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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Zur Lösung der Frage war nach seiner Ansicht eine ebenso tief einschneidende
Veränderung der heutigen, socialen Grundlage nothwendig, als in dem Ueber¬
gange vom Eigenthum an Menschen zum Grund- und Capitaleigenthum lag;
er verlangte die langsame, organische Ueberleitung des letzteren in das Ver¬
dienst-, das reine Einkommenseigenthum, das alle productiven Mittel, bis sie
zur Einkommensvertheilung reif geworden wären, in der Hand des Staats be¬
lassen und ihm damit allein auch den einheitlichen, dominirenden, von allen
Seiten empfangenden und nach allen Seiten austheilenden Halt in den Lebens¬
motoren des Gesammtorganismus geben würde, der eben das Wirbel- vom
Kerbthiere unterscheidet. Rodbertus leitete die ökonomische Begründung dieser
Anschauung aus Ricardo ab, dessen Theorie der Arbeit als allein werthbilden¬
den Factors er ausdrücklich zur Grundlage seines ganzen Systems machte. In
alledem ist er der epochemachende Vorläufer von Marx, Lassalle und Engels.
Seine einschlägigen Hauptschriften "Zur Erkenntniß unserer staatswirthschaft-
lichen Zustände" und die drei "socialen Briefe" an v. Kirchmann*) erschienen
schon 1842 resp. 1850, während die Schriften von Marx "Zur Kritik der
politischen Oekonomie" und das "Kapital" erst von 1859 resp. 1867 datiren.
Weder in der Kritik, noch in dem Endziele der Lösung ist ein wesentlicher Unter¬
schied vorhanden; die Differenz besteht nur darin, daß während jene demokratischen
Socialisten an die "ökonomische Potenz der Gewalt appelliren, um die Herrschaft
der Arbeiter zu etabliren" (Marx) der wesentlich conservativen Anschauungen
-- im guten Sinne -- geneigte Rodbertus die Bahn friedlicher Vermittelung
zweier Weltepochen verfolgen, das Grund- und Capitaleigenthum in seinen
Funktionen ungestört lassen, anch seine gegenwärtigen Rentenbeträge nicht kürzen,
ebenso das Lohnprincip beibehalten, aber durch eine staatliche Reform der Lohn¬
form den arbeitenden Klassen im genauen Verhältnisse zur Steigerung der
nationalen Productivität eine Steigerung ihres Antheils am Nationaleinkom¬
men sichern und so eine Entwicklung anbahnen wollte, die beiläufig etwa nach
einem halben Jahrtausend in den Idealstaat des Verdienst-, des reinen Ein¬
kommenseigenthums münden sollte. In die Einzelnheiten dieses von Rodbertus
immer nur mehr andeutungsweise, als systematisch entwickelten Lösungsversuchs
der socialen Frage näher einzugehen, ist hier nicht der Ort; giebt man einmal
die socialistischen Voraussetzungen zu, so kann schwerlich bestritten werden,
daß er sich die Sache denn doch unendlich viel historischer, organischer und rationeller
dachte, als Engels und Marx mit ihrem äußerlichen Heilmittel der brutalen Gewalt.



*) Ursprünglich nur in wenigen Exemplaren verbreitet, erschienen diese Briefe (mit Aus"
lassung des ersten) neu abgedruckt in "Zur Beleuchtung der socialen Frage I. Von Dr.
Rodbertus-Jagctzow. Berlin, Puttkammer nud Mühlbrecht", noch von dem Autor selbst kurz
vor seinem Tode herausgegeben. Man vergl. auch Rudolf Meyer, in "Emanzipationskampf
des vierten Standes." Berlin, Schindler, Bd, 1. S, 43 u. f.

Zur Lösung der Frage war nach seiner Ansicht eine ebenso tief einschneidende
Veränderung der heutigen, socialen Grundlage nothwendig, als in dem Ueber¬
gange vom Eigenthum an Menschen zum Grund- und Capitaleigenthum lag;
er verlangte die langsame, organische Ueberleitung des letzteren in das Ver¬
dienst-, das reine Einkommenseigenthum, das alle productiven Mittel, bis sie
zur Einkommensvertheilung reif geworden wären, in der Hand des Staats be¬
lassen und ihm damit allein auch den einheitlichen, dominirenden, von allen
Seiten empfangenden und nach allen Seiten austheilenden Halt in den Lebens¬
motoren des Gesammtorganismus geben würde, der eben das Wirbel- vom
Kerbthiere unterscheidet. Rodbertus leitete die ökonomische Begründung dieser
Anschauung aus Ricardo ab, dessen Theorie der Arbeit als allein werthbilden¬
den Factors er ausdrücklich zur Grundlage seines ganzen Systems machte. In
alledem ist er der epochemachende Vorläufer von Marx, Lassalle und Engels.
Seine einschlägigen Hauptschriften „Zur Erkenntniß unserer staatswirthschaft-
lichen Zustände" und die drei „socialen Briefe" an v. Kirchmann*) erschienen
schon 1842 resp. 1850, während die Schriften von Marx „Zur Kritik der
politischen Oekonomie" und das „Kapital" erst von 1859 resp. 1867 datiren.
Weder in der Kritik, noch in dem Endziele der Lösung ist ein wesentlicher Unter¬
schied vorhanden; die Differenz besteht nur darin, daß während jene demokratischen
Socialisten an die „ökonomische Potenz der Gewalt appelliren, um die Herrschaft
der Arbeiter zu etabliren" (Marx) der wesentlich conservativen Anschauungen
— im guten Sinne — geneigte Rodbertus die Bahn friedlicher Vermittelung
zweier Weltepochen verfolgen, das Grund- und Capitaleigenthum in seinen
Funktionen ungestört lassen, anch seine gegenwärtigen Rentenbeträge nicht kürzen,
ebenso das Lohnprincip beibehalten, aber durch eine staatliche Reform der Lohn¬
form den arbeitenden Klassen im genauen Verhältnisse zur Steigerung der
nationalen Productivität eine Steigerung ihres Antheils am Nationaleinkom¬
men sichern und so eine Entwicklung anbahnen wollte, die beiläufig etwa nach
einem halben Jahrtausend in den Idealstaat des Verdienst-, des reinen Ein¬
kommenseigenthums münden sollte. In die Einzelnheiten dieses von Rodbertus
immer nur mehr andeutungsweise, als systematisch entwickelten Lösungsversuchs
der socialen Frage näher einzugehen, ist hier nicht der Ort; giebt man einmal
die socialistischen Voraussetzungen zu, so kann schwerlich bestritten werden,
daß er sich die Sache denn doch unendlich viel historischer, organischer und rationeller
dachte, als Engels und Marx mit ihrem äußerlichen Heilmittel der brutalen Gewalt.



*) Ursprünglich nur in wenigen Exemplaren verbreitet, erschienen diese Briefe (mit Aus«
lassung des ersten) neu abgedruckt in „Zur Beleuchtung der socialen Frage I. Von Dr.
Rodbertus-Jagctzow. Berlin, Puttkammer nud Mühlbrecht", noch von dem Autor selbst kurz
vor seinem Tode herausgegeben. Man vergl. auch Rudolf Meyer, in „Emanzipationskampf
des vierten Standes." Berlin, Schindler, Bd, 1. S, 43 u. f.
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[0178] Zur Lösung der Frage war nach seiner Ansicht eine ebenso tief einschneidende Veränderung der heutigen, socialen Grundlage nothwendig, als in dem Ueber¬ gange vom Eigenthum an Menschen zum Grund- und Capitaleigenthum lag; er verlangte die langsame, organische Ueberleitung des letzteren in das Ver¬ dienst-, das reine Einkommenseigenthum, das alle productiven Mittel, bis sie zur Einkommensvertheilung reif geworden wären, in der Hand des Staats be¬ lassen und ihm damit allein auch den einheitlichen, dominirenden, von allen Seiten empfangenden und nach allen Seiten austheilenden Halt in den Lebens¬ motoren des Gesammtorganismus geben würde, der eben das Wirbel- vom Kerbthiere unterscheidet. Rodbertus leitete die ökonomische Begründung dieser Anschauung aus Ricardo ab, dessen Theorie der Arbeit als allein werthbilden¬ den Factors er ausdrücklich zur Grundlage seines ganzen Systems machte. In alledem ist er der epochemachende Vorläufer von Marx, Lassalle und Engels. Seine einschlägigen Hauptschriften „Zur Erkenntniß unserer staatswirthschaft- lichen Zustände" und die drei „socialen Briefe" an v. Kirchmann*) erschienen schon 1842 resp. 1850, während die Schriften von Marx „Zur Kritik der politischen Oekonomie" und das „Kapital" erst von 1859 resp. 1867 datiren. Weder in der Kritik, noch in dem Endziele der Lösung ist ein wesentlicher Unter¬ schied vorhanden; die Differenz besteht nur darin, daß während jene demokratischen Socialisten an die „ökonomische Potenz der Gewalt appelliren, um die Herrschaft der Arbeiter zu etabliren" (Marx) der wesentlich conservativen Anschauungen — im guten Sinne — geneigte Rodbertus die Bahn friedlicher Vermittelung zweier Weltepochen verfolgen, das Grund- und Capitaleigenthum in seinen Funktionen ungestört lassen, anch seine gegenwärtigen Rentenbeträge nicht kürzen, ebenso das Lohnprincip beibehalten, aber durch eine staatliche Reform der Lohn¬ form den arbeitenden Klassen im genauen Verhältnisse zur Steigerung der nationalen Productivität eine Steigerung ihres Antheils am Nationaleinkom¬ men sichern und so eine Entwicklung anbahnen wollte, die beiläufig etwa nach einem halben Jahrtausend in den Idealstaat des Verdienst-, des reinen Ein¬ kommenseigenthums münden sollte. In die Einzelnheiten dieses von Rodbertus immer nur mehr andeutungsweise, als systematisch entwickelten Lösungsversuchs der socialen Frage näher einzugehen, ist hier nicht der Ort; giebt man einmal die socialistischen Voraussetzungen zu, so kann schwerlich bestritten werden, daß er sich die Sache denn doch unendlich viel historischer, organischer und rationeller dachte, als Engels und Marx mit ihrem äußerlichen Heilmittel der brutalen Gewalt. *) Ursprünglich nur in wenigen Exemplaren verbreitet, erschienen diese Briefe (mit Aus« lassung des ersten) neu abgedruckt in „Zur Beleuchtung der socialen Frage I. Von Dr. Rodbertus-Jagctzow. Berlin, Puttkammer nud Mühlbrecht", noch von dem Autor selbst kurz vor seinem Tode herausgegeben. Man vergl. auch Rudolf Meyer, in „Emanzipationskampf des vierten Standes." Berlin, Schindler, Bd, 1. S, 43 u. f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/178>, abgerufen am 27.07.2024.