Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.zu schließen, dasselbe Bedürfniß, das ewig Unfaßbare im menschlichsten Ge¬ Aus mittelalterlicher Gebundenheit und Vereinzelung reißt die christlichen zu schließen, dasselbe Bedürfniß, das ewig Unfaßbare im menschlichsten Ge¬ Aus mittelalterlicher Gebundenheit und Vereinzelung reißt die christlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139955"/> <p xml:id="ID_448" prev="#ID_447"> zu schließen, dasselbe Bedürfniß, das ewig Unfaßbare im menschlichsten Ge¬<lb/> wände sich nahe zu bringen, es hat den griechischen Olymp geschaffen; die<lb/> rohen Naturkräfte hat der Grieche schon in früher Zeit in lichte menschenähn¬<lb/> liche Gestalten verwandelt, ideale Typen seines Volksthums, und doch mehr<lb/> als Typen: charaktervolle Persönlichkeiten. Naivgläubig steht er dieser Götter¬<lb/> welt gegenüber, wenig bekümmert um die zahllosen Widersprüche, welche die<lb/> Uebertragung von ursprünglich rein natürlich gedachten Verhältnissen in die<lb/> sittliche Welt hervorrufen mußte. Daher denn auch die gewaltige Macht reli¬<lb/> giöser Institute in dieser Zeit. Wie eng hängt aber nun dieser Polytheismus<lb/> mit dem epischen Charakter der Epoche zusamen! Unter dem glücklichen Himmel<lb/> Ioniens gewannen alle die längst mit dem Volke verwachsenen sagenhaften<lb/> Ueberlieferungen von den Thaten und Leiden der Helden ihre poetische Form;<lb/> hier wurden Charaktere und Ereignisse geschildert mit jener wunderbaren Plastik,<lb/> die nur möglich scheint in jenem Himmelsstrich, wo in klarer Luft jede Form<lb/> der herrlichen Landschaft mit scharf umrissenen Linien hervortritt, und mit<lb/> gläubigem Entzücken sahen die Hörer vor ihrem geistigen Auge den Renner<lb/> Achilleus und den reisigen Nestor, die Kämpfe um Theben und Troja und<lb/> die Meerfahrten des Odysseus aufsteigen. — Nicht anders, wie die Dichtung<lb/> dieser Zeit Ueberliefertes reflexionslos fortpflanzt, hat sie in der Kunst — so¬<lb/> weit wir davon etwas wissen — sich an die einmal gegebenen Vorbilder ge¬<lb/> halten, und Jahrhunderte durch haben griechische Künstler genau in denselben<lb/> Formen ihre puppenähnlich steifen Götterbilder geschnitzt, ihre Jagden und<lb/> Thiergestalten in Metall gehämmert, wie vor alter Zeit die Orientalen sie ge¬<lb/> lehrt. —</p><lb/> <p xml:id="ID_449" next="#ID_450"> Aus mittelalterlicher Gebundenheit und Vereinzelung reißt die christlichen<lb/> Völker eine gewaltige Bewegung: die Kreuzzüge. Gewiß war der Antrieb,<lb/> der Hunderttausende und aber Hunderttausende nach dem Osten führte, zunächst<lb/> ein religiöser und das Papstthum ist es, das die Bewegung leitet. Aber die<lb/> vornehmen Herren, die für Christus im Stegreif ritten, dachten auch an Herr¬<lb/> schaft und Goldschatz, die im Orient zu gewinnen seien, und der vorsichtige<lb/> Kaufmann von Visa und Venedig, der sie auf seinen Schiffen nach Joppe<lb/> führte, spähte nebenbei auch nach den kostbaren Waaren des Ostens. Und so<lb/> ist auch das Ergebniß ja keineswegs nur die Befreiung des heiligen Grabes,<lb/> sondern auch die Begründung französischer Adelskolonien, italienischer Handels¬<lb/> faktoreien in Syrien und Byzanz. Doch der Begriff der „Kreuzzüge" erschöpft<lb/> bei weitem nicht den Inhalt der mächtigen Bewegung. Sicher weniger glän¬<lb/> zend, aber viel nachhaltiger und ebenso großartig geht nebenher die reißend<lb/> schnelle Ausbreitung des deutschen Volksthums nach dem slavischen und magya¬<lb/> rischen Osten. Wenn man uns Deutsche fragt: „Wo habt ihr eure Kolonien?",</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0134]
zu schließen, dasselbe Bedürfniß, das ewig Unfaßbare im menschlichsten Ge¬
wände sich nahe zu bringen, es hat den griechischen Olymp geschaffen; die
rohen Naturkräfte hat der Grieche schon in früher Zeit in lichte menschenähn¬
liche Gestalten verwandelt, ideale Typen seines Volksthums, und doch mehr
als Typen: charaktervolle Persönlichkeiten. Naivgläubig steht er dieser Götter¬
welt gegenüber, wenig bekümmert um die zahllosen Widersprüche, welche die
Uebertragung von ursprünglich rein natürlich gedachten Verhältnissen in die
sittliche Welt hervorrufen mußte. Daher denn auch die gewaltige Macht reli¬
giöser Institute in dieser Zeit. Wie eng hängt aber nun dieser Polytheismus
mit dem epischen Charakter der Epoche zusamen! Unter dem glücklichen Himmel
Ioniens gewannen alle die längst mit dem Volke verwachsenen sagenhaften
Ueberlieferungen von den Thaten und Leiden der Helden ihre poetische Form;
hier wurden Charaktere und Ereignisse geschildert mit jener wunderbaren Plastik,
die nur möglich scheint in jenem Himmelsstrich, wo in klarer Luft jede Form
der herrlichen Landschaft mit scharf umrissenen Linien hervortritt, und mit
gläubigem Entzücken sahen die Hörer vor ihrem geistigen Auge den Renner
Achilleus und den reisigen Nestor, die Kämpfe um Theben und Troja und
die Meerfahrten des Odysseus aufsteigen. — Nicht anders, wie die Dichtung
dieser Zeit Ueberliefertes reflexionslos fortpflanzt, hat sie in der Kunst — so¬
weit wir davon etwas wissen — sich an die einmal gegebenen Vorbilder ge¬
halten, und Jahrhunderte durch haben griechische Künstler genau in denselben
Formen ihre puppenähnlich steifen Götterbilder geschnitzt, ihre Jagden und
Thiergestalten in Metall gehämmert, wie vor alter Zeit die Orientalen sie ge¬
lehrt. —
Aus mittelalterlicher Gebundenheit und Vereinzelung reißt die christlichen
Völker eine gewaltige Bewegung: die Kreuzzüge. Gewiß war der Antrieb,
der Hunderttausende und aber Hunderttausende nach dem Osten führte, zunächst
ein religiöser und das Papstthum ist es, das die Bewegung leitet. Aber die
vornehmen Herren, die für Christus im Stegreif ritten, dachten auch an Herr¬
schaft und Goldschatz, die im Orient zu gewinnen seien, und der vorsichtige
Kaufmann von Visa und Venedig, der sie auf seinen Schiffen nach Joppe
führte, spähte nebenbei auch nach den kostbaren Waaren des Ostens. Und so
ist auch das Ergebniß ja keineswegs nur die Befreiung des heiligen Grabes,
sondern auch die Begründung französischer Adelskolonien, italienischer Handels¬
faktoreien in Syrien und Byzanz. Doch der Begriff der „Kreuzzüge" erschöpft
bei weitem nicht den Inhalt der mächtigen Bewegung. Sicher weniger glän¬
zend, aber viel nachhaltiger und ebenso großartig geht nebenher die reißend
schnelle Ausbreitung des deutschen Volksthums nach dem slavischen und magya¬
rischen Osten. Wenn man uns Deutsche fragt: „Wo habt ihr eure Kolonien?",
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