitation die Forderung des allgemeinen Stimmrechts behufs Durchsetzung von Produktivassoeiationen mit Staatscredit proclamirte, beging er eine Halb¬ heit, eine innere Unwahrheit und was das Schlimmste war, Niemand war sich dessen mehr bewußt, als er selbst. Die historisch-politische Bedeutung seines nunmehr veröffentlichten Brief¬ wechsels mit Rodbertus beruht darin, daß durch diese Dokumente zum ersten Male volles Licht verbreitet wird über die Motive, die ihn bei seiner Agitation leiteten. Mit Engels und Marx scheint er, so weit das bisher vorliegende Material urtheilen läßt, gar nicht über seine Absicht correspondirt zu haben; er mochte diese langjährigen Genossen zu geuau kennen, um hier nicht jeden Verständigungsversuch von vorneherein als aussichtslos aufzugeben. Um so eifriger Ward er um Rodbertus und er hat Nichts unterlassen, um diese Autorität für sich Zu erobern. Er wird nicht müde, zu erklären, daß er die Produetivassociationen mit Staatscredit, die er den Arbeitern so pomphaft als das einzig mögliche Mittel zur Hebung ihrer Classenlage anzupreisen pflegte, nnr proclamire, um ihnen „etwas ganz Bestimmtes, Greifbares" zu bieten, was absolut nöthig sei, wenn man sie „interessiren" wolle; er erklärt sich mit Freuden bereit, dies Mittel „fahren zu lassen", sobald Rodbertns ein anderes, gleich wirksames

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/179>, abgerufen am 27.07.2024.